Der etwas andere Gesundheits-Atlas

Einem internationalen Forscherverbund ist es jetzt gelungen, die genetischen Unterschiede zwischen einigen hundert Menschen aus vier Nationen zu identifizieren.

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Von
  • Erika Jonietz

Großes kann ganz klein sein: Schlicht HapMap heißt das internationale Projekt, dass Genforscher im Oktober 2002 ins Leben riefen. Und auch die Informationen, die sie in eine Landkarte packten, könnten nicht unscheinbarer sein. HapMap ist eine Sammlung winziger Änderungen des menschlichen Erbguts -- 269 Menschen aus Nigeria, China, Japan und dem Bundesstaat Utah in den USA haben dafür ihr Genom zur Verfügung gestellt.

"Das Wissen über die genetischen Unterschiede zwischen Menschen erlaubt uns endlich die Fragen anzugehen, auf die wir Antworten haben möchten -- etwa welche Gene bei Brust- oder Prostatakrebs oder etwa Diabetes beteiligt sind", sagt Brian E. Henderson, Dekan der Keck School an der University of Southern Carlifornia. Etwa sechs Milliarden Bausteine, die Nukleotide, umfasst das menschliche Erbgut. Obwohl grob gerechnet 99,9 Prozent des Erbguts bei jedem Menschen identisch sind, bleiben noch Millionen winziger Unterschiede, die einen jeden so einzigartig machen -- die so genannten Single Nucleotid Polymorphismen (SNPs -- gesprochen snips).

Innerhalb von drei Jahren fanden die HapMap-Forscher mehr als drei Millionen dieser SNPs und speisten sie in eine Datenbank. Mehr als 200 Wissenschaftler aus Kanada, China, Japan, Nigeria, Großbritannien und den Vereinigten Staaten arbeiten an der Landkarte der Individualität. Unter der Leitung von Peter Donnelly von der University of Oxford und David Altshuler, Direktor vom Broad Institute of Havard and Massachusetts Institute of Technology in Boston, veröffentlichte das Team am 27. Oktober dieses Jahres die erste große Datenanalyse im renommierten Fachmagazin Nature, in der über eine Million dieser genetischen Variationen untersucht wurden.

Bereits 2001 fand Mark J. Daly, damals noch am Whitehead Institute heute am Broad Institute, heraus, dass diese veränderten DNA-Bausteine in großen Abschnitten, den Haplotypen, vererbt werden (daher der Name HapMap). Hunderte von SNPs können in einem Bereich der DNA liegen. Alle sind miteinander verbunden, sodass jeder, der an einer bestimmten Stelle eines Chromosoms eher ein A- als ein G-Nukleotid trägt, auch dieselbe genetische Variante in anderen SNPs in dieser Region aufweisen wird. Und für viele Haplotypen existieren lediglich drei oder vier Muster einer Variation. Mit Hilfe eines Katalogs dieser Abschnitte könnten Genetiker die Erbgutunterschiede, die bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen aber auch psychischen Erkrankungen auftreten, sehr viel effizienter identifizieren als durch die Analyse jedes einzelnen SNPs.

Ein Jahr später macht sich das Internationale HapMap Konsortium daran, eine Bestandsaufnahme der Millionen von SNPs zu erstellen und die charakteristischen Muster eines jeden Haplotyps zu identifizieren. Heute umfasst die Datenbank mehr als 3,5 Millionen SNPs. Aus diesen Informationen fischen Forscher nun so genannte tag-SNPs heraus. Veränderungen, die für einen ganzen Abschnitt die genetische Variation beschreiben. Mit anderen Worten: Die Wissenschaftler müssen nur wenige SNPs, die für ein Muster charakteristisch sind, kennen und prüfen, wo sie auf dem Chromosom liegen, um die "Leerstellen" für jeden anderen SNP des Haplotyps aufzufüllen. Das erlaubt ihnen sehr viel effizienter als zuvor die genetischen Muster von Kranken und Gesunden zu untersuchen.

Tatsächlich gehen die Experten davon aus, dass sie mit einer gründlichen tag-Auswahl, lediglich ein Zehntel der annähernd zehn Millionen SNPs-Stellen prüfen müssen. Ihre Daten wurden bereits genutzt, um Gene, die mit altersbedingter Makular Degeneration -- einer Augenerkrankung, die als die Hauptursache für Blindheit im Alter gilt --, zu identifizieren. In anderen Studien suchen Forscher derzeit nach Genen, die bei Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle spielen.

Außerdem hat das HapMap-Projekt zu einer rasanten Technologieentwicklung beigetragen. "Zu Beginn des Projekts kostete es etwa einen Dollar, ein SNP eines Patienten an einer Stelle zu bestimmen. Und die Forscher konnten maximal einige Hundert pro Tag testen. Heute ist der Preis auf weniger als ein Cent pro SNP gesunken und Millionen können innerhalb eines Tages aufgespürt werden. Auch die Genauigkeit der Tests hat enorm zugenommen", so Daly.

