Historie: 75 Jahre Citroën 2 CV

Als vor 75 Jahren der Citroën 2 CV vorgestellt wurde, wähnten sich viele im falschen Film. Die lange Produktion aber bewies die inneren Qualitäten des Autos.

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Citroën 2 CV

Citroën 2 CV

(Bild: Stellantis)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Ein mögliches Problem an der Berichterstattung über Klassiker ist, dass man kaum Neues berichten und erklären kann. Dachte ich. Bis ich 2015 eine Geschichte über die Technik des Citroën 2 CV veröffentlichte. Darauf meldeten sich nicht wenige Leser, die sagten, dass sie das Auto vollkommen unterschätzt hätten. Man kann das verstehen: Jahrzehntelang wurde zwar ausführlich beschrieben, wie es aussieht, fährt und sich anfühlt. Bereits sein Äußeres war ja bereits zur Vorstellung 1948 exotisch genug dafür und blieb es bis zum Ende.

Der Kleinstwagen war ausdrücklich für Landwirte entwickelt worden.

Zu verstehen jedoch, warum bei diesem Auto auch unterm Blech fast alles ziemlich anders ist, kann eine im Wortsinn tiefergehende Faszination ausmachen. Diese Gelegenheit bietet sich mal wieder, das Auto wurde heute vor 75 Jahren vorgestellt. Langweilen dürfte das jedenfalls nicht. Keine Beachtung schenken wir den unbestreitbar hochinteressanten Wechselwirkungen mit dem soziohistorischen Hintergrund bis hin zur Entwicklung zu einem unkonventionellen Anti-Statussymbol.

Obwohl der Ansatz, auf alles zu verzichten, was über die reine Funktion hinausgeht, ja an sich schon faszinierend ist. Derlei Minimalismus gab es allerdings schon lange vor dem 2 CV, etwa beim Ford Model T. Innovativ war aber nicht dessen Technik, sondern die konsequente Reduktion seiner Produktionskosten. Davon ist beim Fahren nichts zu merken, denn der Ford blieb ein weitestgehend konventionelles Automobil. André Citroën bewunderte Henry Fords Massenproduktion. Durch seinen frühen Tod 1935 erlebte er das 1937 begonnene Projekt TPV (Toute Petite Voiture) nicht mehr. Zuvor hatte er seine Automarke noch dem Reifen-Riesen Michelin verkauft.

Prototyp eines TPV von 1939 im Werksmuseum

(Bild: Stellantis)

Der 2 CV war nicht nach "Schema F plus Lastenheft" konstruiert, sondern ganz offenbar ausdrücklich mit der Maßgabe, jede überkommene Lösung eines technischen Problems noch einmal neu zu denken. Darin übrigens dem Volkswagen nicht unähnlich, bei dessen Design sich Porsche, ebenfalls beginnend Mitte der 1930er-Jahre, höchstpersönlich keine Denkverbote auferlegt hatte. Man darf die Frage stellen, ob diese beiden Ansätze nach dem Krieg eine Chance gehabt hätten. Erfolgreich waren sie im Nachkriegseuropa aber wohl gerade wegen ihrer besonderen Anlagen.

Vor acht Jahren schrieb ich: "Bis heute ist der Aufwand, den man dazu betrieb, eigentlich völlig rätselhaft. Ein Bruchteil davon hätte im Prinzip bereits völlig genügt, um die Anforderungen überzuerfüllen. Tatsächlich werden die meisten Kunden die letzten zehn Prozent Verbesserung gar nicht bewusst wahrgenommen haben, obwohl darin 90 Prozent der Arbeit steckte. Aber es könnte vielleicht erklären, warum das Auto trotz seiner unbestreitbaren Nachteile an anderen Stellen überhaupt so lange populär blieb". Gemeint sind das unerreicht komfortable und sichere Fahrwerk mit einer glasklar exakten, direkten und gefühlvollen Lenkung und nicht zuletzt eine überdurchschnittlich leistungsfähige Bremsanlage. Das galt besonders im damaligen Konkurrenzumfeld, in dem Fahrwerke an der Grenze zu gefährlich, maue Seilzugbremsen und schwammige Kugelumlauflenkungen die Regel waren.

