Kommentar: Wir brauchen keine Twitter-Alternative

Alle suchen die Twitter-Alternative. Alle? Nein, Eva-Maria Weiß findet, es braucht nicht die eine einzige Alternative.

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(Bild: William Perugini/Shutterstock.com)

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Lesezeit: 5 Min.
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Hinweis: Dieser Kommentar wurde anlässlich der Freigabe von Threads Anfang Juli veröffentlicht.

Twitter versandet, wir haben es langsam alle verstanden. Nur Elon Musk nicht, der glaubt offensichtlich noch immer, dass er das Ruder herumreißen kann, wenn er auf der einen Seite nur ausreichend spart und auf der anderen Seite für die verbleibenden Funktionen Geld nimmt. Dass das zum Erfolg führt, ist unwahrscheinlich. Was tun also ohne Twitter? Zig Dienste schicken sich an, die Nachfolge antreten zu wollen – Threads von Meta, Bluesky, Mastodon. Sie haben eins gemeinsam: Das Protokoll. Zumindest ist das angedacht, wenn auch noch nicht zu Ende gedacht. Vielleicht braucht es also nicht die eine einzige Alternative. Es gibt mehr Gründe, die für eine Diversifikation sprechen.

Das Loch, das Twitter reißen könnte, trifft vor allem Journalisten und Politiker. Es gibt auch ein paar Menschen, die da spaßeshalber abhängen und solche, die dort ihr Geld verdienen, das sind aber doch eher Ausnahmen. Twitter ist vor allem wichtig, weil man so kurzfristig und kurzweilig erfassen kann, was in der Welt geschieht. Journalisten geben dies weiter. Dadurch ist die Relevanz von Twitter tendenziell größer als die Nutzerschaft.

Politiker wiederum versuchen, Journalisten zu erreichen. Deshalb war und ist Twitter für sie von Interesse. Klar, sie versuchen, dort auch alle anderen Menschen zu informieren. Bei Twitter und in den sozialen Medien geht das bekanntlich besonders niedrigschwellig, man ist nah dran, erfährt viel, ach Quatsch, das ist durch und durch professionalisiert.

Ein Kommentar von Eva-Maria Weiß

Eva-Maria Weiß hat an der Universität Wien Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienpsychologie studiert und arbeitet seither als Journalistin.

Gleiches gilt für Unternehmen, die auf Twitter aktiv sind. Das kann mitunter ausgesprochen lustig sein, etwa wenn Dr. Oetker nach Jahren der Aufforderung eines Twitter-Nutzers endlich seinem Wunsch nachkommt und eine Spinatpizza mit Fischstäbchen herausbringt. Aber der Spaßfaktor ändert nichts an der Professionalität. Unternehmen können Sympathien gewinnen, es ist am Ende eine Form von Werbung in Tweets. Versuchen wir, mit diesen Gedanken, die Twitter nur zum Teil abbilden, den Abschied zu erleichtern.

Facebook war einst die Plattform der Plattformen. Die meisten werden sich auch dort verabschiedet haben. Zwar steigen die Nutzerzahlen laut Meta nach wie vor, die Relevanz ist zumindest hierzulande inzwischen gering. Als die Eltern kamen, gingen die Kids – lieber weg als fremdschämen. Und auf sie ist inzwischen schon längst die nächste Generation gefolgt, die ihre eigenen Apps gefunden hat. Apps in der Mehrzahl, denn das ist es, worauf es anscheinend hinausläuft. Vorbei die Zeiten, in denen man auf Facebook oder Twitter versteift war. Statt einer Anlaufstelle gibt es nun viele.

Ein Konto bei Instagram, eines bei Tiktok, Snap ist dabei, BeReal und freilich jetzt auch Threads und Bluesky, sofern man denn in den USA lebt beziehungsweise eine Einladung erhalten hat. Mastodon profitiert von jedem Ruckeln bei Twitter. Artifact schlägt Artikel vor, die zu ausgewählten Themen passen oder die von Freunden gelesen wurden. Artikel zu teilen, macht einen Teil von Twitter aus, die App könnten diesen Part ersetzen. Aber auch das reicht noch nicht.

Hinzukommen inzwischen die Messenger, deren Umfang immer mehr soziale Elemente umfasst. Da wären die Status-Meldungen, die es bei WhatsApp, Signal und Telegram gibt. Sie sind doch eigentlich der Ursprung von Social Media – bevor die Plattformen von Werbung dominiert wurden und Influencer den Status professionalisierten. In Kanälen, von Broadcast-Channel bis öffentlicher Gruppe, wird kommuniziert, wie es einst für Seiten und Gruppen bei Facebook gedacht war.

Nun erwarten viele Menschen, dass sich ein Dienst als Alternative herauskristallisieren würde. Dafür spricht aber gerade gar nichts. Ganz im Gegenteil tummeln sich auf den Smartphones vieler Menschen die sozialen Netzwerke verschiedener Ausprägungen. Hier ein paar Daten für China via Tiktok, da noch ein bisschen mehr Futter für Mark Zuckerbergs Konglomerat an Diensten, und dort die Server im Fediverse zum Ächzen bringen.

Die Hoffnung, dass sich Mastodon und das Fediverse beziehungsweise eine Anbindung an das Protokoll ActivityPub durchsetzen, wird selbst auf Mastodon direkt kontrovers diskutiert. Während die einen darauf hoffen, eine möglichst umfassende Infrastruktur aufbauen zu können, die selbst einen Anschluss zu Metas Plattformen zulässt, wünschen sich andere eine klarere Abschottung – oft weniger aus ideellen als aus praktischen Gründen, da die Moderation und Server ehrenamtlich betrieben werden. Und wegen diffuser Datenschutzbedenken, aktuell befeuert durch die Vielzahl an Daten, die Threads verarbeitet.

Sowohl die Vielzahl der sozialen Netzwerke als auch das Prinzip des Fediverse sprechen für eine Diversifikation von Social Media. Es muss auch gar nicht eine Twitter-Alternative geben. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Wer sich finden will, wird sich finden.

(emw)