Der Futurist: Betonköpfe

Was wäre, wenn wir CO2 aus der Atmosphäre waschen könnten?

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Der Futurist: Betonköpfe

(Bild: Mario Wagner)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

"Gleich. Noch ein bisschen." Vorsichtig drückte David den Mast einige Millimeter nach vorn. Eine Unachtsamkeit, und der CO2-Kescher würde auf den Boden donnern.

"Jetzt ist er gerade!", rief Eva. Schnell drückte David den Knopf für die Verriegelungsautomatik, die Haltefüße klappten aus, und das Interface des Keschers forderte ihn auf, einen Sicherheitsabstand von zwanzig Metern einzunehmen. Dann drückte sich der Bohrer im Innern des Keschers kreischend in den Boden hinein.

Irgendwann war die Verdübelung beendet. Eva drückte Davids Hand. Es war immer wieder ein Erlebnis, einen Kescher beim Entfalten zu beobachten. Wie eine Pflanze, die im Zeitraffer wuchs, fuhr der Stamm in die Höhe und entblätterte kranzartig seine Äste, zunächst die erster Ordnung, dann die zweiter, dritter und so weiter, bis ein fraktales Geflecht aus Miniaturzweigen entfaltet war, die in Millionen dünner Härchen endeten. In ihnen waren Nano-Harzkügelchen, die CO2 aus der Luft fingen und im Stamm sammelten. Pro Jahr bis zu zehn Tonnen, je nach Wind.

"Er glitzert so schön", sagte Eva. David nickte und überschlug im Kopf die Zahlen. Er hatte den Kescher für 5000 Euro gekauft, für jede aus der Atmosphäre eliminierte Tonne Kohlendioxid bekam er 100 Euro, nach fünf Jahren würde der Kescher sich amortisiert haben und danach Geld abwerfen – und außerdem ein gutes Gewissen.

Am nächsten Tag begrüßte ein Schreiben des Herstellers David als neuen CO2-Wäscher: "Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihre Senke in zwei Wochen installieren werden."

Senke?, wunderte sich David. Einmal im Monat würde doch das im Mast gespeicherte CO2 abgeholt werden?

Der Futurist

(Bild: 

Mario Wagner

)

"Was wäre, wenn ...": TR-Autor Jens Lubbadeh und die Redaktion lassen in der Science Fiction-Rubrik der Kreativität ihren freien Lauf und denken technologische Entwicklungen in kurzen Storys weiter.

Er kramte die Broschüre heraus. Auf den hinteren Seiten las er unter dem Punkt "Speicherung (Senke): Laut CO2-Wäschegesetz sind Anlagenbetreiber verpflichtet, ausreichend Speicherfläche für mineralisiertes CO2 zur Verfügung zu stellen. Die Installationskosten trägt der Anlagenhersteller."

Das klang beruhigend.

Zwei Wochen später klingelte es an der Tür.

"Moin!", begrüßte ihn der Arbeiter. "Wir wollen die Senke installieren. Wohin möchten Sie sie haben?"

David wunderte sich über die Dampfwalze, die hinter dem Mann stand. Er überlegte kurz: "Am besten neben dem Komposthaufen." Dort würde die Senke am wenigsten stören.

Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.

Einige Stunden später klingelte es wieder. "Wir sind dann so weit, Chef. Nächstes Jahr legen wir die nächste Schicht."

David runzelte die Stirn. Nächste Schicht? Als er seinen Garten betrat, traf ihn fast der Schlag. Dort, wo zuvor sein Garten gewesen war, erstreckte sich eine riesige Fläche aus Beton. Sie war etwa dreißig Zentimeter hoch.

Empört rief er beim Hersteller an.

"Es tut uns sehr leid, Herr Demain. Aber nach dem CO2-Wäschegesetz sind Betreiber von…"

"Herrgott! Das Kleingedruckte habe ich auch gelesen!", schrie David in den Hörer. "Aber Sie können mir doch nicht einfach meinen Garten zubetonieren!"

"Herr Demain, irgendwo muss das Zeug doch gelagert werden. Beton ist nun einmal die sinnvollste Anwendung für das darin gespeicherte mineralisierte CO2."

"Muss das ausgerechnet in meinem Hinterhof sein?"

"Na, Sie sind mir ja einer. Klimaschutz ja – aber not in my backyard? Sollen wir etwa noch mehr Autobahnen bauen? Oder die Nord- und Ostsee vollschütten? Beim Kampf gegen den Klimawandel ist jeder gefragt, Herr Demain."

(jlu)