Keine Kühlung: Geoengineering-Projekt aus Harvard wird eingestellt

Die SCoPEx-Ballons sollten in der Stratosphäre Erdabkühlungsstrategien erproben. Doch der Chefforscher will nicht mehr.

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Frühe Illustration eines SCoPEx-Ballons.

(Bild: Renderung bearbeitet von MIT Technology Review)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • James Temple

Nach mehrfachen Verzögerungen und öffentlicher Kritik haben Harvard-Forscher ihre langjährigen Bemühungen um ein Geoengineering-Experiment in der Stratosphäre eingestellt. In einer am 18. März veröffentlichten Erklärung der Universität heißt es, der Forschungsleiter Frank Keutsch verfolge das Vorhaben nicht länger. Das Grundkonzept hinter dem Vorhaben war das sogenannte Solar Geoengineering: Dabei sollen winzige Partikel in die Atmosphäre gesprüht werden, die das Sonnenlicht streuen könnten.

Der Plan von Keutsch und seinem Team sah zunächst vor, einen mit Propellern und Sensoren ausgestatteten Höhenballon zu starten, der einige Kilogramm Kalziumkarbonat, Schwefelsäure oder andere Materialien hoch über der Erde freisetzen sollte. Der Ballon würde dann beidrehen und durch die selbst generierte Wolke fliegen, um zu messen, wie weit sich die Partikel ausbreiten, wie viel Sonnenlicht sie wirklich reflektieren und andere Variablen erfassen. Das Ballonkonzept ist aber nicht tot, nur soll das Flugobjekt nun für stratosphärische Forschungsarbeiten eingesetzt werden, die nichts mit solarem Geoengineering zu tun haben, so heißt es aus Harvard.

Ein überwiegender Teil der bisherigen Forschung in dem Bereich wurde bislang in Labors oder mittels Computermodellen durchgeführt. Das Harvard-Projekt wäre deutlich weitergegangen. Im Rahmen des "Stratospheric Controlled Perturbation Experiment", kurz SCoPEx, sollte erstmals direkt in der Stratosphäre experimentiert werden. Das Projekt war aber von Anfang an umstritten. Möglicherweise waren zudem mittlerweile andere Forscher schneller bei der absichtlichen Freisetzung reflektierenden Materials in dieser Atmosphärenschicht. (Die Stratosphäre erstreckt sich von etwa 10 bis 50 Kilometern über dem Erdboden.)

Im vergangenen Frühjahr wechselte einer der wichtigsten Wissenschaftler des Projekts, David Keith, dann an die Universität von Chicago, wo er die Initiative "Climate Systems Engineering" leitet. Die Forschungsgruppe will verschiedene Ansätze des solaren Geoengineerings sowie die Entfernung von Kohlendioxid aus der Luft erproben. Hinzu kommen Ideen für lokale Eingriffe ins Klima, etwa das Abstützen von Gletschern. Im Sommer darauf informierte dann das Harvard-Team den zuständigen beratenden Ausschuss, dass es die Arbeit an seinem Experiment "ausgesetzt" habe. Dann blieb es monatelang in der Schwebe: Bis Anfang Oktober war noch keine endgültige Entscheidung über das Schicksal des Projekts getroffen worden, so Harvard-Professor Daniel Schrag, der im Beratungsausschuss saß, damals gegenüber MIT Technology Review.

Befürworter der Solar-Geoengineering-Experimente argumentieren, dass die Menschheit die Konzepte erforschen sollte, weil sie die Gefahren des Klimawandels womöglich erheblich reduzieren könnten. Weitere Studien könnten den Wissenschaftlern helfen, die potenziellen Vorteile, Risiken und Kompromisse zwischen verschiedenen Ansätzen besser zu verstehen. Kritiker argumentieren hingegen, dass selbst reine Experimente im Bereich des solaren Geoengineerings den gesellschaftlichen Druck zur Senkung von Treibhausgasemissionen mindern könnte. Sie befürchten auch, dass solche Forschungen dazu führen könnten, dass böswillige Akteure eines Tages solche Methoden zum Nachteil anderer einsetzen könnten. Sie hätten potenziell gefährliche Nebenwirkungen, wie etwa der Rückgang von Niederschlägen, was die landwirtschaftliche Produktion in Teilen der Welt stören könnte.

Keith, der jetzt nach Chicago gegangen ist, und seine Kollegen haben den Plan für ihr Experiment bereits vor einem Jahrzehnt in einem Paper dargelegt. Im Jahr 2017 gaben er und Keutsch dann bekannt, dass sie hofften, es praktisch durchführen zu können, indem sie bereits im folgenden Jahr Ballons von einem Standort in Tucson, Arizona, starten. Doch das Projekt wechselte mehrmals den Standort. Zuletzt hoffte das Team, im Sommer 2021 vom Esrange Space Center in Kiruna, Schweden, einen Ballon zu starten, um die Hardware des Flugzeugs zu testen. Diese Pläne wurden jedoch auf Empfehlung des beratenden Ausschusses des Projekts gestoppt, der entschied, dass die Forscher vor jedem Flug Gespräche mit der Öffentlichkeit führen müssen. Das Vorhaben wurde auch vom Saami-Rat, der die indigenen Saami-Völker in Schweden und den angrenzenden Regionen vertritt, sowie von Umweltgruppen und anderen Organisationen teils heftig kritisiert, da der Einsatz solcher Instrumente "zu gefährlich" sei.

