Bunker rettet wertvolle Samen

Im syrischen Bürgerkrieg drohen unschätzbare landwirtschaftliche Güter verloren zu gehen – doch es gibt Hilfe.

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Bunker rettet wertvolle Samen

(Bild: ICARDA)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Gregor Heppel

Ali Shehadeh tritt aus der Tür einer bizarren Konstruktion, eingegraben in einen schneebedeckten Berg im arktischen Norden Norwegens. In seinen Händen trägt er eine schwarze Box mit der Aufschrift "ICARDA". Das Kürzel steht für das "Internationale Zentrum für landwirtschaftliche Forschung in Trockengebieten". In der Kiste findet sich ein Gut von unschätzbarem Wert: Damit will Shehadeh die im syrischen Bürgerkrieg verlorene Samenbank wieder aufbauen.

Dem "Doomsday Vault", dem globalen Samentresor auf Spitzbergen, sollte eigentlich für viele Jahre nichts entnommen werden, er war als Zukunftssicherung gedacht. Aber der Krieg in Syrien zwang Shehadeh bereits sieben Jahre nach Eröffnung des Tresors, die 116000 Sicherheitskopien seiner Organisation zu entnehmen.

Sie lagen ursprünglich in einer Samenbank im Dorf Tal Hadya, 20 Kilometer von der syrischen Stadt Aleppo entfernt. Auf den umgebenden Feldern wuchsen neben Weizen und Gerste auch Hülsenfrüchte wie Linsen und Kichererbsen. Aber es waren keine gewöhnlichen Pflanzen: Viele sind eigentlich längst ausgestorben, verdrängt von den Monokulturen der Hochleistungssorten.

Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN sind im vorigen Jahrhundert drei Viertel der Pflanzen-diversität verloren gegangen. Deshalb werden Samenbanken wie die vom ICARDA immer wichtiger. Die Institution hat sich dabei auf Pflanzen aus dem "fruchtbaren Halbmond" spezialisiert, der sich vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer erstreckt.

Shehadeh sammelt seit 1985 für ICARDA als Mitarbeiter der Abteilung Genetische Ressourcen Pflanzen in Ländern wie Ägypten, Jordanien und dem Libanon. Seine Funde brachte er früher nach Tal Hadya. Wenn die Pflanzen untersucht und charakterisiert worden waren, wurden sie angepflanzt, vermehrt und anschließend in kleinen, vakuumierten Aluminiumtüten verpackt.

Die Tüten landeten fein säuberlich sortiert in den Kühlkammern des Instituts, wo sie mindestens 100 Jahre hätten lagern können. Mehr als 150000 verschiedene Sorten umfasste die Sammlung am Ende in Syrien. Doch der Bürgerkrieg drohte sie zu zerstören. Den Kriegswirren waren zuvor schon die Samenbanken der Organisation im Irak und in Afghanistan zum Opfer gefallen.

Der Verlust der syrischen Sammlung hätte auch Folgen für Europa und die USA gehabt. "Die Samenbank konserviert die Diversität, die gebraucht wird, um neue Arten zu entwickeln, die gegen Hitze und Trockenheit, Schädlinge und Krankheiten bestehen können", sagt Ahmed Amri, bei ICARDA Leiter der Abteilung Genetische Ressourcen. Mit dem Klimawandel wird dies immer wichtiger, wie das Beispiel der Hessenfliege zeigt.

Bisher konnte der Weizenschädling nur in den südlichen, wärmeren Regionen der USA überleben. Aufgrund des Klimawandels dringt er nun jedoch in den Mittleren Westen vor, die Kornkammer der USA, und verursacht Ernteeinbußen von bis zu zehn Prozent. Rettung könnte die wilde Art Aegilops Tauschii aus der ICARDA-Samenbank bringen, die resistent gegen die Hessenfliege ist. Das haben Experimente an der Kansas State University gezeigt.

Als die Wissenschaftler im Sommer 2012 die Ernte in Tal Hadya einbrachten, ahnten sie: Es würde auf lange Zeit die letzte sein. Kurze Zeit später besetzten Rebellen das Gelände. Die ausländischen Wissenschaftler flohen außer Landes, die verbliebenen syrischen Mitarbeiter wichen mit Shehadeh nach Aleppo aus. Zunächst behielten sie immerhin noch die Kontrolle über die Kühlkammern. Shehadeh glaubt, die Rebellen hätten die Bedeutung der Sammlung verstanden.

So gelang es den Wissenschaftlern in den nächsten Jahren noch, Zehntausende der Samen aus ihrer Sammlung nach Spitzbergen und an Züchter in der ganzen Welt zu verschicken. Doch als die syrischen Regierungstruppen Ende 2015 immer näher rückten, verloren die Wissenschaftler endgültig den Zugang. Das ICARDA beschloss daraufhin, zwei neue Zentren aufzubauen, eins in Marokko, ein zweites im Bekaa-Tal im Libanon. Shehadeh sollte den Aufbau der libanesischen Genbank überwachen, und dorthin brachte er die Samen aus Norwegen.

Mittlerweile sind knapp 70000 Samen aus dem Spitzbergen-Reservoir multipliziert worden. Die neuen Samenbanken in Marokko und im Libanon umfassen zusammen etwa 90000 Exemplare. "Es dauert aber noch bis mindestens 2023, bis Züchter und Forscher wieder Zugriff auf die komplette Sammlung von 156000 Samen haben", sagt Amri. "Der Syrienkrieg hat die Wissenschaftler um Jahrzehnte zurückgeworfen." Wie es um die Anlagen in Tal Hadya bestellt ist, weiß niemand. Fotos zeigen Bombenkrater auf den Feldern. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Shehadeh wieder zurückkehren kann.

(bsc)