Alles, wirklich alles anders als bei konventionellen Autos: 2 CV Chassis und Antrieb

(Bild: Stellantis)

Das ganze Auto ist bis in Details geprägt von einer Gedankenfreiheit im Sinne der Technik. Und zwar in einem Umfang, wie er in der Geschichte des Automobilbaus schon damals selten, heute aber – im Würgegriff des Shareholder-Value – vollkommen undenkbar ist. Das Wort "Technik" stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet "List". So verstanden kann man es gut anwenden auf Konstruktionsmerkmale, die darauf bedacht waren, die Physik mit möglichst geringem Aufwand auf die Seite des Nutzers zu ziehen. Ein "geht nicht" schien für das Konstrukteursteam nicht zu existieren.

Die 2 CV Fourgonette war ohne großen Entwicklungsaufwand auf der Basis des Viertürers zu verwirklichen.

(Bild: Florian Pillau)

Im Fall des 2 CV bedeutete das aber eine erstaunliche Entwicklung hin zu einem Produkt, das in der Summe seiner Eigenschaften trotz aller Bescheidenheit oft deutlich besser funktionierte als die damals (und oft heute noch) übliche Technik. Die Konstruktion ohne Vorgänger erwies sich als so ausgereift, dass im Laufe der Jahre nur wenig geändert werden musste. Das meiste war so vorausschauend dimensioniert, dass die Technik eine Verdreifachung der Leistung klaglos mitmachte. Bei aller Einfachheit wurde die Fertigung trotz hoher Nachfrage auch wegen der höheren Produktionskosten 1991 eingestellt.

Vor acht Jahren charakterisierte ich die technischen Lösungen als eine Mischung aus Land- und Renntechnik. Was sich nach einer steilen These anhört, ist aber erklärbar.

Der Fahrerarbeitsplatz war ähnlich ausgestattet wie der eines zeitgenössischen Traktors. Alles blend- und ablenkungsfrei. Was Letzteres angeht, gab es seither mehr Rück- als Fortschritt.

(Bild: Stellantis)

Am auffälligsten war die Karosserie, deren Hässlichkeit bei der Vorstellung 1948 neben der geringen Leistung dazu beitrug, dass dem Auto keine Zukunft vorausgesagt wurde. Die vielen geraden Flächen erleichterten die Produktion. Das gewellte Karosserieblech, zunächst der Haube, bei den später lancierten Transportern der ganze Kasten, bot eine Versteifung des leichten, dünnen Materials ohne teuren Hinterbau. Ihr damals noch bis zur hinteren Stoßstange reichendes Stoffdach trug nicht nur einer besseren Klimatisierung Rechnung, sie war in erster Linie eine Maßnahme der Gewichtsersparnis. Der Transport von Sperrgut war damit aber auch möglich: Die zeitgenössische Werbung zeigte immerhin den Transport eines ganzen Klaviers in diesem Kleinstwagen.

Die unvergleichlich langhubige Radaufhängung ist nicht allein dem Fahrkomfort geschuldet, sie bietet in Verbindung mit dem geringen Gewicht, den großen Rädern, der guten Bodenfreiheit und einer kurzen Getriebeübersetzung in den unteren Gängen auch eine maximale Durchsetzungsfähigkeit im Gelände, bereits bei den frontgetriebenen Versionen. So brachten es die Allradmodelle nicht nur wegen ihres hohen Preises auf eine geringe Verbreitung – sie lohnten angesichts der Qualitäten der 2WD-Modelle meist die hohe Mehrausgabe nicht.

Die Geländetauglichkeit ist legendär und bewährte sich nicht nur in der Landwirtschaft. Sie ermöglichte auch Fernreisen mit kleinem Budget.

(Bild: Stellantis)

Zudem zentralisierte die Radaufhängung im Gegensatz zu konventionellen Lösungen die Krafteinleitung in den Rahmen, was eine substanzielle Gewichtseinsparung ermöglichte. Sauber konstruiert war auch dessen glatte Unterseite: weder Motor und Getriebe, noch Achsen, Auspuff oder Tank unterragten den völlig flachen Rahmen. Aufsetzen im Gelände blieb so meist ohne Folgen, der Wagen rutschte über Hindernisse. Für Motor und Tank gab es dennoch zusätzliche Skid-Plates als Sonderzubehör. Man sieht daran, dass das Auto auch fest im Blick auf die dritte Welt gedacht war – Frankreich hatte damals noch alle Kolonien.

