Auf der YouTube-Umgehungsstraße

Bislang galt die Google-Tochter YouTube als unangreifbar im Bereich Web-Video. Das führte unter anderem dazu, dass es erstaunlich flott zu großzügigen Lizenzverträgen mit Medienkonzernen kam. Die spielen nun langsam nicht mehr mit.

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Als Google im Oktober letzten Jahres die Übernahme von YouTube für stolze 1,6 Milliarden Dollar ankündigte, schien alles auf einmal verdammt schnell zu gehen: Das nahezu grenzenlose Angebot an zu großen Teilen urheberrechtlich leidlich fragwürdigen Videos, die gigantische Community und die mit YouTube eingeläutete Web-2.0-Do-it-yourself-Multimediazukunft - all das würde unter dem Dach der großen Suchmaschine endlich auf solide Füße gestellt werden, hieß es damals nahezu übereinstimmend in Blogs wie Weltpresse.

Gleichzeitig war von interessanten Hintergrunddeals zu lesen, laut denen ein nicht geringer Anteil der Transaktion für eine Art Abschlagszahlung an die Medienkonzerne gedacht sei, die YouTube seit Monaten mit Vorwürfen massiver Video-Piraterie auf den Füßen standen. Man hatte im Allgemeinen also die Hoffnung, dass YouTube (wo man aus Nutzersicht ja endlich all die kurzen Filme zu sehen bekam, die man besonders aus den USA sehen wollte!) irgendwie etwas verändert hätte in der Medienlandschaft.

Und anfangs sah es auch ganz danach aus: Ein Inhaltedeal reihte sich an den nächsten, das wichtige US-TV-Netzwerk NBC verfolgte YouTube nicht mehr mit Herunternahmeverfügungen, sondern stellte selbst seine schicksten Comedy-Ausschnitte online - und von einigen Plattenlabels war zu hören, dass sie YouTube angesichts des gigantischen Publikums gerne ihre Video-Bibliotheken zur Verfügung stellen wollten, um besonders trendy zu sein.

Allein, die großen Medienkonzerne wären nicht die großen Medienkonzerne, wenn sie sich von einem dahergelaufenen (wenn auch äußerst populären) New-Media-Phänomen wirklich so schnell die Butter vom Brot nehmen lassen würden. Schließlich verteilt YouTube letztlich nur ihre Inhalte! Und so knirscht es inzwischen im Gebälk bei YouTube, das nun ganz allein Googles Problem ist.

Man kann der "Old Media"-Kaste durchaus attestieren, dass dort monatelang eine Art Schockstarre in Sachen YouTube vorherrschte, die zunächst zu einer verschüchterten "If you can't beat them, join them"-Mentalität führte. Sumner Redstone, seines Zeichens 83jähriger Boss der MTV- und Paramount-Mutter Viacom, ist nun einer der ersten, der sich gegen den YouTube-Durchmarsch wendet. Und wie.

Erst ließ Redstone seine Viacom-Anwälte monatelang mit YouTube über mögliche Lizenzen verhandeln - fruchtlos. Das war schon einmal sehr unschön für YouTube, wo die Inhalte der Viacom-Sendertochter Comedy Central (wie beispielsweise "Daily Show" oder "Colbert Report") zu den populärsten Inhalten zählten. Nachdem es also nicht zu den gewünschten Vertragsverhandlungsergebnissen kam, holte Viacom die Rechtekeule heraus: 100.000 Clips mit ihren urheberrechtlich geschützten Inhalten solle YouTube löschen - und zwar besser heute als morgen.

Gleichzeitig wollte man die Google-Tochter dazu zwingen, endlich wirksame Copyright-Filter einzubauen, mit denen Viacom-Inhalte erst gar nicht auf die Seite gelangen können. Dass das technisch irgendwie möglich sein muss, sehen die Viacom-Anwälte schon allein dadurch gegeben, dass es YouTube seit Jahr und Tag gelingt, jedwede Pornografie von seinen Servern fernzuhalten.

Das war aber noch nicht alles. Vor wenigen Tagen enthüllte Viacom seine eigene Web-2.0-Strategie: Man bietet die so beliebten Clips von Comedy Central und Co. einfach selbst an - und zwar inklusive populärer Funktionen wie der Möglichkeit, die Streifen ins eigene Blog zu holen, was YouTube erst groß machte. Da mag auch der Comedy-Central-Abspieler noch nicht so schick sein wie der von YouTube: Mah sieht, dass die Medienkonzerne es offenbar selbst können.

Warum Old Media erst jetzt auf diese glorreiche Idee gekommen ist, scheint mit der Langsamkeit zu tun zu haben, mit denen sich diese Dinos nun mal bewegen. Fazit: Viacom hat vom YouTube-Ausstieg faktisch keine Nachteile. Seine Videos werden auch ohne YouTube schnell viel Web-2.0-"Exposure" bekommen, weil man einen eigenen Video-Player besitzt, der Traffic auf den eigenen Seiten nimmt zu, weil YouTube-Flüchtlinge kommen, und außerdem lässt sich zwischen die eigenen Inhalte vortrefflich Werbung schalten. Im Gegensatz dazu hätte man bei YouTube höchstens Lizenzgebühren kassiert.

Den Nutzer interessiert derweil herzlich wenig, woher das Material kommt - Hauptsache, er bekommt es, es läuft in jedem Browser (Flash sei Dank) und die Anbieter nerven nicht zu sehr mit Reklame und technischer Komplexität.

Und wie geht's nun bei YouTube weiter? Dort leckt man seine Wunden, versucht es mit dem Einkauf klassischer TV-Serien kaum bekannter Rechteinhaber, ist nach wie vor ein gigantisches New-Media-Ding, muss sich aber Gerüchten über einen "Quick Flip" der Gründer erwehren. Die Lichtgestalten des Start-ups haben nämlich allesamt per Börsenantrag angekündigt, sehr bald ihre gesamten Google-Aktien, also die Bezahlung für den YouTube-Kauf, zu veräußern. Das mag angesichts des aktuellen und längerfristig eher unhaltbaren Kurses des Suchmaschinen-Papiers verständlich sein - allerdings zeigt es doch, dass selbst die Gründer wohl so langsam das Vertrauen in ihre Geschäftsidee zu verlieren scheinen. Oder will man sich nur für alle Eventualitäten absichern?

Das könnte noch spannend werden. Was auf alle Fälle übrig bleibt, sind Medienkonzerne, die dank YouTube zumindest endlich einen mächtigen Tritt in den Hintern erhalten haben, ihre Internet-Strategie zu überdenken. Das Ende des Urheberrechts, wie wir es kannten, wird sich allerdings wohl noch ein Weilchen verzögern. Dafür ist es für Old Media zu wertvoll. (wst)