Verriss des Monats: Massivmetallenes Männerspielzeug

Rotieren fürs Renommee: Mitten im aktuellen Kreisel-Hype möchte sich ein Satz Schwermetall-Spinner hervortun.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Glaser
Inhaltsverzeichnis

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats.

Es gibt diesen aktuellen Fingerkreiselwahn, den meine ich aber nicht. Die sogenannten Fidget Spinner, die in der Tradition der irischen Worry Stones und griechischen Komboloi gegen Nervosität helfen sollen, sind ja eigentlich eher Rotationsausleger. Und Nervosität erzeugen sie offenbar mehr, als sie zu dämpfen: Wie die sexualstatistische Fachwebsite Pornhub vermeldet, seien seit Ende Mai die Suchanfragen nach Fidget-Spinner-Pornographie rapide gestiegen – dies, obwohl bisher noch niemand weiß, was das eigentlich genau sein sollte, sieht man von einem Marketing-Stunt ab.

Der klassische Kreisel gehört zu den ältesten Spielzeugen der Welt. Das Spiel mit den Kräften von Beschleunigung und Trägheit hat nicht nur Kinder seit Jahrtausenden fasziniert, Kreisel wurden auch als Wahrsageinstrumente benutzt. Bis heute versucht der prognostische Kreisel, sich zu modernisieren, etwa in Gestalt der Entscheidungshilfe Spyn, einer aus rostfreiem Stahl lasergecutteten Drehspindel zu 22 Dollar das Stück. Spyn kommt entweder an einer Ja- oder einer Nein-Markierung zu liegen, wurde im Januar auf Kickstarter vorgestellt und kommt dem Zielobjekt des vorliegenden Verrisses schon nahe – wobei die Zweckmäßigkeit noch etwas stört.

Foreverspin dagegen, ein gleichfalls aus Metall gefräster, ebenfalls auf Kickstarter in Startrotation versetzter Kreisel, ist nutzlos, vornehmer ausgedrückt: luxuriös.

Seinen Weg durch die Geschichte genommen hat der Kreisel als einfaches, effektvolles Spielzeug. Manchmal haben Erwachsene dem Ganzen einen neuen Dreh gegeben. Um etwa das Ei des Kolumbus dem technischen Fortschritt anzupassen, entwickelte Nikola Tesla anlässlich der 1893 in Chicago veranstalteten Weltausstellung zum 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas einen Induktionsmotor, dessen Rotor aus einem Ei aus Metall besteht. Durch die rasante Rotation kann das Ei wie ein Kreisel auch ohne den Trick des Kolumbus auf der Spitze stehen.

Fundamentale Auswirkungen hatte die Einführung des Kreiselkompasses in die Luft- und Raumfahrt. Das Prinzip der sozusagen neigungsabgeneigten Drehachse wurde bereits 1810 von dem Tübinger Wissenschaftler Johann Gottlieb Friedrich von Bohnenberger vorgestellt und 1852 von Léon Foucault in Gestalt des Gyroskops umgesetzt. Zuvor gab es erfinderische Eigentümlichkeiten wie das Gyrocar des russischen Grafen Pjotr Petrowitsch Schilowski, das im November 1913 seine erste Ausfahrt unternahm. Es hatte zwei im Abstand von fünf Meter hintereinander angebrachte Räder und einen über einen Meter langen, 10 Zentimeter dicken Kreisel unter dem Fahrersitz, der zwischen 2.000 und 3.000 Umdrehungen pro Minute absolvierte und zusammen mit einem Ausgleichsgewicht dafür sorgte, dass das 2,75 Tonnen schwere Fahrzeug, das vier Personen transportieren konnte, nicht umkippte.

1935 erhielt ein Major des Heereswaffenamts die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Berlin: Walter Dornberger wurde für seinen Beitrag zur Kreiselstabilisierung von Raketen ausgezeichnet, die von den Mitgliedern des Vereins für Raumschiffahrt, unter ihnen ein Student namens Wernher von Braun, auf ihrem Raketenflugplatz in Tegel zu konstruieren begonnen hatten. Der chronisch geldknappe Verein hatte unter anderem mit der Vorführung von Hochgeschwindigkeitskreiseln mit bis zu 10.000 U/min vor dem KaDeWe Spenden eingeworben. Die kreiselstabilisierten Raketen führten bis zum Ende des 2. Weltkriegs vor allem im Raum London zu etwa 8.000 Todesopfern.

Aber ich schweife ab.

Das massivmetallene Männerspielzeug Foreverspin ("Built Forever") ist angesichts der zweifelhaften Größe, zu der es Kreisel in der historischen Rückschau gebracht haben, erstaunlich klein, eher Schmuck als Spielzeug. Erwachsenenspielzeug unterscheidet sich von Kinderspielzeug durch eine Art von sturem Aberwitz, den im Fall von Foreverspin die edle und ewigkeitsumwehte Anmutung erbringen soll, mit der die Desktoprotierer beworben werden. Kinder spielen, um zu spielen, ihnen ist schnuppe, ob ein Kreisel aus Titan oder mit 24-karätigem Gold überzogen ist, Hauptsache er wirbelt. Erwachsene spielen, um zu gewinnen. Um Aufmerksamkeit und Renommee zu gewinnen. Wer etwas explizit Nutzloses, nichts als kokette Kostbarkeit Verheißendes wie Foreverspin vorweisen kann, soll glauben, spielerisch an Status zu gewinnen.

Wie um der Eitelkeit unter den Rock schauen zu können, gibt es einen spiegelpolierten Untersetzer, teurer als die Standart-Kreisel aus rostfreiem Stahl, Aluminium und Messing, auf dem man das kleine Aufschneiderwerkzeug hübsch eingezäunt tänzeln lassen kann. Die Erwachsenenversion des Kreisels kassiert das Wesentliche an dieser Art von Spielzeug ein: die Leichtigkeit. Während im Computer eine ausbalancierte Mischung aus Dummheit und Geschwindigkeit am Werk ist, sind es im Kreisel Geschwindigkeit und Leichtigkeit. Um auf die gute, alte analoge Weise zu protzen, bedarf es nun aber offenbar jener speziellen Schwere, die aus einer gewöhnlichen Maschine eine "schwere Maschine" macht und derentwegen die Foreverspin-Kollektion auch in Materialien wie Gußeisen und Wolfram angeboten wird.

Entgegen der Schwebeleichtigkeit, die jeden einfachen Kreisel auszeichnet, egal aus welchem Material er auch besteht – notfalls ein Fidget Spinner aus Plastik –, ist Foreverspin schlicht preziöser Protz. ()