Dengue-Krise: Brasilien setzt auf bakterieninfizierte Labor-Mücken

Brasilien steckt aktuell in einer akuten Dengue-Fieber-Krise. Aber das Bakterium Wolbachia sorgt bei übertragenden Mücken für einen praktischen Effekt.

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(Bild: James Gathany / CDC)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Cassandra Willyard
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In Brasilien steigt die Zahl der Dengue-Fälle und das Land steht vor einer massiven Krise der öffentlichen Gesundheit. Die von Mücken übertragene Viruserkrankung hat allein dieses Jahr mehr als eine Million Brasilianerinnen und Brasilianer krank gemacht und die Krankenhäuser überlastet.

Die aktuelle Dengue-Krise ist das Ergebnis des Zusammentreffens von zwei Schlüsselfaktoren. Zum einen begünstigt das in diesem Jahr oft feuchte und warme Wetter die Vermehrung der übertragenden Mückenspezies Aedes aegypti. Zum anderen sind in diesem Jahr alle vier Typen des Dengue-Virus im Umlauf, aber nur wenige Menschen haben eine Immunität gegen alle Typen aufgebaut.

Doch Brasilien ist dabei, sich zu wehren. Eine der Anti-Dengue-Strategien des Landes zielt darauf ab, die Verbreitung der krankheitsübertragenden Moskitos zu behindern, indem sie mit einem bei Insekten weit verbreiteten Bakterium der Gattung Wolbachia infiziert werden. Das Bakterium scheint die Immunreaktion der Mücken zu verstärken und es Dengue- und anderen Viren zu erschweren, in den Insekten zu wachsen. Das Bakterium konkurriert auch direkt mit den Viren um wichtige Moleküle, die diese zur Replikation benötigen. Menschen befällt Wolbachia nicht.

Das "World Mosquito Program" züchtet mit Wolbachia infizierte Stechmücken in Insektarien und setzt sie in Gemeinden aus. Dort paaren sie sich mit wilden Mücken. Wilde Weibchen, die sich mit Wolbachia-infizierten Männchen paaren, produzieren zwar Eier, diese schlüpfen allerdings nicht. Wolbachia-infizierte Weibchen wiederum bringen Nachkommen hervor, die ebenfalls infiziert sind.

Mit der Zeit verbreiten sich die Bakterien in der gesamten Population. Das größte Insektarium des Programms befindet sich im kolumbianischen Medellín, in dem Tausende von Moskitos in Netzkäfigen herumschwirren. "Wir impfen die Moskitos im Grunde gegen die Übertragung von Krankheiten auf den Menschen", sagt Bryan Callahan, der Direktor für Öffentlichkeitsarbeit.

Das "World Mosquito Program" begann 2014 mit der Freisetzung von Wolbachia-Moskitos in Brasilien. Inzwischen decken die Insekten ein Gebiet mit mehr als drei Millionen Einwohnern in fünf Gemeinden ab: Rio de Janeiro, Niterói, Belo Horizonte, Campo Grande und Petrolina.

In Niterói, einer Gemeinde mit rund 500.000 Einwohnern, die an der Küste direkt gegenüber einer großen Bucht von Rio de Janeiro liegt, wurden 2015 die ersten kleinen Pilotversuche gestartet, und 2017 begann das "World Mosquito Program" mit größeren Einsätzen. 2020 hatte Wolbachia einen Großteil der Mückenpopulation von Niterói infiltriert: Die Prävalenz des Bakteriums reichte von 40 Prozent in einigen Teilen der Stadt bis zu 80 Prozent in anderen.

Als die Forscher das Vorkommen von Viruserkrankungen in den Gebieten, in denen Moskitos freigesetzt worden waren, mit der in einer kleinen Kontrollzone verglichen, die keine Moskitos erhalten hatte, stellten sie einen Rückgang der Dengue-Fälle um 69 Prozent fest. In Gebieten mit Wolbachia-Mücken ging auch die Zahl anderer von Mücken übertragenen Infektionen zurück: Chikungunya-Fälle nahmen um 56 Prozent und Zika-Fälle um 37 Prozent ab.

Wie ergeht es Niterói während der aktuellen Welle? Für ein abschließendes Urteil ist es noch zu früh. Erste Daten sind allerdings ermutigend. Die Zahl der Dengue-Neuerkrankungen (Inzidenz) ist mit 69 bestätigten Fällen pro 100.000 Einwohner eine der niedrigsten im ganzen Bundesstaat. In Rio de Janeiro, einer Stadt mit fast sieben Millionen Einwohnern, gab es mehr als 42.000 Fälle, was einer Inzidenz von 700 pro 100.000 entspricht.

"Niterói ist die erste brasilianische Stadt, die wir vollständig mit unserer Wolbachia-Methode geschützt haben", sagt Alex Jackson, Global Editorial and Media Relations Manager für das "World Mosquito Program". "Die gesamte Stadt ist von Wolbachia-Mücken abgedeckt, weshalb die Dengue-Fälle deutlich zurückgehen."

Das Programm hofft, in diesem Sommer in sechs weiteren Städten Wolbachia-Mücken freisetzen zu können. Allerdings hat Brasilien mehr als 5.000 Gemeinden. Um die Gesamtzahl der Dengue-Fälle in ganz Brasilien zu senken, müsste das Programm Millionen weiterer Moskitos freisetzen. Genau das ist der Plan.

Das "World Mosquito Program" steht kurz vor dem Baubeginn der größten Massenaufzuchtanlage der Welt in Curitiba. "Wir glauben, dass wir damit innerhalb der nächsten zehn Jahre den größten Teil des städtischen Brasiliens abdecken können", sagt Callahan.

Neben dem "World Mosquito Program" sind noch eine ganze Reihe weiterer Ansätze auf Moskitobasis in Arbeit. Das britische Unternehmen Oxitec liefert seit 2018 gentechnisch veränderte "freundliche" Moskitoeier nach Indaiatuba in Brasilien. Die Insekten, die daraus schlüpfen – allesamt Männchen –, stechen selbst keine Menschen. Sobald sie sich paaren, überleben ihre weiblichen Nachkommen nicht, was die Populationen reduziert.

Ein weiteres Unternehmen namens Forrest Brasil Tecnologia hat in Teilen von Ortigueira sterile männliche Moskitos ausgesetzt. Wenn sich diese Männchen mit wilden Weibchen paaren, produzieren sie Eier, die nicht schlüpfen. Von November 2020 bis Juli 2022 verzeichnete das Unternehmen in Ortigueira einen Rückgang der Aedes aegypti-Population um 98,7 Prozent.

Darüber hinaus arbeitet Brasilien auch daran, seine Bürger mit einer besseren Immunität auszustatten, indem es den am stärksten gefährdeten Personen einen neuen Impfstoff aus Japan anbietet und gleichzeitig an einem eigenen Dengue-Impfstoff arbeitet.

Keine dieser Lösungen ist eine schnelle Lösung. Aber sie alle geben Anlass zur Hoffnung, dass die Welt Wege finden kann, sich zu wehren, selbst wenn der Klimawandel Dengue-Fieber und andere Infektionen auf neue Höchststände und in neue Gebiete treibt. "Die Fälle von Dengue-Fieber nehmen in alarmierendem Maße zu", sagte Gabriela Paz-Bailey, Spezialistin für Dengue-Fieber bei der US-Seuchenschutzbehörde CDC (US Centers for Disease Control and Prevention) gegenüber der Washington Post. "Es entwickelt sich zu einer öffentlichen Gesundheitskrise und kommt an Orte, an denen es noch nie aufgetreten ist."

(vsz)