Mikroplastik: "Kürzere Fristen wären denkbar"

Das EU-Verbot für absichtlich zugesetztes Mikroplastik treibt nicht nur Glitzer-Fans um. Ein Fraunhofer-Forscher ordnet ein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 36 Kommentare lesen

(Bild: European Union 2023 / Lukasz Kobus)

Lesezeit: 5 Min.

Manchen Menschen sind kürzlich Glitter-Hamsterkäufe in Drogeriemärkten aufgefallen. Dahinter steckt das Verbot der EU für absichtlich zugesetztes Mikroplastik, das seit dem 15. Oktober gilt. Als Mikroplastik bezeichnen Fachleute Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind. Was genau verboten wurde und was das Verbot für unsere Umwelt und Gesundheit bedeutet, erklärt Ralf Bertling vom Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen.

Welche Produkte sind vom Verbot betroffen?

Betroffen sind Produkte, denen absichtlich Mikroplastik zugesetzt wurde und die dieses auch freisetzen. Das Verbot gilt für Mikroplastik in loser Form, zum Beispiel Glitter, und in diesem Fall auch sofort. Ist der Glitter aber zum Beispiel in einem Make-up Produkt, in einem Lidschatten zum Beispiel, oder einer Creme gebunden, darf es noch eine Weile bleiben. Auch die sogenannten Microbeads sind vom Verbot betroffen, die als Schleifmittel unter anderem in Peelings eingesetzt wurden. Ich spreche absichtlich in der Vergangenheitsform, weil viele Hersteller haben das längst aus ihren Produkten rausgenommen und setzen Alternativen ein, zum Beispiel für Peelings Sandkörner, gemahlene Obstkerne oder Nussschalen.

Welche Produkte außer Cremes mit Glitter sind vom Verbot betroffen, dürfen aber noch länger bleiben?

Andere Kosmetika für die Haut zum Beispiel, Reinigungsmittel und auch das Kunststoffgranulat, das als Füllstoff auf Kunstrasenplätze gestreut wird, damit diese eine vergleichbare Performance bekommen wie Naturrasenplätze. Auf einem Kunstrasenplatz können als lose Schüttung in dieser Form viele Tonnen Mikroplastik liegen. Und diese Teilchen sind natürlich bei Wind und Wetter auch prädestiniert, in die Umwelt zu gelangen. Sie dürfen noch bis Oktober 2031 eingesetzt werden.

Gibt es auch Ausnahmen vom Verbot?

Mikroplastikpulver für den 3D-Druck zum Beispiel ist weiterhin erlaubt. Weil: Wenn das Pulver erst mal geschmolzen und geformt ist, ist es eben in der Regel kein Mikroplastik mehr. Und es gibt Ausnahmeregelungen für Produkte, die an Industriestandorten verwendet werden, und solche, die kein Mikroplastik freisetzen. Und das EU-Verbot adressiert ausschließlich festes Mikroplastik. Halbfeste, gelartige oder flüssige Kunststoffe, die zum Beispiel in Haargel oder Haarwachs stecken, sind nicht betroffen.

Laut EU werden jedes Jahr 42.000 Tonnen absichtlich zugesetztes Mikroplastik in Europa freigesetzt. Wie viel ist das bezogen auf die gesamten Mikroplastikemissionen in die Umwelt?

Verglichen zum Beispiel mit Reifenabrieb oder mit Textilabrieb sind die Mengen von intendiertem Mikroplastik und damit auch der Effekt des Verbots eher als gering einzustufen. Das Fraunhofer UMSICHT hat in einer Studie allein für Deutschland Mikroplastikemissionen von 330.000 Tonnen pro Jahr aus mehr als 50 Quellen abgeschätzt. Die größte Emissionsquelle ist nach unseren Erkenntnissen der Reifenabrieb. Beim Reifenabrieb sprechen wir von ungefähr einem Kilogramm pro Kopf und Jahr. Das wären auf Deutschland übertragen rund 80.000 Tonnen.

Dann ist das Mikroplastikverbot der EU also eher unbedeutend?

Meines Erachtens ist der Treiber für das Verbot das Vorsorgeprinzip, das in der EU angewendet wird. Man will präventiv handeln, bevor ein Problem groß wird. Ein zweiter Treiber ist, dass Mikroplastik in vielen Produkten einfach überflüssig ist, weil es ökologisch verträgliche Alternativen gibt. Die Vorgehensweise der EU ist daher für meine Begriffe durchaus rational. Man widmet sich erst mal den Sachen, die kurzfristig zu lösen sind, bevor man die ganz dicken Bretter bohrt.

Und das wäre zum Beispiel der Reifenabrieb?

Mengenmäßig, ja. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Problem auch noch angegangen wird. Beim Reifenabrieb werden das wahrscheinlich eher End-of-Pipe Maßnahmen sein, weil man seine Entstehung nur schwer verhindern kann. Eine Maßnahme könnte sein, dass das Niederschlagswasser von Straßen besser gereinigt wird. Vielleicht werden auch Reifendesign und -rezeptur noch verändert, damit Reifen weniger Abrieb erzeugen. Das größte Einsparpotenzial hat zurzeit jeder Autofahrer selbst, der sein Pkw vielleicht öfter mal stehen lässt. Aber auch eine moderate Fahrweise, wenn weniger stark beschleunigt oder gebremst wird, kann den Reifenabrieb deutlich verringern.

Forschende haben Mikroplastik schon in Tieren und auch in Menschen gefunden. Welche Folgen hat das?

Die Folgen sind weitgehend unbekannt. Wir wissen, dass sich Mikroplastik überall in der Umwelt verteilt, im Wasser, im Boden, in der Luft. Und selbstverständlich nehmen wir das Material auf. Wir wissen aber noch nicht, was das für Folgen hat. Die Wirkung hängt von vielen Randbedingungen ab, zum Beispiel von der Größe und Form eines Teilchens, wo es sich im Körper befindet und wie lange es dort verbleibt. Fraglich ist, wie problematisch die Kunststoffe überhaupt sind, denn sie gelten chemisch und biologisch als weitestgehend inert. Aber die sehr vielfältigen Additive, die den Kunststoffen zugesetzt werden, können schädlich sein. Ich bin daher schon ein Befürworter, dass man präventiv handelt. Und auch Ökotoxikologen und Mediziner sind gefragt, auf dem Gebiet verstärkt zu forschen.

Wie beurteilen Sie im Sinne der Vorsorge die angesetzten Fristen?

Generell sind Fristen sinnvoll, um Herstellern und Anwendern ausreichend Zeit zu geben, auf alternative Materialien umzustellen. Bei Kunstrasenplätzen ist sicher auch die Planungssicherheit für Sportvereine ein Argument für längere Zeiträume. Da es sowohl bei Kunstrasenplätzen als auch bei Kosmetika bereits stoffliche Alternativen zu Kunststoffen beziehungsweise mikroplastikfreie Produkte gibt, wären kürzere Fristen zumindest denkbar.

(anh)