Statt seltene Erden: US-Startup setzt bei Magneten auf anderes Material

Niron Magnetics hat sich zum Ziel gesetzt, kostengünstige Materialien zu verwenden, um dringend benötigte Magnete für E-Autos und Windturbinen herzustellen.

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(Bild: Niron Magnetics)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Casey Crownhart
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Die Motoren in einem Elektrofahrzeug sind auf starke Dauermagnete angewiesen, um zu funktionieren. Das Problem: Die Rohstoffe für diese Magneten könnten bald Mangelware sein. Dauermagnete können ein Magnetfeld auch ohne elektrische Ladung aufrechterhalten. Sie werden häufig in Motoren eingesetzt, um das Magnetfeld zu erzeugen, das in Wechselwirkung mit elektrischem Strom die Drehkraft erzeugt. Dauermagnete, die heute in High-End-Motoren verwendet werden, bestehen aus einer Klasse spezieller Metalle, sogenannte seltene Erden. Es wird erwartet, dass die Nachfrage nach diesen Rohstoffen in den kommenden Jahrzehnten sprunghaft ansteigen wird, insbesondere durch das Wachstum bei E-Mobilität und Windkraftanlagen. Da Minen und Verarbeitungsanlagen mit der Nachfrage nicht Schritt halten können, könnte das Angebot bald knapp werden.

Ein Start-up aus Minnesota arbeitet deshalb nun daran, die drohende Knappheit zu bekämpfen. Niron Magnetics ist dabei, eine großangelegte Produktionsanlage zur Herstellung von Eisennitrid aufzubauen. Das ist ein magnetisches Material, das aus einfachen Rohstoffen gewonnen wird. Es soll so verändert werden, dass es in stärkeren Magneten verwendet werden kann, die in nachgefragte Produkte passen. Klappt das wie gewünscht, könnte dies dazu beitragen, den drohenden Versorgungsengpass zu überwinden, der Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ausbremsen könnte.

Die Dauermagnete, die die meisten von uns kennen, sind aus günstigen Materialien wie Ferriten. Sie halten etwa Postkarten an unserem Kühlschrank. Aber viele der Geräte und Maschinen – etwa besagte E-Autos – benötigen viel leistungsstärkere Magnete. Motoren, die Bewegungen mithilfe von Permanentmagneten erzeugen, sind in der Regel leistungsfähiger und effizienter, sodass seltene Erden wie Neodym und Dysprosium für eine Vielzahl von Produkten unerlässlich geworden sind. In einer Windturbine zum Beispiel nutzen die Magnete im Generator die Bewegung der Rotorblätter und wandeln sie in Strom um – und ohne starke Magnetkraft geht das nicht.

Wie bei vielen anderen Rohstoffen, die für saubere Energietechnologien benötigt werden, sind auch Magnetmaterialien einem großen Nachfrageschub unterworfen. Im Falle von Neodym und Dysprosium wird sich das Angebot bis 2050 versiebenfachen müssen, nur um den Markt der Windturbinen zu befriedigen, sagt Seaver Wang, Co-Direktor des Klima- und Energieteams am Breakthrough Institute, einer Denkfabrik für Umweltpolitik.

Weiterhin könnte die Nachfrage nach seltenen Erden für Elektrofahrzeuge laut einer Analyse der Internationalen Energieagentur bis 2040 auf das 15-fache des heutigen Niveaus ansteigen. Und es geht nicht nur um die Energiewende. Ein verbesserter Zugang der Menschheit zu Strom und kostengünstiger Elektronik bedeutet, dass die Nachfrage nach seltenen Erden auch in anderen Bereichen steigt. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die geologischen Reserven in absehbarer Zeit erschöpft sein werden, sagt Wang – denn so selten sind sie eigentlich nicht, wenn man sich den Gesamtvorrat auf dem Planeten anschaut. Doch dort, wo sie gefunden werden, sind sie in der Regel nicht sehr konzentriert, sodass es eine große Herausforderung ist, das Angebot schnell und wirtschaftlich zu steigern.

