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Missing Link: Indiens Weltraum-Startups reüssieren mit Kooperation und Effizienz

Pratima Harigunani, Daniel AJ Sokolov
Panel mit schwarzen Feldern die wir Solarzellen wirken, aber Kamera-Sensoren sind

Kamera-Aufbau für den TD-2-Satelliten der indischen Firma Pixxel

(Bild: Pixxel)

Indien hat den Mond erreicht. Weniger bekannt sind die Start-ups und Institute, die mit Weltraumtechnik neue Wege für Kommunikation und Datensammlung suchen.

Hinweis: The original English version of this article [1] is available as well.

Ein dunkler, staubiger, eintöniger Raum, der als improvisiertes Labor dient. Hier treffen sich die beiden jungen Männer zum ersten Mal. Die beiden, mit denen alles begann. Wie der Serienhit "Rocket Boys" über Indiens Weltraumpioniere Homi J. Bhaba und Vikram S. Sarabhai zeigt, begann in diesem Umfeld Indiens Auseinandersetzung mit den Weltraumwissenschaften.

Beide waren jung, neugierig, experimentierfreudig und von der Raumfahrt begeistert; ihre erste Begegnung fand statt, als Bhaba (1909 –1966) Sarabhai (1919 – 1971) für ein Forschungsprojekt interviewte. Beide fühlten sich auf Anhieb auf einer Wellenlänge.

Gemeinsam beschritten sie neue wissenschaftliche Wege. Sie waren sich einig, was den Forschergeist und den unerbittlichen Einsatz für die Forschung betraf. Inhaltlich waren sie in vielen Fragen uneins, etwa in der Frage, wie die Atomphysik angewendet werden sollte. Der eine kämpfte für die Unabhängigkeit Indiens von ausländischen Energiequellen, der andere versuchte, die Probleme der "einfachen Inder" zu lösen. Doch ihre Freundschaft hielt bis zu Bhabas Tod. Würden sie heute ein kleines Labor in Indien besuchen, würden sie vielleicht ihre Einstellung ändern und gemeinsam an einem Strang ziehen.

Weniger staubig. Weniger düster. Aber in Indien gibt es heute viele Räume, in denen Innovatoren ihre Köpfe zusammenstecken, um neue Ideen, Prototypen und Pilotversuche für die Erforschung des Weltraums und darüber hinauszuentwickeln. Im indischen Forschungszentrum für Produktion außerhalb der Erde (ExTeM) arbeiten Forscher an der Entwicklung neuer Technologien für Herstellungsprozesse im Weltraum, vom 3D-Druck hybrider Metalle bis hin zur Herstellung von Kristallen und Biopharmazeutika.

Die ExTeM-Forschungsgruppe am Indian Institute of Technology in Madras verfügt über einen Turm für Fallversuche. Denn im freien Fall entsteht für kurze Zeit Mikrogravitation. "Wir verhandeln mit einigen Start-ups, die Mikrogravitationsplattformen als Dienstleistung anbieten, zum Beispiel für Parabelflüge, und arbeiten auch mit Start-ups wie Vellon Space zusammen, die sich auf Tests im Orbit vorbereiten", berichtet ExTeM-Professor Sathyan Subbiah.

Dann ist da Pawan Chandana, der sich vom Raketenentwickler zum Weltraumunternehmer gewandelt hat. Seine Experimente mit Festtreibstoffen und kryogenen Raketentechnologien führten zur Gründung der Firma Skyroot Aerospace. Das Unternehmen entwirft und baut Trägerraketen für die private indische Raumfahrtindustrie und kann bereits auf einen suborbitalen Start zurückblicken; kürzlich wurde die dritte Stufe der Vikram-I-Rakete erfolgreich getestet.

Ganz in der Nähe, in Hyderabad, bauen Studenten Drohnen für die Landwirtschaft mit autonomer Flugtechnik und programmierbaren Steuereinheiten mit GPS. Studenten des Gandhi Institute of Technology and Management haben mit dem Drohnen-Start-up Mydhili Aerospace bereits den Boden verlassen.

Und dann ist da noch die Rakete Agnikul, die an einer Universität in Madras mit dem Ziel entwickelt wurde, zweistufige Trägerraketen zu bauen, die sich besonders leicht an unterschiedliche Anforderungen anpassen lassen. Damit verfügt Agnikul über mehr als zehn Startplätze in Indien, weitere 25 sollen hinzukommen. Damit verspricht das Start-up Starts, die sich nach dem Zeitplan des Kunden richten; die Installation der Nutzlast soll maximal zwei Wochen dauern.

