"40 Jahre Windows": Am Anfang war heiße Luft

Microsoft wollte der Konkurrenz zuvorkommen und präsentierte am 10. November 1983 ein "Betriebssystem", von dem es nur ein paar Skizzen gab.​

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Ausschnitt einer Broschüre von Microsoft.

(Bild: Microsoft/Wikimedia/Public Domain)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 10. November 1983 traten Bill Gates und Paul Allen im New Yorker Plaza Hotel vor die Presse: Bald, im April 1984, sollte ein neues Produkt erscheinen – "Microsoft Windows". Mit diesem neuen "Interface Manager" sollten die von DOS geplagten Benutzer zwischen verschiedenen Fenstern mit verschiedenen Programmen wechseln können. Kurz darauf begann die Computermesse Comdex, auf der Microsoft mit einer bis dahin nicht gekannten Werbeoffensive für Software in die Vollen ging. Das vollmundig angekündigte Microsoft Windows erschien indes erst am 20. November 1985 und brachte dem Microsoft-Gründer den Titel "Viscount of Vaporware" ein.

Die verfrühte Ankündigung von Microsoft Windows muss im historischen Kontext gesehen werden: Der damalige Software-Riese Visicorp, der mit der ersten Tabellenkalkulation VisiCalc ein 15-Faches des Microsoft-Umsatzes machte, arbeitete an einer grafischen Benutzeroberfläche namens VisiON, die Ende 1983 erscheinen sollte. Gates wusste das, er selbst hatte eine Demo der Software ausprobiert. Gates kannte Apples "Lisa" und wusste, dass der Konkurrent einen neuen Rechner mit grafischer Oberfläche entwickelte.

Schließlich waren auch Microsoft-Programmierer an dem geheimen Projekt beteiligt, das 1984 den Macintosh in die Welt hämmerte. Und Gates wusste, dass IBM, mit PC-DOS für den IBM PC der wichtigste Partner von Microsoft, sich bereits entschieden hatte, ein eigenes System namens "Topview" an den Start zu bringen. Microsoft musste handeln, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen. Gates und Allen wählten einen Trick, für den IBM berüchtigt war: die Vorab-Ankündigung, um die Konkurrenz zu entmutigen.

So kam es zur Ankündigung einer Software, die bisher nur in groben Umrissen konzipiert war: Microsoft Windows sollte den Wechsel zwischen Programmen erleichtern sowie auf herkömmlichen PCs mit 256 Kilobyte Arbeitsspeicher und zwei Diskettenlaufwerken laufen. Das war die Kampfansage an Visicorp, denn VisiON brauchte mindestens 512 Kilobyte und eine Festplatte als virtuellen Speicher. Außerdem sollten Windows-Entwickler ihre Software am PC entwickeln können. Bei Visicorp musste die Entwicklung hingegen auf einem VAX-System von Digital Equipment erfolgen.

Am 10. November 1983 kündigte Gates in New York Microsoft Windows an und ließ die Firmen antreten, die Windows mit ihren PCs bündeln wollten: Columbia Data, Compaq, Convergent, Data General, Digital Equipment, Eagle, Hewlett Packard, Radio Shack, Seequa, Wang und Zenith – eine Phalanx, die die Fachpresse beeindruckte.

Die Pressemitteilung zur Windows-Gala versprach: "Microsoft Windows ist ein OEM-Produkt und es wird erwartet, dass jeder OEM seine eigene Preisgestaltung hat. Microsoft Windows wird wie MS-DOS verkauft und einem Rechnersystem wenig oder gar keine zusätzlichen Kosten aufbürden." Intern rechnete Microsoft mit 8 bis 24 US-Dollar pro System, wobei die OEMs einen Bündelvertrag zwischen 20.000 und 60.000 Lizenzen pro Rechnergattung abschließen sollten.

Doch was war das eigentlich, was Bill Gates in New York zeigte? Intern nur "smoke and mirrors demo" genannt, war Windows nichts mehr als ein paar zusammenkopierte Screenshots in Anlehnung an die Menüstruktur von Multiplan. Die Demo erschien in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift Byte, die zuvor viel ausführlicher über VisiON berichtet hatte.

Das klang auch in der abschließenden Bewertung von Windows durch: "Im Endeffekt ist die Kombination von der Desktop-Metapher in Verbindung mit der Maus geeignet, Computerwissen den nichttechnischen Menschen näher zu bringen und viele solcher Menschen zu erreichen. Einer überraschenden Produktvorstellung einer anderen Firma zuvorkommend, wird Microsoft Windows der erste große Testlauf für diese Desktop-Metapher sein, der die anvisierten Nutzer erreicht."