In naher Zukunft – bis zum Jahr 2035 – könnte sich die weltweite Nachfrage nach Neodym-Magneten verdreifachen, während sich die Produktion aufgrund der langen Vorlaufzeiten für die Erstellung neuer Minen bis dahin wahrscheinlich nur verdoppeln wird. Davon geht das Materialforschungsunternehmen Adamas Intelligence aus. Angesichts der wachsenden Nachfrage "braucht die Welt eine andere Lösung und neue Technologien", argumentiert Jonathan Rowntree, CEO von Niron Magnetics. Doch heute gibt es nur wenige Alternativen zu Dauermagneten. Recycling kann zwar helfen, dass in Zukunft weniger seltene Erden abgebaut und verarbeitet werden müssen. Doch es wird nicht genug Gebrauchtmaterial geben, um die wachsende Nachfrage über Jahrzehnte zu decken.

Tesla kündigte schon 2023 an, dass es in seinen Motoren künftig keine Metalle aus seltenen Erden mehr verwenden wird – obwohl das Unternehmen bislang keine Einzelheiten darüber bekannt gegeben hat, wie das möglich sein wird. Einige Experten haben spekuliert, Tesla plane, Ferritmaterialien mit geringerer Leistung zu verwenden, was den Motoren aber mehr Volumen und Gewicht verleihen würde. Rowntree und Kollegen sehen hingegen Eisennitrid als Teil der Lösung für das zu erwartende Problem. Eisennitrid-Magnete benötigen keine seltenen Erden und auch kein Kobalt – ein anderes Metall, das manchmal in Magneten sowie insbesondere in Lithium-Ionen-Batterien verwendet wird. Kobalt hat noch ganz andere Probleme – es ist beim Abbau äußerst schlecht für die Umwelt und in den Minen gibt es Berichte über humanitäre Probleme. Einige Experten sind überzeugt, dass eisenbasierten Materialien am Ende genauso starke Magnete hervorbringen könnten wie solche, die Metalle aus seltenen Erden enthalten.

Niron Magnetics will dem Problem nun mit Alpha-Double-Prime-Eisennitrid begegnen: Es wurde in den Fünfzigerjahren entdeckt, doch es dauerte weitere 20 Jahre, bis Forscher seine starken magnetischen Eigenschaften nutzen konnten. Jian-Ping Wang, Professor an der University of Minnesota und leitender Wissenschaftler bei Niron Magnetics, erzählt, dass man die Fähigkeiten des Materials zunächst nicht physikalisch erklären konnte. Noch bis in die Neunziger gab es Schwierigkeiten, Magnetproben zuverlässig daraus herzustellen. Von diesem Problem fasziniert, begann Wang 2002 an seiner Hochschule mit der Arbeit an produktfähigem Eisennitrid.

Nachdem er Hunderte Materialvarianten hergestellt und fast ein Jahrzehnt lang daran gearbeitet hatte, knackte er schließlich den Code für die zuverlässige Herstellung von Eisennitridmaterialien in dünnen Schichten. Er stellte seine Ergebnisse 2010 auf einer großen Konferenz vor – im selben Jahr, als die geopolitischen Spannungen zwischen Japan und China zu einem enormen Preisanstieg bei seltenen Erden führten. Plötzlich gab es ein größeres Interesse an Alternativen, die zur Herstellung von starken Dauermagneten verwendet werden können. Das ARPA-E-Projekt des US-Energieministeriums förderte die Entwicklung solcher Materialien und vergab einen Zuschuss an Wang und jenes Forschungsunternehmen, aus dem schließlich Niron Magnetics hervorging.

Seltene Erden sind in moderner Technik allgegenwärtig, weil sie einen "gewaltigen Sprung" in der Energiedichte von Magneten bedeuteten, als sie in den Sechzigern entdeckt wurden, sagt Matthew Kramer, leitender Wissenschaftler am Ames National Laboratory. Diese wird in Mega-Gauss-oersted (MGOe) gemessen wird. Während Ferritmagnete am Kühlschrank wahrscheinlich eine MGOe von etwa 5 haben, sind Magnete auf Neodym-Basis deutlich stärker und erreichen etwa 50 MGOe.

Dauermagnete erzeugen Magnetfelder über den Elektronenspin, also geladene Teilchen in Atomen. Verschiedene Elemente haben eine unterschiedliche Anzahl freier Elektronen, die unter bestimmten Umständen dazu gebracht werden können, sich in dieselbe Richtung zu bewegen und so ein Magnetfeld zu erzeugen. Vereinfacht gesagt: Je mehr Elektronen frei beweglich sind und sich in dieselbe Richtung bewegen, desto stärker ist das Magnetfeld.