Solares Geoengineering sei eine Technologie, die "das Risiko katastrophaler Folgen birgt, einschließlich der Auswirkungen einer unkontrollierten Beendigung und irreversibler soziopolitischer Effekte, die die notwendigen Anstrengungen der Welt zur Erreichung einer CO₂-freien Gesellschaft gefährden könnten", schrieb die Gruppe in einem Brief an den beratenden Harvard-Ausschuss. "Es gibt daher keine akzeptablen Gründe, die Durchführung des SCoPEx-Projekts in Schweden oder anderswo zuzulassen." Auf die Frage, warum er sich entschlossen habe, die Arbeit an dem Experiment einzustellen – und ob dies etwas mit dem öffentlichen Druck oder den Verzögerungen zu tun habe –, antwortete Keutsch per E-Mail, dass er "im Laufe dieses Projekts wichtige Lektionen über Governance und Engagement gelernt" habe.

Der Forschungsbereich habe in den vergangenen Jahren einen bedeutenden Wandel erfahren, der die Gemeinschaft vergrößert und neue Türen für Forschung und Zusammenarbeit geöffnet hatbe, fügte er hinzu. "Ich hatte das Gefühl, dass es an der Zeit war, sich auf andere innovative Forschungswege in diesem unglaublich wichtigen Bereich zu konzentrieren, die wirkungsvolle Ergebnisse versprechen." Während sich das Harvard-Projekt verzögert, haben andere Gruppen ihre eigenen Bemühungen im Bereich des Geoengineering vorangetrieben. Das umstrittene, von Risikokapitalgebern finanzierte Unternehmen Make Sunsets hat wiederholt Wetterballons gestartet, die mit einigen Gramm Schwefeldioxid gefüllt sind und nach eigenen Angaben wahrscheinlich in der Stratosphäre zerplatzen würden. In der Zwischenzeit hat ein unabhängiger Forscher im Vereinigten Königreich, Andrew Lockley, nach eigenen Angaben mehrere Ballonstarts durchgeführt, darunter einen Flug im September 2022, der etwa 15 Meilen über der Erde platzte und rund 400 Gramm Schwefeldioxid freigesetzt haben könnte.

Trotz der öffentlichen Kontroverse erhielten die SCoPEx-Forscher von einigen Fachleuten jedoch gute Noten dafür, dass sie sich bemühten, den Feldversuch in kleinem Maßstab, kontrolliert und transparent durchzuführen, klare Forschungsziele festzulegen und einen unabhängigen Beratungsausschuss zur Überprüfung der Vorschläge einzusetzen. Gernot Wagner, Klimaökonom an der Columbia Business School und ehemaliger Direktor des Harvard Solar Geoengineering Research Program, kommentierte in einer E-Mail, dass die Absage des Projekts "unglücklich" sei, da es in diesem Sektor bereits eine größere Bedeutung erlangt habe.

Er betonte, dass das Projekt "den Aktionsradius für andere, jüngere Forscher erweitert hat, die sich mit diesem wichtigen Thema befassen". Außerdem habe die Gruppe durch die Veröffentlichung der Pläne in einer von Peer-Review-Fachzeitschrift und durch ihre transparente Arbeitsweise "eine Art Standard für verantwortungsvolle Forschung in diesem Bereich gesetzt". Das Problem: "Selbst verantwortungsbewusste Forscher, die sich entscheiden, diese Art von Forschung nicht zu betreiben, geben indes auch unverantwortlichen Akteuren mit allen möglichen verrückten Ideen reichlich Raum", so Wagner.

Harvard wird Geoengineering weiterhin im Rahmen des Solar Geoengineering Research Program erforschen, einem multidisziplinären Forschungsprojekt, das 2017 mit finanzieller Unterstützung von Microsoft-Mitbegründer Bill Gates, der Hewlett Foundation, der Alfred P. Sloan Foundation und anderen Organisationen und Einzelpersonen eingerichtet wurde. Andere aktuelle oder frühere Projekte umfassen eine Laborstudie über neue Materialien, die möglicherweise für solares Geoengineering verwendet werden könnten – sowie Bemühungen, einige der größeren Herausforderungen bei der Steuerung solcher Instrumente zu identifizieren und zu bewältigen.

Ebenfalls am Montag veröffentlichte der beratende Harvard-Ausschuss des Projekts einen finalen Bericht, in dem der von ihm entwickelte Ansatz für die Überwachung des Projekts und die wichtigsten Erkenntnisse dargelegt werden – in der Hoffnung, dass sie in künftige Forschungsexperimente zum Geoengineering einfließen. Das Schriftstück betonte die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit frühzeitig einzubeziehen, ihre Bedenken anzuhören und Pläne zu entwickeln, um auf diese zu reagieren.

(jle)