Etliche Konstruktionsmerkmale aus der Renntechnik prägen das Fahrwerk: Etwa der Verzicht auf jegliche Elastokinematik, was eine maximal exakte Radführung garantiert. Aus diesem Grund haben Sportautos statt der im Serienbau heute üblichen Gummi/Metall-Lagerungen spielfreie Gelenke, die "Zero Clearance Joints". Wohl einzigartig im Großserienprodukt 2 CV ist die sonst nur im Rennfahrzeugbau bekannte Kniehebel-Federung. Sogar mit Feingewinde an jeder Zugstrebe zur Fahrwerksjustierung. Oder der Einsatz von Trägheitsdämpfern an jedem Rad, wie er 2006 von der FIA in der Formel 1 verboten wurde, weil er die Haftung unfair stark verbesserte.

Der 2 CV offenbart in der Röntgenzeichnung, dass seine Technik gewissermaßen zweidimensional in einer Ebene angeordnet ist.

(Bild: Stellantis)

Aus dem gleichen Grund trugen Rennautos ihre Bremsen am Getriebe. Das verringerte drastisch die ungefederten Massen, bevor man Keramikbremsen einführte. Wie im 2 CV, dort wegen des Verhältnisses der schweren Trommelbremsen zum leichten Auto. Als dann 1981 Scheibenbremsen in den 2 CV einzogen, waren es nicht etwa die bis in die Mitteklasse üblichen Einkolben-Schwimmsättel aus Gusseisen. Es waren vielmehr Aluminium-Festsattelbremsen mit harteloxierten Leichtmetallkolben, wie man sie sonst nur in ausgesprochen sportlichen Autos findet.

Aus landwirtschaftlichen oder Gelände-Nutzfahrzeugen bekannt ist neben der langhubigen Federung der Verzicht auf Gummimanschetten. Bis zur Einführung der homokinetischen Antriebswellengelenke war das tatsächlich der Fall, die äußeren Gelenke der Lenkspurstangen kamen bis zum Schluss mit zwei Häubchen aus. Zudem waren sie bei Spiel nachstellbar, wie heute nur noch bei den letzten verbliebenen Geländewagen von Toyota. Das Lenkgetriebe lag geschützt im Achsträger. Auch die erste Generation der Schwingungsdämpfer war sicher gegen Auslaufen von Flüssigkeit oder Eindringen von Schmutz – es war eine Kombination aus einstellbaren Reibungs- und hermetisch geschlossenen Trägheitsdämpfern. Später fand man sogar eine Möglichkeit, auf Gummibremsleitungen zu verzichten – zugunsten durchgehender Stahlleitungen.

Der 2 CV in der zeitgenössischen Werbung. Die Türen, Heckklappe und Motorhaube konnte man ganz einfach nach oben bzw. seitlich aus ihren Scharnieren hinausschieben.

(Bild: Stellantis)

Maximale Robustheit bei minimalem Aufwand und Gewicht war auch der Grund für die Gebläsekühlung. Volkswagens Claim für den Käfer "Luft kocht nicht, Luft gefriert nicht" stimmt ja auch für den kleinen Citroën, zudem fallen verletzliche Teile wie Kühler und Schläuche weg. Die Vorteile des Boxermotors, der fast vibrationsfreie Lauf trotz nur zwei Zylindern und der niedrige Schwerpunkt zählten zu seinen Stärken.

Wie das alles im Detail funktioniert, haben wir in vier einzelnen Kapiteln genau beschrieben, darunter ist auch eines über den in seinen Intimzonen hochinteressanten, hier ziemlich weitgehend unterschlagenen Motor. Wir werden sie in loser Folge über unseren Teaser schicken. Wer das gleich lesen möchte, findet die Geschichten hier:

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, erster Teil

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, zweiter Teil

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, dritter Teil

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, vierter Teil

(fpi)