Doch möglicherweise gibt es einen ernsthaften Haken an der Sache: Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass man ein Gen hervorhebt, das mit einer bestimmten Eigenschaft -- wie Intelligenz oder sexuelle Präferenzen -- in Zusammenhang steht, letztlich aber keine Rolle für diese Eigenschaft spielt, werde extrem hoch sein, meint Daly. "Wenn man ein Spiel Poker-Karten austeilt, bekommt man kein Full House. Bei 100.000 Spielen aber kommt man nicht umhin, einige wirklich gute Karten zu sehen -- statistisch."

So könnte es auch den Wissenschaftlern mit ihren genomweiten Studien ergehen: Ein oder mehrere Gene könnten sich als "richtig gut" erweisen. Daly's Warnung: "Diese Dinge werden durch Zufall passieren und haben nichts mit der Ursache zu tun." Deswegen hoffen die Mitglieder des HapMap-Konsortiums, dass die Daten hauptsächlich für medizinische Zwecke eingesetzt werden. Sie stießen das Projekt in dem Bestreben an, die Suche nach Genen zu beschleunigen, die einen Einfluss auf Volkskrankheiten wie Krebs und Diabetes haben -– und nicht etwa, um sexuelle Vorlieben zu erforschen. "Das Ziel dieses Projekts ist eindeutig medizinisch: Wir wollen Untersuchungen an gesundheitlich bedeutsamen Genen vorantreiben, und wir wollen es so machen, dass möglichst alle Menschen rund um den Erdball davon profitieren", sagt Mark J. Dally, Leiter der HapMap-Analysen am Broad Institut. Und so dringen sie auch in der Nature Veröffentlichung auf Umsicht: "Wir mahnen zu konservativem und zurückhaltendem Umgang bei der Verbreitung und Interpretation solcher Studien", besonders wenn nicht-medizinische Merkmale untersucht werden.

Die Tatsache, dass die HapMap-Daten von Menschen in Nigeria, China, Japan und den Vereinigten Staaten gewonnen wurden birgt eine zusätzliche Gefahr: Dass die Verbindung zwischen Genvarianten und bestimmten Eigenschaften in einigen Bevölkerungen (fälschlicher Weise) stärker als in anderen erscheinen. "Das ist ein riesiger Datensatz, der tatsächlich viele kurzsichtige, kulturelle Vorurteile fördern könnte", warnt Langley. "Jeder ist aus diesem Grund sehr angespannt. Es liegt an der wissenschaftlichen Gemeinschaft mit jedem Fall so rigoros wie möglich umzugehen."

Doch die Haplotyp-Abschnitte unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen unterscheiden sich sowohl in der Länge als auch in der Ausprägung ihrer Variationsmuster. Diese Tatsache machte es für die Wissenschaftler notwendig, Menschen verschiedener ethnischer Zugehörigkeiten zu untersuchen. Der Katalog der Haplotyp-Muster soll nun ihre Jagd nach krankheitsrelevanten Genen, eben den "tag SNPs", beschleunigen.

Vorhergehende Studien deuten darauf hin, dass die Forscher einen großen Teil der genetischen Vielfalt weltweit erfassen könnten, in dem sie Stichproben aus Bevölkerungen mit direktem europäischen, afrikanischen und asiatischen Ursprung nehmen. Doch die Forscher haben bereits begonnen, weitere Bevölkerungsgruppen zu untersuchen und zu prüfen, wie gut sich die HapMap-Daten auf sie anwenden lassen. "Die Berichte, von denen ich hörte, sind sehr ermutigend", sagt Donnelly. "So wurden zwar europäische Stichproben von Bewohnern aus Utah entnommen. Doch nach den Daten, die ich gesehen habe, könnte es sich auch um eine Studie an Deutschen oder Briten oder Franzosen handeln. Sie lassen sich sehr gut hochrechnen."

Charles N. Rotimi, der die Sammlung der nigerianischen Proben koordinierte, unterstreicht die Bedeutung weiterer Bevölkerungsstudien. "Wir möchten sicherstellen, dass die sehr detaillierten Informationen über genetische Unterschiede, die wir heute haben, bei allen ethnischen Gruppen angewandt werden können", sagt Rotimi, Direktor des Instituts für genetische Epidemiologie am National Human Center der Howard University. "Der beste Weg, dies zu prüfen, weitere Gruppen mit einzubeziehen."

Tatsächlich fördert das U.S. National Human Genom Research Institut bereits Studien für die Untersuchung an sieben weiteren Bevölkerungsgruppen: afrikanische Einwohner aus dem Südwesten der Vereinigten Staaten, China-Amerikaner aus Denver, Menschen aus Huston in Texas, die von den Gujarati Indianern abstammen, Luhya aus Eldoret in Kenia, die Maasai aus Webuye in Kenia, mexikanische Einwohner aus Los Angeles und Menschen aus Sesto in der italienischen Toskana.

