Erweiterte Realität: Warum Facebook bei seinen Metaverse-Plänen eingeknickt ist

Mark Zuckerberg will aus Facebook einen Metaverse-Konzern machen und strukturiert das Unternehmen um. Was steckt hinter den Plänen?

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(Bild: Annie Spratt / Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.

Es schwingt noch immer nach, was Mark Zuckerberg in der vergangenen Woche in einem Interview mit The Verge gesagt hat: Er glaube, dass Facebook in wenigen Jahren ein Metaverse-Unternehmen sei. Facebook und Metaverse – das mag nach Horrorszenario klingen. Tatsächlich aber arbeitet der Konzern seit Jahren genau an dieser Vision. Und jetzt nimmt Zuckerberg Fahrt auf.

Nach den visionären Verlautbarungen des Chefs verkündete das Unternehmen jetzt die entsprechenden Umstrukturierungen: XR-Chef und Facebook-Urgestein Andrew Bosworth wird eine neue Abteilung innerhalb der Facebook Reality Labs gründen. Das Ziel: Das von Zuckerberg angekündigte Metaverse in die Tat umsetzen. Ohnehin ist bekannt, dass mittlerweile rund ein Fünftel der Facebook-Belegschaft an Technologien für eine "Erweiterte Realität" (Extended Reality, XR) arbeitet – Tendenz also offensichtlich steigend. Was aber steckt eigentlich dahinter?

Zuckerberg geht es um die Frage, wie er aus den zweidimensionalen Social-Media-Erfahrungen auf Smartphone und Desktop-Computer ein dreidimensionales Erlebnis machen kann. Der Facebook-Chef ist nämlich davon überzeugt, dass die dreidimensionale Präsenz – im Idealfall mit VR- und AR-Brillen – im digitalen Raum die nächste Evolutionsstufe des sozialen Netzes ist. Mehr noch: die nächste große Computing-Plattform nach Mobile.

Spätestens seit dem Kauf von Oculus 2014 hat Zuckerberg diese Strategie verfolgt, vermutlich schon früher. Dahinter steckt die Idee, dass soziale Medien heute im Grunde noch relativ primitiv sind. Im Laufe der Jahre sind zwar neben reinem Text auch Bild, Video und AR-Spielereien dazugekommen, aber noch immer starren Nutzer und Nutzerinnen auf einen zweidimensionalen Bildschirm.

Dass diese 2D-Screens es aber nicht schaffen, die menschliche Präsenz in ihrer Gesamtheit zu erfassen, hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. In den vergangenen 18 Monaten haben wir uns zwar alle an Videokonferenzen gewöhnt, gezeigt hat sich aber auch, dass selbst die besten Laptop-Kameras es nicht schaffen, Gestiken, Mimiken und andere fundamentale körperliche Regungen einzufangen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, sein Erscheinungsbild ist mitunter komplex und mehrdeutig und genau dies beeinflusst das Miteinander mehr als der sichtbare Teil unserer Handlungen, kurz: menschliche Kommunikation und Interaktion ist sehr komplex.

Die Vision eines Metaverse, also einer Cyberwelt, in der die Nutzer und Nutzerinnen in Form von Avataren miteinander interagieren und eine körperliche Präsenz einnehmen, gibt es schon in verschiedenen VR-Apps wie zum Beispiel VRChat. Zuckerberg weiß aber, dass nur Facebook die perfekte Infrastruktur für ein entsprechende Plattform bereits besitzt. Facebook, WhatsApp und Instagram vereinen mehrere Milliarden Nutzer, kein anderes Unternehmen hat so viele Social-Media-Profile wie Zuckerbergs Konzern. Jetzt fehlt im Grunde nur noch die entsprechende Plattform – und das bedeutet vor allem: Software und Hardware.

Nicht wenige Tech-Experten haben immer wieder an der großen Wette gezweifelt, dass VR und AR die nächste große Computing-Plattform werden könnte. Zu ungewiss sei die zukünftige Technologieentwicklung der entsprechenden VR- und AR-Brillen. Zwar haben sich speziell die VR-Brillen weiterentwickelt, aber noch immer sind sie teuer, klobig in der Handhabung und fristen deshalb ein Nischendasein.

Weil Mark Zuckerberg aber bis heute nicht verkraftet hat, dass Facebook den Trend des mobilen Computings verpennt und Apple und Google den Platz überlassen hat, will er bei der nächsten großen Plattform unbedingt dabei sein – und zwar nicht nur als ein Akteur unter vielen, sondern als der große Plattformbetreiber schlechthin. Deshalb investiert Zuckerberg Milliarden in die VR-Forschung und Plattform-Entwicklung.

Aber selbst das wird vermutlich nicht reichen: VR- und AR-Technologie zu miniaturisieren, ist eine große Herausforderung. Allein die Computing-Power für ein hochwertiges dreidimensionales Kommunikationserlebnis ist bisher schwer in ein annehmbar zu tragendes Brillengestell zu verbauen. Die Entwicklung könnte noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.

Eine der entscheidenden Neuerungen ist deshalb offensichtlich, dass es in Zukunft nicht mehr ausschließlich möglich ist, die Metaverse-Plattform mit einer VR-Brille nutzen zu müssen. Auch über PCs, Konsolen und mobile Geräte soll das gehen. Das ist ein spätes Eingeständnis, dass sich trotz jahrelanger Investitionen der VR- und AR-Hardware-Markt einfach zu langsam entwickelt.

Die Frage ist allerdings, ob das Metaverse dann auch ein "echtes" Metaverse ist, also eine Plattform, in der die Nutzerinnen und Nutzer mit ihrer menschlichen Präsenz mit anderen interagieren und kommunizieren. Natürlich kann man auch mit einem Smartphone seinen Avatar in einer entsprechenden digitalen Welt steuern. Und Zuckerberg macht auch bereits Abstriche und spricht davon, dass das Metaverse zunächst eine hybride Umgebung aus den bekannten sozialen Plattformen und den neuen Umgebungen sein wird. Aber eine Plattform, wie sie Zuckerberg eigentlich intendiert hatte, ist das dann bei weitem nicht. Und die Gefahr ist groß, dass sie zu einem Avatar-Spielplatz verkommt, den niemand nutzen will.

Vielleicht sollen die visionären Töne die Aufmerksamkeit aber auch einfach auf die noch immer in der Beta befindliche Metaverse-App "Horizon" lenken. Ob es dazu demnächst Neuheiten gibt? Wundern würde es nicht. (bsc)