Linux für den Unternehmenseinsatz

Wer in der eigenen IT-Abteilung auf fundiertes Linux-Know-how zurückgreifen kann, dem bietet das Umfeld des freien Betriebssystems ein breites Spektrum an Distributionen. Auf andere wirkt die Vielfalt wie ein Blick in einen fast undurchdringlichen Urwald.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 19 Kommentare lesen
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • André von Raison
Inhaltsverzeichnis

Sieht man sich die Palette der potenziellen Linux-Einsatzgebiete an, kann dem unbedarften Betrachter schon mal der Kopf schwirren. Von Embedded Devices wie Industriesteuerungen oder Smartphones über Tablets, Notebooks, PCs und Server bis hin zu Mainframes und HPC-Clustern deckt Linux ein extrem breites Spektrum ab. Für den Unternehmenseinsatz lässt sich der Markt in zwei große Segmente aufteilen: die klassische IT sowie den Bereich des Embedded Computing. Ersteres ist Thema dieses Beitrags, während sich der Artikel „Vorhersagbar “ (Ausgabe 10/2013, ab Seite 100) Letzterem widmet.

Bei den x86-Servern bescheinigte IDC Systemen, die mit vorinstalliertem Linux ausgeliefert werden, im zweiten Quartal 2013 weltweit einen kostenmäßigen Marktanteil von 23,2 Prozent. Da die Marktforscher Windows-Systemen knapp 50 Prozent zugestehen, liegt die Vermutung nahe, dass die fehlenden knapp 27 Prozent ebenfalls unter Linux beziehungsweise einem BSD-Derivat ihren Dienst versehen oder als Virtualisierungsplattform beispielsweise für Webserver dienen.

In diesem Segment ordnet W3Techs 66 Prozent aller Webserver einem unixoiden Betriebssystem zu (Stand 10. September 2013) von denen der Löwenanteil ein Linux-Derivat sein dürfte. Das Supercomputing ist hingegen fest in Linux-Hand: In der derzeit aktuellen TOP500-Liste vom Juni 2013 laufen 95,2 Prozent aller Supercomputer unter dem freien System. In diesen Trend passt auch IBMs Ankündigung, von seiner neuen Mainframe-Familie zBC12, eine Linux-only-Variante zu vertreiben.

Unternehmens-Linux

Eine von SUSE beauftragte, kürzlich veröffentlichte Studie hat rund 200 IT-Verantwortliche von Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern zum Einsatz von Linux in ihren Unternehmen befragt. Dass 83 Prozent Linux im Betriebssystem-Portfolio haben, ist nicht allzu verwunderlich. Bemerkenswert ist aber, dass weit über 60 Prozent der Befragten angaben, Linux als Plattform für unternehmenskritische Software wie Datenbanken, Data-Warehousing- oder Business-Intelligence-Anwendungen einzusetzen respektive in den kommenden Monaten nutzen zu wollen. Dabei nannten sie als zentrale Argumente für das Open-Source-Betriebssystem geringere Kosten, bessere Performance sowie das Vermeiden eines Vendor Lock-in, der Abhängigkeit von einem Anbieter.

Auf den ersten Blick scheint sich die Vielfalt der potenziellen Plattformen und Einsatzgebiete potenziert in der Auswahl der verfügbaren Linux-Distributionen niederzuschlagen. Eine erste Produkt- respektive Projektübersicht kann DistroWatch.com liefern. Die populäre Seite beherbergt in ihrer Datenbank Namen von rund 760 Distributionen, von denen rund 300 den Status aktiv haben. Rechnet man die diversen BSD- und Solaris-Abkömmlinge heraus, bleibt dennoch ein recht unübersichtliches Namenskonglomerat.

Strukturierter geht das Team um den Schweden Andreas Lundqvist an die Aufgabe heran. Es hat Informationen zu insgesamt fast 500 Distributionen zusammengetragen und in der „GNU/Linux Distribution Timeline“ (GLDT) zueinander in Beziehung gesetzt. Bei Wikipedia findet sich eine Variante, die Googles Android einbezieht. Allerdings liegt die letzte Aktualisierung inzwischen fast ein Jahr zurück.

Einer der am weitesten zurückreichenden Zweige ist der, dessen Wurzeln auf Slackware zurückgehen – die älteste derzeit noch aktiv betreute Linux-Distribution. Hierzu gehört auch SUSE mit seinen Derivaten Astaro, openSUSE, SLED oder SLES. Den größten Teilbaum hingegen bildet das vor zwanzig Jahren ins Leben gerufene Debian mit seinen weit über Hundert Derivaten. Von denen stellt die Ubuntu-Familie inzwischen mit rund 70 aktiv gepflegten Mitgliedern den Löwenanteil. In ähnlicher Stärke präsentiert sich der dritte große Teil, dessen Wurzeln auf Red Hat mit seinem Enterprise Linux (RHEL) zurückgehen.

Ausgewählte Linux-Dienstleister

Allerdings lassen sich mit solchen genealogischen Betrachtungen nur bedingt Aussagen treffen, ob ein Projekt für den Unternehmenseinsatz taugt oder nicht – zumal ein Großteil der verfügbaren Distributionsvarianten eher aus persönlichen Bedürfnissen einiger Anwender heraus entstanden sind und sich somit nicht für einen generischen Einsatz in Firmen eignet.