Wenn man sich all diese Daten zu nutzen machte, und sie weltweit auf Patienten anwenden würde, könnten Genetiker die Aussagekraft ihrer Studien verbessern, um Zusammenhänge zwischen genetischen Veränderungen und Volkskrankheiten, wie Krebs, Diabetes, Asthma zu zeigen, sagt Rotimi. Der Schlüssel, um viele solcher Verbindungen zu entdecken, werde internationale Zusammenarbeit sein, meinen die Forscher. Der Vorteil ist rein statistisch und leicht ersichtlich: "Wenn viele Arbeitsgruppen zusammenarbeiten, steigert man die eigene Leistung, schon allein weil man größere Teilnehmerzahlen untersucht", so Rotimi.

Und die Genforscher könnten Studien von verschiedenen Bevölkerungsgruppen in einer weiteren Hinsicht nutzen, ergänzt Rotimi. So ist es gut möglich, dass sie ihre Genjagd bei den Europäern beginnen, die dazu neigen, längere dafür weniger Haplotyp-Abschnitte zu tragen -- und deswegen einfacher zu untersuchen sind. Anschließend könnten sie die Suche, nach der genauen Position verfeinern, in dem sie sie auf ältere, afrikanische Gruppen ausdehnen, die kürzere Haplotypen erbten. Das würde die Abschnitte eingrenzen und ihnen vielleicht sogar ermöglichen, spezifische Gene zu identifizieren und herausfinden, wo sie genau liegen.

Außerdem, so Rotimi, bringt das HapMap Forscher zum ersten Mal in die Lage, Fragen nach Gen-Umwelt-Beziehungen anzugehen. "Nun hat man die Menschen, die von den verschiedensten Erdteilen kommen, und man hat die Gelegenheit unterschiedliche Umweltfaktoren zusammen mit den individuellen genetischen Abweichungen zu untersuchen", sagt er.

Tom Hudson, der am Anfang des HapMap-Projekts als Assistent des Direktors des Whitehead Institute für Genomforschung arbeitete, stimmt ihm zu. Inzwischen ist er Direktor des Montreal Genom Centre and Genome Quebec Innovation Centre an der McGill University und hat eine von mehreren internationalen Studien initiiert, die mit Hilfe der HapMap-Daten menschliche Krankheiten erforschen wollen.

Am Montreal Center läuft derzeit eine Studie, für die das gesamte Erbgut von 1200 Darmkrebs-Kranken und 1200 gesunden Teilnehmern nach den winzigen genetischen Unterschieden abgesucht wird. Die besten Genkandidaten aus dieser Phase sollen bei weiteren 5000 Patienten aus Washington, Neupfundland, Ontario und Frankreich überprüft werden. "Viele Arbeitsgruppen, die sich auf bestimmte Krankheitsgebiete spezialisiert haben, schließen sich in übergreifenden Verbänden wie das HapMap zusammen", sagt Hudson. "Wir brauchen einfach viele Teilnehmer oder Familien in diesen Untersuchungen, die eine Gruppe allein gewöhnlich nicht aufbringen."

In eigenen Studien fahndet Hudson bereits in 150 Kandidaten-Genen für kindliches Asthma unter 5000 kleinen Asthmatikern und weitere 200 Genen in 15.000 Herzinfarktpatienten nach genetischen Abweichungen. Sein Ziel ist es, einen tieferen Einblick in die Zusammenhänge zwischen Genen und Umweltbedingungen beim Ursprung der Krankheit zu verstehen. Eine weitere Gruppe am Montreal Genom Centre will mit einer genomweiten Studie Gene aufspüren, die mit Typ II Diabetes in Zusammenhang stehen.

Andere Forscherteams haben mit ähnlich großen Untersuchungen begonnen: Donnelly leitet derzeit ein britisches Konsortium, dass nach Genen sucht, die mit vielen Krankheiten in Bezug stehen: Diabetes Typ I und II, Bluthochdruck, Herzkranzgefäß-Krankheiten, bipolare Störungen, Morbus Crohn, rheumatoider Athritis und einer Anfälligkeit für Tuberkulose. In Japan planen Wissenschaftler bei 300.000 Menschen nach Genen, die mit 47 Krankheiten in Verbindung stehen, zu fahnden.

David Altshuler erwartet, dass die Wissenschaftler mit ihrer Arbeit schnell vorankommen werden. Zum ersten Mal, hebt er hervor, könnten Forscher rund um den Erdball das gesamte Erbgut nach Genen durchforsten, die mit den häufigsten Volkskrankheiten in Verbindung stehen. Und obwohl noch Jahre vergehen, bevor erste diagnostische Tests und Behandlungen, die auf diesen Erkenntnissen beruhen, die Patienten erreichen, könnten die Ergebnisse die Volksgesundheit weltweit verändern. "Ich denke, dies ist ein Wendepunkt", sagt Altshuler. (wst)