Zu wertvoll fürs Klo: Was Sie noch nicht über Urin wussten

Warum Urin gelb ist, wurde erst kürzlich geklärt. Doch im menschlichen Harn steckt noch mehr. Fünf überraschende Fakten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 24 Kommentare lesen
Test,Tires,In,Violet,Gloves,With,Test,Chart,And,Urine

(Bild: Lothar Drechsel / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Es gibt Fragen in der Wissenschaft, die längst aufgeklärt schienen. Zum Beispiel diese: Warum ist Urin eigentlich gelb? Offenbar wurde das Rätsel erst kürzlich abschließend gelüftet, als Forscher ein neues bakterielles Enzym im Darm entdeckten. Das Ganze beginnt bei den roten Blutkörperchen. Wenn sie nach ihrer sechsmonatigen Lebensdauer abgebaut werden, entsteht als Nebenprodukt das leuchtend orangefarbene Pigment Bilirubin.

Es landet im Darm und wird nach einigen farbändernden Abbauschritten ausgeschieden. "Darmmikroben bilden das Enzym Bilirubin-Reduktase, was das orangenfarbene Pigment in ein farbloses Nebenprodukt namens Urobilinogen umbaut", sagt Brantley Hall von der UMD. Urobilinogen wird dann durch Jod zu Urobilin oxidiert, "das für die gelbe Farbe verantwortlich ist, die wir alle kennen."

Die wenig fundamental klingende Erkenntnis könnte durchaus medizinisch bedeutsam sein. So fand das Forscherteam etwa heraus, dass die Bilirubin-Reduktase bei Neugeborenen und Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen häufig fehlt. Vielleicht, so überlegen die Wissenschaftler, führt das Fehlen zur Gelbsucht bei Säuglingen und zur Bildung von pigmentierten Gallensteinen.

Darüber hinaus könnte die Entdeckung des Enzyms etwa bei der Aufklärung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung helfen, hoffen die Forschenden.

Überhaupt ist Urin für die Wissenschaft ein interessanter Stoff. Nicht nur, weil seine Inhaltsstoffe bei der Diagnose von Krankheiten wie Diabetes helfen können und Urintests deshalb zur Standardversorgung gehören. Harn war über die Jahre auch Quelle für einige ungewöhnliche Verbindungen. Hier sind fünf Beispiele:

Am 12. März 1942 erhielt die 33-jährige Amerikanerin Anne Miller als erste Patientin das Antibiotikum Penizillin. Zu diesem Zeitpunkt lag sie seit einem Monat mit einer schweren Streptokokken-Infektion im Krankenhaus, oft in einem fiebrigen Delirium. Als nichts anderes mehr half, und die Ärzte ihren Tod befürchteten, versuchten sie es mit dem noch nicht zugelassenen Antibiotikum. Bis dahin war das MIttel nur in Tierexperimenten eingesetzt worden. Nach der ersten Behandlung fiel Millers Fieber rasch. Mehr Dosen hatten die Ärzte allerdings nicht und die Gewinnung aus dem gleichnamigen Schimmelpilz hätte zu lange gedauert. Die Mediziner wussten allerdings, dass das Medikament teilweise im Urin wieder ausgeschieden wird. Sie führten die Behandlung mit dem kontinuierlich extrahierten Penizillin zu Ende. Anne Miller überlebte und starb erst mit 90 Jahren.

1957 wollte der Arzt Bruno Lunenfeld testen, ob die weiblichen Sexualhormone FSH (Follikelstimulierendes Hormon) und Lutein bei der Behandlung von Unfruchtbarkeit helfen könnten. Er bat das italienische Pharma-Unternehmen Serono um Hilfe, das die Verbindungen einige Jahre zuvor aus dem Urin von Frauen gewonnen hatte. Serono war zuerst nicht interessiert – bis der Aristokrat Giulio Pacelli, Neffe des damaligen Papstes Pius XII und Vertreter eines Serono-Großaktionärs im Aufsichtsrat, einen Deal vermittelte.

Dieser Großaktionär war der Vatikan und Pacelli spannte seinen Onkel ein, damit die Studie an die benötigten tausende Liter von Urin kam. Nach einem Aufruf von Pius XII an ältere Nonnen – der höchste Hormon-Anteil findet sich bei Frauen, die ihre Wechseljahre schon hinter sich haben – konnte die Studie starten und wurde zum Erfolg. 1962 kam das erste Baby nach einer Doppelhormon-Behandlung zur Welt.

Wo Wasser Mangelware ist, kann es bedeutsam sein, dass Urin zu 95 Prozent daraus besteht. Auf der Internationalen Weltraumstation ISS recyceln die Astronauten nicht nur Betriebsabwasser, sondern auch ihren Harn mithilfe eines "Water Recovery Systems". Diese gewinnt täglich etwa 16,4 Liter Wasser zurück. Das Umwelt- und Lebenserhaltungssystem der Station fängt zudem auch Wasserdampf aus der Kabinenluft ein, der aus dem Schweiß und der ausgeatmeten Luft der Astronauten stammt. Seit letztem Jahr schließlich wringt der sogenannte "Brine Processor Assembly" (BPA) sogar noch aus dem Abfall des bisherigen Urinrecyclers nutzbares Wasser. Durch den BPA steigt die Gesamtrückgewinnung für Wasser auf der ISS von 94 auf 98 Prozent.

"Es ist nicht alles Gold, was glänzt" ist normalerweise eine Binsenweisheit. Der Hamburger Apotheker und Alchemist Henning Brand hat es im 17. Jahrhundert am eigenen Leib erfahren. Brand war, wie viele andere Alchemisten, davon überzeugt, dass sich Urin in Gold umwandeln lässt, wenn man nur den richtigen Stein der Weisen findet. Dazu dampfte er Harn erst zu Sirupkonsistenz ein, destillierte dann das Resultat weiter, bis er eine schwarze Masse erhielt. Diese erhitzte er nochmal für 16 Stunden. "Man erhält zuerst Dämpfe oder weiße Wölkchen, dann eine klebrige Masse, und zuletzt einen Körper von fester und dichter Konsistenz – und alles, was während der Arbeit herauskommt, ist außerordentlich leuchtend." Bei dem "geheimnisvollen Lichtträger" handelte es sich zwar nicht um Gold. Brand hatte trotzdem etwas Wertvolles entdeckt: das chemische Element Phosphor.

Geht es nach dem Bristoler Forscher Ioannis Leropoulos, dann kann Urin auch Energie liefern. Für seine mikrobielle Brennstoffzelle hat er bereits verschiedene Abfälle als Energieträger getestet, am besten hat allerdings Urin abgeschnitten. Der darin enthaltenen Stickstoff, Harnstoff und Chloride dienen elektrisch aktiven Bakterienkulturen als Nahrung. Wenn sie das Futter zersetzen, werden Elektronen frei, die an einer Membran Strom erzeugen. Bei einem 2013 durchgeführten Experiment lieferten zwei Liter Urin etwa 30 bis 40 Milliwatt elektrische Leistung, mit dem die Forscher ein Handy der Marke Samsung GT-E2121B langsam aufluden.

(jle)