5 Grad oder mehr? Erneute Debatte um die Klimasensitivität

Wie groß die Klimasensitivität bei steigenden CO2-Konzentrationen ist, bleibt unsicher. Wie auch immer: Sie ändert nichts daran, Emissionen zu reduzieren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 46 Kommentare lesen
Close,Up,Image,Woman,Puts,Head,On,Sofa,Cushions,Closed

(Bild: fizkes/ Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert

Seit klar ist, dass das Jahr 2023 das heißeste seit 1850 war, ist erneut eine Debatte um die Klimasensitivität von Klimamodellen entfacht.

Als Klimasensitivität bezeichnen Wissenschaftler die Temperaturänderung der Erdoberfläche, die ein mathematisches Klimamodell berechnet, wenn man den atmosphärischen CO2-Gehalt im Modell verdoppelt. Sie drückt im Wesentlichen aus, wie stark die globale Durchschnittstemperatur als Reaktion auf die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen ansteigen wird. Ihr Wert ist dabei keine Konstante, sondern ist vom jeweils herrschenden Zustand der Erdoberfläche beeinflusst.

Ein zweiter Faktor ist in dieser Debatte wichtig: Die Temperatur, die das System erreicht, wenn es unter dieser Bedingung wieder ein Gleichgewicht erreicht, die sogenannte Gleichgewichts-Klimaempfindlichkeit (Equilibrium Climate Sensitivity, ECS), ausgedrückt in Grad Celsius.

Das Klima der Erde braucht nämlich Zeit, um sich an Veränderungen der CO2-Konzentration anzupassen. So wird es beispielsweise Jahrzehnte dauern, bis sich die zusätzliche Wärme, die durch eine Verdoppelung des CO2 gebunden wird, in der Tiefsee verteilt hat.

Gegenüber der vorindustriellen CO2-Konzentration von 280 CO2-Molekülen pro Million (ppm) anderer Moleküle wäre die Verdoppelung also 560 ppm. Ohne eine drastische Verringerung der Emissionen könnte das um das Jahr 2060 herum eintreten. Nach dem derzeitigen Wissensstand würde die Klimasensitivität dann zwischen 2 und 4,5 Grad liegen. Seit vielen Jahren bleibt dieser Wert über alle Neuberechnungen hinweg konstant und wurde selbst von immer besseren Modellvarianten bestätigt. Darauf basieren die IPCC-Berichte und letzten Endes auch die Anstrengungen für politische Klimaschutzstrategien.

Bei der jüngsten Bewertung der unterschiedlichen Klimamodelle im Vorfeld des sechsten IPCC-Berichts, dem sechsten gekoppelten Modellvergleichsprojekt (CMIP6), durchbrachen 10 der 55 untersuchten Modelle jedoch die Fünf-Grad-Marke – die sogenannten "heißen Modelle".

Angesichts des rekordheißen Vorjahres schlug die populäre Wissenschaftserklärerin Sabine Hossenfelder, Physikerin am Munich Center for Mathematical Philosophy der Universität München in einem Youtube-Video vor, sich die heißen Ausreißermodelle noch einmal gründlicher anzuschauen. Denn mögliche fünf Grad und mehr globaler Erhitzung wären die Hölle für die Menschheit.

Die Autoren des sechsten IPCC-Berichts, dessen Synthese vor einem Jahr erschien, standen damals wirklich vor einem Dilemma. Einerseits zeigte die neueste Generation von Klimamodellen die übliche Bandbreite an Klimaempfindlichkeit, andererseits gab es ein paar Modelle, die auf eine höhere zukünftige Spitzenerwärmung hinwiesen.

Eine genauere Analyse von einzelnen Modellgruppen, die unterschiedliche Ausgangsannahmen zur Grundlage hatten, zeigte, dass die Klimaempfindlichkeit immer unter 4,5 Grad blieb. Diese Annahmen beruhten auf historischen Beobachtungen seit 1850, Paläoklima-Analysen der ferneren Vergangenheit aus Geo-, Eis- oder Sedimentdaten sowie rein physikalischen Gleichungslösungen. Die zehn "heißen Modelle" enthielten Annahmen zu Bildung und Verhalten von Wolken in paläoklimatischen Zeiten. Sie konnten sogar historische Temperaturen gut reproduzieren und schienen zunächst auch das Verhalten von Wolken ganz allgemein besser widerzuspiegeln. Mit geringfügigen Änderungen könnten sie sogar als Wettermodelle dienen. Dabei ist eigentlich unklar, wie sich Wolken in einem Klima vor Jahrmillionen verhielten, woraus sie bestanden und in welchen Höhen die unterschiedlichen Wolkenarten trieben.

Unter den 45 restlichen Modellen gab es ebenfalls einige, die die Wolkenphysik berücksichtigten, aber nur die aktuelle. Auch sie kamen, wie die anderen der nicht-heißen Gruppe, auf die niedrigere Klimaempfindlichkeit von unter 4,5 Grad. Sie können die historischen Temperaturen und das letzte Eiszeitmaximum zwar nicht so gut reproduzieren, stimmen aber ansonsten mit allen anderen nicht-heißen Modellen gut überein.

Aufgrund dieser Erkenntnisse änderten die Autoren des sechsten IPCC-Sachstandsberichts ihre Bewertung, indem sie nicht mehr den einfachen Mittelwert aus allen Modellen nahmen, sondern die heiß laufenden Modelle geringer bewerteten.

In einer Replik auf Hossenfelders Video wiesen die US-Klimaforscher Zeke Hausfather und Andrew Dressler darauf hin, dass in jedem Jahr Dutzende verschiedene Studien zur Klimaempfindlichkeit veröffentlicht werden, die immer neue Ansätze verwenden. Doch über hunderte verschiedener Studien hinweg blieb die beste Schätzung irgendwo zwischen 2 und 5 Grad, so die beiden Autoren. Sie raten angesichts all der widersprüchlichen Schätzungen dringend davon ab, sich auf eine einzige neue Studie zu stürzen – insbesondere, wenn sie die eigenen Voreingenommenheiten bestätigt, dass die Sensitivität hoch oder niedrig ist.

Doch letzten Endes ändert die Größe der Klimasensitivität überhaupt nichts daran, dass die Menschheit ihre Treibhausgasemissionen sehr schnell und rapide senken muss. "Diskussionen über die Klimasensitivität sind Ablenkungen", schreiben Hausfather und Dressler. Ob es nun drei oder fünf Grad sind, sei ein bisschen wie die Frage, ob ein Erschießungskommando sechs Schützen oder zehn hätte. "Es ist so oder so schlecht."

(jle)