20 Jahre autonome Fahrzeuge: Wo stehen wir?

Der Hype ums autonome Fahren ist vorbei. Eine Bestandsaufnahme zwischen den Scherbenhäufen einstiger Träume und künftiger kommerzieller Anwendungen der Technik​

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Ein Cruise-AV fährt durch Chinatown, nicht ahnend, was hier bald passieren würde ...

(Bild: GM Cruise)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Manchmal können wir in unseren Leben den kompletten Hype-Zyklus einer Technik miterleben. Das geht uns zum Beispiel beim autonomen Fahren so. Die Technik ist mittlerweile tief im Tal der Tränen angelangt, das unweigerlich auf den Gipfel der überzogenen Erwartungen folgt. Wir könnten also in den nächsten zehn Jahren auf das "Plateau der Produktivität" gelangen, mit kommerziell erfolgreichem Einsatz autonomer Fahrzeuge. Beim Vorgehen in Richtung Ziel gab es schon ganz zu Anfang zwei Ansätze: Die Autohersteller wollten Schritt für Schritt vorgehen, damit sie bei jedem Schritt mit potenziellen Produkten Geld verdienen könnten. Andere lebten von Investitionen statt von Einkünften und wollten springen statt schreiten, um gleich bei mindestens SAE-Level 4 anzukommen, besser gleich Level 5. Weil die Tränen dort reicher und interessanter fallen, beginnen wir diese Geschichte mit diesen Springern.

Der Hype-Zyklus des autonomen Fahrens hängt direkt am Zyklus von Künstlicher Intelligenz an sich. Die Treiber, die uns zum KI-Frühling verhalfen nach dem langen zweiten KI-Winter seit 1987, schob den Traum vom selbstfahrenden Fahrzeug neu an: maschinelles Lernen im großen Maßstab, automatische Bildverarbeitung und -klassifizierung, hauptsächlich anhand künstlicher neuronaler Netze. Doch zu einem Hype gehören zwei Zutaten: einmal die Technik und einmal ein großes Laienpublikum. Eine heimlich im Hinterzimmer perfektionierte Technik, von der niemand außerhalb weiß, kann keinen Hype Cycle generieren.

Der wahrscheinlich einschneidendste Zeitpunkt, den man als Start des autonomen Fahrens als Thema in der Öffentlichkeit annehmen kann, war das Jahr 2005. Die DARPA hatte damals eine "Grand Challenge" am Start. Ziel war es, dass ein Auto ohne menschliche Direkthilfe durch die Wüste die 132 Meilen lange Strecke von Barstow (Kalifornien) nach Primm (Nevada) fahren sollte. Das Preisgeld lag 2004 bei einer Million Dollar und exakt null der 15 qualifizierten Teams konnten sie einstreichen, alle versagten. Für 2005 erhöhte die DARPA das Preisgeld auf zwei Millionen Dollar. Diesmal schafften es gleich fünf Teams. Das lag nicht am Preisgeld. Die Technik hatte sich in kurzer Zeit enorm forwärtsbewegt. Plötzlich schien alles möglich. 2009 begann Google das eigene Projekt zum autonomen Fahren, hervorgegangen aus den DARPA-Challenge-Teams. Wie immer, wenn etwas steil voran geht, setzte sich eine Fehlannahme fest: Dass die Technik sich weiterhin so steil entwickelt. Das ist genauso naiv wie die Annahme während des KI-Winters, dass niemals überhaupt wieder etwas vorangehen kann.