Bei der Entscheidung für eine Distribution spielen mehrere Fragen eine Rolle. Die erste betrifft die gewünschte Hardware-Plattform. Sollen topaktuelle Geräte zum Einsatz kommen, ist im Vorfeld zu prüfen, ob für alle Komponenten auch passenden Linux-Treiber existieren.

Eher konservativ ausgerichtete freie Vertreter wie Debian oder Slackware, aber auch kommerzielle Anbieter wie Red Hat oder SUSE müssen hierbei gegebenenfalls passen. Letztere bieten im Gegenzug nicht nur ausgereifte Treiber, sondern auch Zertifizierungsprogramme. Die stellen sicher, dass das Zusammenspiel mit Server-Hardware der großen Hersteller sowie mit einer Reihe vor allem in größeren Unternehmen verbreiteter 3rd-Party-Programme, beispielsweise SAP oder Datenbanken, reibungslos funktioniert. Wer unternehmenskritische Workloads unter Linux auf IBMs Power-Systemen oder Mainframes betreiben möchte, kommt um RHEL oder SLES vermutlich nicht herum.

Gerade in dieser Kategorie Software sind für einen geordneten Betrieb stabile System- und Kernel-APIs und -ABIs erforderlich. Auch hier können die „großen“ kommerziellen Anbieter mit ihren langen Produktlebenszyklen für ihre Distributionen punkten. Beispielsweise bietet Red Hat für die beiden letzten RHEL-Releases 5.x und 6.x – natürlich gegen zusätzliche Bezahlung – über den „normalen“ zehnjährigen Produktzyklus hinaus drei weitere Jahre Extended Lifecycle Support.

Bei SUSE endet der „normale“ Support nach sieben Jahren und lässt sich ebenfalls um drei Jahre erweitern. Canonical garantiert beim Ubuntu LTS Server für einen Zeitraum von fünf Jahren Security-Patches sowie Backports von Treibern und aktuellerer Software aus den Desktop-Versionen.

Wer mit etwas geringeren Produktlebenszeiten auskommt, könnte sich aber auch bei einem der weniger prominenten Anbieter umsehen. Gerade etwas kleinere Firmen, die über kein Linux-Know-how in ihrer IT-Abteilung verfügen, finden hier individuell zugeschnittene Beratungs- und Supportangebote. Und die dort auffindbaren Distributionen ändern sich auch nicht im Sechs-Monats-Rhythmus.

Sicherlich sind Red Hat und SUSE die bekanntesten Vertreter kommerzieller Linux-Angebote. Beide stellen mit ihren Enterprise-Distributionen RHEL und SLES schon seit vielen Jahren ihre Tauglichkeit für die Unternehmens-IT unter Beweis – wobei sie sich auch preislich in für dieses Marktsegment üblichen Regionen bewegen. Das Produktangebot geht weit über die reine Linux-Distribution hinaus und dank eines breit gestreuten Partnernetzes können sie auch Wünsche nach individueller Betreuung samt Beratung erfüllen. Bei Bedarf liefern sie den 3rd-Level-Support dazu. Oracles RHEL-Clone bietet für seine Linux-Familien 5.x und 6.x mit dem „Unbreakable Enterprise Kernel Release 2“ einen speziell auf den Einsatz der hauseigenen Produkte zugeschnittenen Kernel an. Der basiert auf Linux 3.0.16 und glänzt unter anderem mit Ksplice für Kernel-Updates ohne Reboot sowie die Dateisysteme Btrfs, OCFS2 und XFS.

Mehr Infos

Linux von großen Hardware-Anbietern

Von allen großen Hardware-Anbietern fasst Big Blue die Linux-Eignung seiner Produkte am kürzesten: Das freie Betriebssystem ist für alle IBM-Systeme zertifiziert. Darüber hinaus bietet man einen Software-Stack mit über 500 Paketen für unterschiedliche Aufgaben an und untermauert das Ganze mit einem passend zugeschnittenen Dienstleistungsangebot.

Fujitsu hat Oracle Linux, RHEL und SLES für die Primergy-Server-Familie eine vollständige Freigabe erteilt. Darüber hinaus arbeitet der Hersteller auch mit externen Dienstleistern zusammen, um auch freie Distributionen zu unterstützen und in die hauseigene Server Management Suite zu integrieren. Weiter finden sich bei Fujitsu für CentOS, Debian und Ubuntu detailliertere Dokumente.

HP hat viele seiner Server für den Betrieb unter Oracle Linux, RHEL, SLES und Ubuntu zertifiziert. Darüber hinaus gibt es Success-Stories für Asianux, CentOS, Debian, Fedora und openSUSE. HP bietet für Ubuntu LTS (10.04, 12.04) auf der hauseigenen Hardware auch Support an.

