Die Welle lebt

Mit "Wave" hatte der Onlineriese Google einen Echtzeitkommunikationsdienst geschaffen, diesen aber schnell wieder eingestellt. Doch Aspekte des Angebots existieren nun ausgerechnet in Geschäftssoftware weiter.

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Von
  • Kristina Grifantini

Mit "Wave" hatte der Onlineriese Google einen Echtzeitkommunikationsdienst geschaffen, diesen aber schnell wieder eingestellt. Doch Aspekte des Angebots existieren nun ausgerechnet in Geschäftssoftware weiter.

Als Google vor mittlerweile zwei Jahren seinen Dienst "Wave" startete, sprach das Unternehmen davon, eine "ganz neue Kategorie" der Online-Kommunikation geschaffen zu haben. Das Beste aus E-Mail, Instant Messaging sowie Bilder-, Dokumenten- und Link-Austausch sollte der Service bieten.

Dabei ging das Angebot im Bereich Instant Messaging tatsächlich deutlich weiter als die Konkurrenz: Man konnte seinen Gesprächspartnern in nahezu Echtzeit beim Tippen zusehen. Das bedeutete, dass der Empfänger jeden einzelnen Buchstaben angezeigt bekam, noch bevor sein Gesprächspartner seinen Satz zu Ende formuliert hatte.

Der Ansatz war recht radikal: Wer Wave einmal nutzte, konnte anderen dabei zusehen, wie sie ihre Gedanken eintippten, etwas weglöschten, neu eintippten und dann auch noch Rechtschreibfehler korrigierten. Viele Nutzer, die die Idee anfangs interessant fanden, blieben schnell wieder weg – es erschien ihnen nicht besonders nützlich zu sein. Auch Google erkannte schließlich, dass Wave auch bei seinen anderen Funktionen offenbar zu kompliziert gewesen war: Das Projekt wurde nach nicht einmal anderthalb Jahren eingestellt, nur noch ein Open-Source-Kern blieb übrig.

Nun scheint Google Wave dennoch weiterzuleben: Ausgerechnet in Geschäftssoftware. Durch den freigegebenen Code war es möglich, Teile der Lösung in andere Projekte zu übernehmen. Eine der Firmen, die das tut, ist Novell. Dessen neues Vibe-Cloud-Paket, mit dem Unternehmensmitarbeiter über das Internet zusammenarbeiten sollen, bedient sich mehrerer Wave-Funktionen. Die Software, die aktuell in einer Betaversion vorliegt und später als freie Variante sowie kostenpflichtige Geschäftsversion vertrieben werden soll, besitzt ebenfalls ein "Co-Editing"-Feature. Auch Dateiaustausch und weitere Messaging-Funktionen wurden in ein Wave-artiges Interface gepackt. Ebenfalls integriert ist das Protokoll Federation, mit dem Kontakt zu anderen Wave-Servern aufgenommen werden kann.

Die Frage ist allerdings, ob sich die Technik nun in dieser Form durchsetzen kann. Wendy Steinle, Direktorin für Produktmarketing im Bereich "Collaborative Solutions" meint, Vibe Cloud habe einen genauer definierten Zweck als das alte Wave: Den Menschen zu helfen, innerhalb von Unternehmen gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten. "Im Zusammenhang mit dem Job ist das viel sinnvoller." Die Nutzer bräuchten die von Wave angedachte Echtzeitkommunikation weniger in ihrer Freizeit, als für das Brainstorming von Geschäftsideen.

Social Networking allein werde Firmen nicht helfen, produktiver zu sein, meint Steinle. Enterprise-Anwendungen, die nur Twitter- oder Facebook-Updates nachahmten, seien nicht hilfreich, um aus einem kurzen Austausch zwischen Kollegen eine breitere Idee oder gar einen Businessplan zu entwickeln. Vibe Cloud sei dagegen darauf ausgelegt, aus Kurznachrichten vollständige Dokumente und Strategien zu entwickeln.

Novell zufolge sind bereits mehrere Tausend Firmen im Betaprogramm vertreten. Steinle nutzt die Technik selbst: Vibe Cloud helfe in Meetings und beim Brainstorming. Auch wenn es bedeute, dass der Arbeitsprozess deutlich sichtbarer sei als zuvor – Stichwort Zuschauen beim Tippen. "Das ist aber eine nützliche Funktion. Die Leute sind engagierter und präsenter." Man sehe, wie andere sich Notizen anlegten und wolle dann einfach mitmachen. "Das ist eine Live-Aufnahme und die kann man sofort auch korrigieren."

Judd Antin, Forscher bei Yahoo, untersucht die Psychologie hinter neuen Online-Werkzeugen. Er sieht die Sache kritischer als Steinle. "Vielleicht kann es ein solches Tool den Job sogar schwerer machen, weil man nicht einmal die Chance hat, sich Zeit für die Bildung eines vollständigen Satzes zu nehmen." Das Schöne an der Return-Taste sei doch, dass man seine Botschaft noch einmal durchgehen könne, bevor man etwas Böses schreibe. (bsc)