Noch viel größer war der Aufwand, den Microsoft zwei Wochen später auf der Comdex 1983 betrieb. Die Taxen waren mit Windows-Werbung gepflastert, die Autovermieter gaben Windows-Schlüsselanhänger aus und in den Bars und Restaurants waren die unvermeidlichen Servietten mit dem Slogan "Look Through the Microsoft Windows" bedruckt. Ein Coupon auf der Serviette versprach einen Rabatt von einem Dollar in 25 ausgewählten Restaurants. Eine Tüte mit Windows-Werbung wurde täglich an die Zimmertüren in allen großen Hotels gehängt. Microsofts Werbe-Strategin Pam Edstrom brachte eine Tüte persönlich zu der noblen Suite, in der die Visicorp-Manager ein Lizenzabkommen mit IBM feierten.

Die Besucher der Messe bekamen einen Windows-Sticker mit der Aufgabe, den entsprechenden Sticker-Zwilling bei den ausstellenden OEMs zu suchen, die Windows unterstützen würden. Als Belohnung für das ständige Starren auf die Namensschildchen gab es einen Coupon, natürlich für Windows. Bill Gates hielt die Comdex-Keynote, während sein Vater den Projektor mit den zusammengestückelten Windows-Dias bediente, weil die Bühnenarbeiter-Gewerkschaft streikte. Gates versprach dem Publikum, dass Windows im April 1984 ausgeliefert wird.

Im April 1984 wurde indes kein Windows ausgeliefert, sondern nur eine weitere Demo, die zeigte, dass Windows noch am Anfang der Entwicklung stand. Bill Gates erhielt den ironischen Adelstitel "Viscount of Vaporware" – und bekam von der Zeitschrift "Infoworld" tatsächlich die goldene Vaporware-Plakette, als Windows 1.0 am 10. November 1985 zur Comdex tatsächlich ausgeliefert wurde.

Da war Windows indes kein OEM-Produkt mehr, sondern eine Software, die für 99 Dollar verkauft wurde. Schließlich sollte auch der große Markt der echten IBM-PC erreicht werden. Kurz vor der ersten Auslieferung dieses ersten richtigen Windows-Systems wurde bei Microsoft diskutiert, wie ähnlich das Windows mit der grafischen Oberfläche war, die Apple für den Macintosh geschaffen hatte. Am 24. Oktober 1985 schickten Microsofts Juristen ein Schreiben an Apple und drohten mit der Einstellung aller Entwicklungsarbeiten an der Mac-Tabellenkalkulation Excel, sollte Apple wegen der Ähnlichkeiten der Oberflächen jemals vor Gericht ziehen. Apple-Chef John Sculley (Steve Jobs hatte die Firma verlassen) unterschrieb daraufhin eine entsprechende Lizenzvereinbarung – ein Schritt, den er später sehr bereute und mit einer Serie von Prozessen rückgängig machen wollte.

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Doch der Weg war frei für den Verkaufsstart von Microsoft Windows. Steve Ballmer hatte einen Heidenspaß damit, für Windows wie ein schmieriger Verkäufer zu werben, während die offizielle Werbung sich damit brüstete, dass Windows "Mauern zum Einsturz bringt". Daten aus dBase wurden nach Microsoft Write kopiert, eine Grafik aus Lotus 1-2-3 in Microsoft Paint aufgehübscht und mit In-A-Vision von Micrografx das erste Windows-Programm von einem Drittanbieter präsentiert.

In Deutschland musste man auf die Windows-Version 1.02 vom Mai 1986 warten, weil 1.0 die deutsche Tastaturbelegung nicht kannte. Insgesamt war der Zuspruch für die ersten Windows-Versionen aber sehr mäßig. Microsoft-Mitarbeiter, die Windows vorführen sollten, waren angehalten, dafür Rechner mit einer Festplatte und mit einem Intel Above Board für den erweiterten Arbeitsspeicher zu nehmen, auf dass das System performant erschien.

Der Zuspruch für Windows änderte sich erst 1987 mit Windows 2.0, als Microsoft Excel vom Mac nach Windows portierte und der Pagemaker von Aldus mit der Unterstützung von Laserdruckern erschien. Bis heute hält Windows 1.0 den Rekord für den längsten Software-Support durch Microsoft. Er wurde zusammen mit dem Support für Windows 2.0 nach 16 Jahren am 31. Dezember 2001 eingestellt. Noch ein Rekord: es dauerte fast 40 Jahre, bis das Easter Egg von Windows 1.0 in der Bitmap-Grafik eines Smileys entdeckt wurde.

(vbr)