Post aus Norwegen: Forschung gegen fossile Energien

Das Fjordland, das weiter am Öl- und Gas-Tropf hängt, richtet ein neues Wissenszentrum ein. Es soll helfen, Bohrlöcher zu schließen und CO2-Ziele zu erreichen.

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Post aus Norwegen: Fossile Energiequellen stopfen, klimafreundlich werden

(Bild: SINTEF)

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Norwegen hat unter Umweltfreunden ein gutes Image. Es gibt noch jede Menge unberührte Natur, der Staat ist in Europa führend bei der Verwendung von Elektroautos und die Energieversorgung des mittlerweile fast 5,4 Millionen Einwohner zählenden Königreichs läuft zu 99 Prozent über Wasserkraft. Das Problem: All dieser Ökofreundlichkeit steht die Tatsache gegenüber, dass kein Staat in Westeuropa mehr Öl und Gas aus dem Meeresboden holt.

Der Vorstand des norwegischen Forschungsrates hat deshalb nun beschlossen, ein neues Innovations- und Wissenszentrum zu unterstützen, das sich speziell darum kümmern soll, das Ende der Förderung fossiler Brennstoffe vorzubereiten. Für die nächsten acht Jahre wird das SFI SWIPA ("Subsurface Well Integrity, Plugging and Abadonment") dazu dienen, ein fundiertes Verständnis dafür zu gewinnen, wie sich die zahllosen Bohrlöcher der ebenso zahllosen Öl- und Gasplattformen Norwegens klimafreundlich stopfen und auf immer sicher verschließen lassen.

Norwegen erhofft sich, mit den Innovationen hohe Kosten einzusparen. Mehr als 3000 Quellen müssen auf dem norwegischen Festlandsockel geschlossen werden, wenn die Öl- und Gasförderung ihr Ende findet – ein Ziel, das das Land für die nächsten Jahrzehnte ins Auge fasst, auch wenn es noch keinen Endtermin gibt. Das wird teuer für Staat und Ölkonzerne. Gesetzlich müsste der nämlich hauptsächlich dafür aufkommen – bis zu 76 Milliarden Euro (800 Milliarden norwegische Kronen) könnte das kosten. SFI SWIPA ist jetzt damit beauftragt, Möglichkeiten zu erforschen, diese Kosten zu halbieren. Das kündigt Harald Linga an, Forschungsmanager bei SINTEF, dem größten Forschungsverbund Skandinaviens.

Zu den wissenschaftlichen Zielen gehört ein grundlegend besseres Verständnis des Bodenuntergrundes. Das könnte nicht nur für das Verschließen von Öl- und Gasquellen, sondern auch bei der Lagerung nuklearer Abfälle und der CO2-Sequestrierung in der Erde wichtig sein. Auch die Geothermie könnte profitieren.

SFI SWIPA soll eine Innovationsplattform für interdisziplinärer Zusammenarbeit werden. Auch branchenfremde Projekte können von den dort gewonnenen Erkenntnissen profitieren. Der Wissenstransfer ist im Zentrum angelegt, das für norwegische Verhältnisse adäquat ausgestattet werden soll. Es schafft elf Promotionsstellen, wird sechs Postdoktoranden beschäftigten und einen Masterstudiengang für 30 Studierende anbieten, die mit der neuen Expertise in die Industrie gehen können.

Post aus Norwegen

Norwegen ist ein Paradoxon: Die größte Öl- und Gasnation Europas ist gleichzeitig Klimaschoner Nummer Eins bei Stromerzeugung und Autoverkehr. An dieser Stelle berichtet Ben Schwan über Innovationen aus dem Land der Fjorde – und seine Eigenarten.

Alexandra Bech Gjørv, CEO von SINTEF, betont, dass die enge Beziehung zwischen Wirtschaft und Forschung Norwegen bereit für "neue industrielle Abenteuer" mache – so war es schließlich auch in der Öl- und Gasbranche und später beim Aufbau der mittlerweile gigantischen Fischfarmindustrie. Es gehe dabei um "großes Vertrauen, kurze Entfernungen und einen systematischen Austausch", das sei für Norwegen ein gutes Modell der Wertschöpfung.

Entsprechend sollen Unternehmen sich aktiv in die Forschung einbringen. Der norwegische Energiegigant Equinor, dereinst als Statoil gestartet und noch immer mehrheitlich im Staatsbesitz, wird wohl eine zentrale Rolle spielen.

Dass das SFI SWIPA offiziellen Status und Unterstützung erhält, liegt auch daran, dass es die Einhaltung der UN-Nachhaltigkeitsziele unterstützen soll, die Norwegen als Öl- und Gasnation nur unter erschwerten Bedingungen verfolgen kann. Insbesondere Ziel 9 (Innovation und Infrastruktur) und Ziel 13 (Klimawandel beenden) decken sich mit der Agenda des Zentrums. Viele theoretische Ansätze sollen nun aggressiver erforscht werden, etwa Möglichkeiten zu geringerem Energieverbrauch und zur Reduktion von Emissionen in der fossilen Energiebranche. Und auch nach effizienteren Methoden, CO2 sicher im Boden zu speichern, wird gesucht.

(bsc)