Eisen hat viele freie Elektronen, aber ohne eine übergeordnete Struktur neigen sie dazu, sich in verschiedene Richtungen zu bewegen, was dazu führt, dass sich das Magnetfeld gegenseitig aufhebt. Wenn man Neodym, Dysprosium und andere Metalle aus seltenen Erden hinzufügt, kann man die Eisenatome so anordnen, dass ihre Elektronen "kooperieren", was zu starken Magneten führt. Eisennitrid schafft dagegen, was nur wenige andere Materialien können: Es ordnet Eisen in einer Struktur an, die die Elektronen ausrichtet und dies so belässt. "Wenn man Stickstoff dazu bringen könnte, Eisen in geeigneter Weise zu verteilen, sollte man in der Lage sein, einen wirklich sehr guten Dauermagneten zu erhalten", sagt Experte Kramer. Das hat sich jedoch als Herausforderung erwiesen, weil es schwierig ist, das Eisennitrid in großen Mengen herzustellen und die komplexe Chemie so zu nutzen, damit es seine Magnetisierung beibehält.

Nachdem es Wang gelungen war zuverlässig dünne Schichten aus Eisennitrid herzustellen, war der nächste Schritt, herauszufinden, wie man es in großen Mengen herstellen, zerkleinern und zu Magneten zusammenpressen kann.

Das war eine gehörige Herausforderung, zumal sich Eisennitrid bei hohen Temperaturen zersetzt, was die Möglichkeiten der herkömmlichen Magnetherstellung einschränkt, erklärt Wang. Er entwickelte mehrere Herstellungsmethoden von Eisennitrid in loser Schüttung, von denen eine der vielversprechendsten darin besteht, Stickstoff unter ganz bestimmten Bedingungen durch Eisenoxid zu diffundieren.

In den letzten Jahren hat sich Niron auf die Perfektionierung und Vergrößerung des Herstellungsprozesses konzentriert, sagt Rowntree. Es gilt herauszufinden, wie man das Potenzial von Eisennitrid ausschöpfen kann.

Eigentlich sollten sich mit Eisennitrid Magnete herstellen lassen, die noch stärker sind als die heute verwendeten Neodym-Magnete. Doch heute erreichen die Magnete von Niron laut Niron-CEO Rowntree nur etwa 10 MGOe. Das ist ausreichend für Geräte wie Lautsprecher, die das Unternehmen als frühes Produkt erforscht. Auf der CES im Januar stellte es kleine Lautsprecher mit Niron-Magneten vor.

Mit einer höheren Magnetstärke werden Eisennitrid-Magnete in Geräten wie Elektrofahrzeugen und Windturbinen nützlicher sein. Theoretisch sollte das Material mit dem derzeitigen Herstellungsverfahren von Niron 20 bis 30 MGOe erreichen können, sagt Wang, obwohl dies "eine Menge Optimierung" erfordert.

Niron erhielt vor kurzem über 30 Millionen Dollar von Investoren, darunter GM Ventures und Stellantis Ventures, und damit insgesamt mehr als 100 Millionen Dollar an Finanzmitteln. Das Unternehmen arbeitet daran, die Produktionskapazität in seiner derzeitigen Pilotanlage zu erhöhen, mit dem Ziel, bis Ende 2024 eine Produktionskapazität von 1.000 Kilogramm zu erreichen.

Die Arbeit von Niron könnte zusammen mit anderen Alternativen und Umgehungslösungen entscheidend dazu beitragen, einen wichtigen potenziellen Engpass für mehrere kritische Klimatechnologien zu beseitigen. "Mehr Magnete und ein größeres Magnetangebot sind entscheidend für die Energiewende", sagt Gregg Cremer, Berater bei ARPA-E. "Ohne mehr Magnete können wir unsere Ziele nicht erreichen."

Update, 8.2.2024, 11:30 Uhr: Im ersten Absatz wurde der Bezug zu Staubsaugern korrigiert, um Verwirrungen zu vermeiden.

(jle)