Von neuartigen Weltraumkartografen wie Digantara bis hin zu Hyperspektralsatelliten zur Erfassung von Weltraumdaten wie Pixxel haben viele Unternehmen und Forscher ein Auge auf die einst schwer fassbaren Grenzen des Weltraums geworfen. Der erdnahe Aufnahmesatellit Pixxel wurde 2022 von SpaceX ins All gebracht. Weitere Pixxel-Satelliten werden in diesem Jahr gestartet, sodass bis Anfang 2024 eine tägliche globale Abdeckung erreicht wird. Auch KaleideO plant, seine hochauflösenden optischen und multispektralen Sensoren mit großer Reichweite bald aus der Luft zu testen, was zur Herstellung von Satelliten und ihren Sensoren führen wird.

Indiens Branche für Weltraumtechnik schwimmt auf einer globalen Wachstumswelle. Grand View Research schätzt [2], dass der weltweite Markt 2030 732 Milliarden US-Dollar schwer sein wird, getragen von Nachfrage nach satellitengestützten Diensten für Telekommunikation, Rundfunk, Wettervorhersage und Fernerkundung. Die Nachfrage steigt nicht zuletzt, weil kleinere, manövrierfähigere Satelliten die Dienstleistungen kosteneffizienter und schneller umsetzbar machen.

Der globale Satellitenmarkt dürfte 2030 18,6 Milliarden US-Dollar umsetzen, schätzt Allied Market Research [3] – dieses Wachstum kommt für Indiens Weltraumambitionen, inspiriert von den Erfolgen indischer Mond- und Sonnenmissionen, gerade recht. John Strand, CEO von Strand Consult, unterstreicht die rasant sinkenden Preise in der Satellitenbranche: "Der Preis von Schwerlast-Starts in den erdnahen Orbit ist von 65.000 Dollar pro Kilogramm auf 1.500 Dollar pro Kilogramm gefallen."

Auf einem Hügel steht ein großes Gebäude mit zwei Türmen

Das Indische Institut für Technik in Madras hat einen Turm für Fall-Experimente.

(Bild: IIT Madras)

Fragen Sie Pradeep Gupta, ehemaliges Mitglied der indischen Regierung und Gründer der Denkfabrik Security and Policy Initiatives, und er wird Ihnen sagen, dass die privatwirtschaftlichen Projekte der indischen Raumfahrtindustrie als Vorbild für andere Industrien dienen sollten - insbesondere das Indian National Space Promotion and Authorisation Centre (IN-SPACe), das gegründet wurde, um die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor zu fördern.

Mydhili Aerospace hat ehrgeizige Ziele: "Neben kommerziellen Raumtransporten sehen wir in der Zukunft Anwendungen wie Software Defined Networking (SDN) und Edge Data Centres, die Kommunikation und Datenverarbeitung revolutionieren können", sagt Gründer und CEO Yerramreddy Nivesh Reddy.

Auch Risikokapitalgeber sind optimistisch. Smita Pawar von den Hyderabad Angels berichtet von zahlreichen Innovationen: "Viele Start-ups werden gegründet. Sie befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium, werden aber bald die Aufmerksamkeit von Investoren auf sich ziehen und durchstarten." Pawan Chandana, Mitbegründer und CEO von Skyroot Aerospace, fügt hinzu: "Indiens jüngste Erfolge sollten das Vertrauen globaler Investoren in Indiens aufstrebenden Raumfahrtsektor stärken, auch in private Unternehmen, und mehr globale Joint Ventures, Investitionen, Kooperationen und Partnerschaften anziehen.

Die Förderung einheimischer Innovation und Produktion ist der zentrale Antrieb der Weltall-Projekte Indiens. Auffallend sind nicht nur die schnellen Erfolge, sondern noch mehr deren Kosteneffizienz. Davon möchten auch andere Länder lernen.

Aditya-L1, ein Satelliten zur Erforschung der Sonne [4], hat sieben unterschiedliche Messinstrumente – alle entwickelt in Indien. Fünf von der öffentlichen Indian Space Research Organisation (ISRO) alleine, zwei weitere von indischen Bildungseinrichtungen in Kooperation mit der ISRO. Jüngst hat Chandrayaan-3 gezeigt, dass Indien einen Rover sicher auf den Mond bringen und dort fortbewegen kann [5]. Sowohl Landefahrzeug als auch Antriebseinheit als auch der Rover selbst kommen aus dem Inland.

Das Raketentriebwerk Dhawan-1, das Skyroot im November 2021 erstmals für einen Test zündete, wurde in Indien mit 3D-Drucktechnik gebaut. Chandana sieht mehrere Pfeiler für das Wachstum der indischen Industrie: die große Zahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte, kosteneffiziente, im Land entwickelte Technologien und die Unterstützung der Regierungen.

Das würde Bhaba freuen. Und auch Sarabhai wäre nicht enttäuscht, denn all diese Kampagnen lindern auch viele Probleme auf der Erde. Denn die Weltraumforschung bringt viele "Abfallprodukte" hervor: Satellitentelefonie, alternative Treibstoffe, Nutzung von Satellitendaten für Landwirtschaft und Infrastruktur bis hin zu Innovationen für den täglichen Gebrauch.