Dell verfügt ebenfalls über ein großes Linux-Portfolio. Das reicht von klassischen Servern über Appliances, Cloud- und Storage-Ansätzen bis hin zu Workstations und Business-Clients. Wie HP arbeiten die Texaner dabei mit den „klassischen“ Distributionsanbietern Canonical, Oracle, Red Hat und SUSE zusammen. Als weiteren Baustein gibt es das Dell-Enterprise-Linux-Wiki, in dem sich Anwender und Dell-Ingenieure direkt austauschen können.

Ebenfalls mit einem Partneransatz bietet Canonical Ubuntu-Nutzern ein professionelles Dienstleistungsspektrum. Selbst für das als reine Desktop-Variante mit KDE statt Gnome ausgerichtete Kubuntu gibt es Unterstützung: Die britische Firma Emerge Open liefert kommerziellen Support und zwar sowohl für die Desktop- als auch für die Server-Variante. Beim Geschäftsmodell schimmert der Community-Gedanke durch: Die Gewinne aus dem Angebot fließen ans Kubuntu-Projekt.

Bei ihrem auf Debian basierenden Corporate Server (UCS) arbeitet die Univention GmbH ebenfalls mit Partnern zusammen. Die Bremer waren die ersten, die mit ihrer Distribution dank integriertem Samba 4 quasi Out-of-the-Box Active-Directory-Verzeichnisdienste für Windows-Clients erlaubten. Über das in die grafische Managementkonsole integrierte App Center stehen eine Reihe von 3rd-Party-Paketen bereit, beispielsweise Backup, Dokumenten-Management, ERP, Groupware oder VoIP. Für Linux-Desktops haben die Bremer mit dem hauseigenen Corporate Client ein passendes Angebot.

Ursprünglich setzte die Münchener Linux Information Systems AG (LIS AG) auf Debian für ihre CoreBiz-Server-Suite, die schon im iX-Labor ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte [1, 2]. Vor einigen Jahren wechselte man beim Unterbau auf Ubuntu LTS. Kern der Produktfamilie ist der Base-Server, der unter anderem einen zentralen, LDAP-basierten Authentifizierungsdienst sowie die CoreBiz Management Console umfasst. An diesen lassen sich je nach Einsatzgebiet weitere Module andocken – inklusive vollständiger Integration ins Basissystem. Als neueste Variante arbeiten die LIS-Entwickler daran, ihre CoreBiz-Architektur auch auf einem Red-Hat-Unterbau anzubieten. Unter dem Label RedBiz 6 sind der Basisserver sowie die Module Groupware und Datensicherung bereits verfügbar.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Collax. Die haben einerseits mit ihrem Business Server ein auf den KMU-Sektor zugeschnittenes Komplettpaket im Angebot. Auf der anderen Seite bieten sie mit dem Collax Platform Server ein Basissystem, dass sich mit derzeit 16 Modulen um spezifische Funktionen erweitern lässt. Auf Wunsch liefern die Ismaninger ihre Software als vorinstallierte Komplettpakete inklusive passender Hardware.

Darüber hinaus gibt es noch einige ebenfalls kommerziell ausgerichtete Distributionen, deren detailliertere Vorstellung den Rahmen sprengen würde. Die Tabelle „Unternehmens-Distributionen“ listet – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige davon auf.

Ein weiterer Kandidat kam bislang nur am Rande vor: Debian. Das Community-Linux mit professionellem Anspruch an Stabilität und Qualität der Distribution erfreut sich vor allem bei denjenigen großer Beliebtheit, die das erforderlich Know-how bereits im Unternehmen haben. Allerdings kann, wer das nicht hat und im Betrieb nicht auf Zertifizierungen von Hardware oder gar Software-Stacks angewiesen ist, für eine Debian-Nutzung auf eine ansehnliche Schar von Systemhäusern oder Dienstleistern zurückgreifen. Eine exemplarische Auswahl findet sich in der Tabelle „Ausgewählte Linux-Dienstleister“.

Dass Linux generell für den Einsatz in der Unternehmens-IT taugt, muss es nicht unter Beweis stellen. Eine Liste erfolgreicher Beispiele ließe sich fast beliebig füllen. Wer das für den Betrieb sinnvolle Know-how nicht im eigenen Haus hat, kann auf ein breites Dienstleistungsangebot zurückgreifen. Wer allerdings glaubt, professionelle Services für das Open-Source-Betriebssystem zum Nulltarif zu bekommen, irrt gewaltig. Die gibt es zu marktüblichen Konditionen, sodass das dafür erforderliche Budget je nach Funktions- und Betreuungsbedarf variiert. Aber die durch die Linux-Nutzung gewonnene Freiheit ist gegebenenfalls unbezahlbar.

Literatur

[1] André von Raison; Collaboration; Talentvielfalt; Groupware und mehr Komplettangebote für KMU; iX 11/2010, S. 86

[2] Christian Böttger; Linux SBS; Linux en miniature; Arbeitspferde für kleinere Unternehmen; iX 6/2008, S. 48

Alle Links: www.ix.de/ix1310094

In der gedruckten Ausgabe finden Sie außerdem einen Artikel darüber, mit welchen Embedded-Linux-Distributionen die Betriebssystemhersteller Unternehmen beim Entwickeln eingebettete Systeme unterstützen wollen. (avr)