War das vergangene Jahrzehnt ein "verlorenes Jahrzehnt", so bringt uns dieses Jahrzehnt um Lichtjahre voran, bemerkt Forrester-Analyst Indranil Bandyopadhyay. "Erinnern Sie sich, dass Premierminister Narendra Modi die ISRO ermutigt hat, trotz einiger Probleme weiterzumachen? Das ist der Geist der indischen Ambitionen im Weltraum. Wir lernen schnell und machen schnelle Fortschritte. Die jüngsten Erfolge haben einen Multiplikatoreffekt im gesamten Ökosystem ausgelöst. Pixxels TD-2 wird beispielsweise wichtige Informationen über Gaslecks, Entwaldung, schmelzende Polkappen, Umweltverschmutzung und die Gesundheit von Nutzpflanzen sammeln.

Die Fähigkeit, Hungersnöte oder gefährliche Ölunfälle vorherzusagen, wird große Auswirkungen auf viele Industrien und Menschen haben. Bandyopadhyay betont, dass Satellitendaten eine Goldgrube sind, von der viele Wirtschaftszweige und Anwendungen profitieren werden. Er fügt hinzu: "Der Weltraum ist nicht mehr nur ein Spielzeug für reiche Männer". Gupta weist darauf hin, dass dieISRO jeweils mehrere Satelliten in niedrigen, mittleren und hohen Erdumlaufbahnen plant, um Echtzeitdaten zu sammeln: "Es gibt vielversprechende Anwendungen. Der Internetzugang wird sich verbessern, da die Satellitenabdeckung in abgelegenen Gebieten zunehmen wird.

Ein Beispiel für neue Anwendungen ist das indische Start-up KaleidEO Space Systems. Es hat Algorithmen entwickelt, die die Umrisse von Wolken, Straßen und Gebäuden erkennen und Veränderungen automatisch feststellen. Hoffnungen gibt es auch für Solarkraftwerke im All, die Energie über Mikrowellen oder Laser zur Erde senden. Seltene Erden aus dem All könnten Silizium oder fossile Brennstoffe ersetzen. Und die einzigartige Mikrogravitation im Weltraum ermöglicht die Herstellung komplexer und fortschrittlicher Materialien, die auf der Erde nicht möglich wäre. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Mit künstlicher Intelligenz, lasergestütztem interplanetarem Internet, Deep Space Networks und autonomen Kommunikationsprotokollen warten weitere Anwendungen darauf, entdeckt zu werden. Der Blick in den Weltraum kann vieles auf der Erde verändern.

Indiens Fortschritt steht unter dem Motto "One Earth". Globale Zusammenarbeit in der Weltraumforschung kann viel bewirken. So arbeitet KaleidEO aus Bengaluru mit Satelliteogic zusammen, einem Unternehmen für Satellitenkonstellationen und -daten aus Uruguay, und erhält Hardware für Algorithmen sowie Unterstützung bei deren Implementierung von Spiral Blue, einem australischen Start-up-Unternehmen. Amazon Web Services (AWS) India hat eine strategische Absichtserklärung mit ISRO und IN-SPACe unterzeichnet, um Innovationen in der Raumfahrttechnologie durch Cloud Computing zu unterstützen.

links: Zylindrischer Metaltank, der gerade von einer Person auf einer Leiter befüllt wird; rechts: zylindisches Regal mit Apparaten für den Einbau in den Tank

Vorbereitungen für ein Fall-Experiment am Indischen Institut für Technik in Madras

(Bild: IIT Madras)

Gupta erinnert daran, dass Indiens Weltraumprogramm friedlichen Zwecken dient. "Das GPS-Navigationssystem wird uns Vorteile bringen und vielleicht andere Nationen dazu bewegen, es ebenfalls zu nutzen. Indien arbeitet mit der Canadian Space Agency, der ESA, derJapan Aerospace Exploration Agency, der NASA und der Russischen staatlichen Raumfahrtagentur zusammen".

"Wer in all dem Lärm die Musik hören kann, wird Großes vollbringen", sagte Sarabhai einmal. In Indien arbeiten viele Köpfe und Hände daran, diese Musik inmitten des Lärms zu schaffen.

(ds [6])


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https://www.heise.de/-9318658

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[1] https://www.heise.de/hintergrund/Missing-Link-India-s-Space-Babies-The-Ultrasound-of-a-Huge-Future-9317445.html
[2] https://www.grandviewresearch.com/press-release/global-space-technology-market
[3] https://www.alliedmarketresearch.com/satellite-internet-market-A12472
[4] https://www.heise.de/news/Aditya-L1-Indischer-Forschungssatellit-unterwegs-zur-Sonne-9293186.html
[5] https://www.heise.de/news/Chandrayaan-3-Indischer-Lander-Vikram-auf-dem-Mond-gehuepft-9296242.html
[6] mailto:ds@heise.de