Stammzellen: Erstmals künstliche Frühstadien menschlicher Embryonen erzeugt

Embryos aus dem Labor? Zwei neue Studien zu Embryonalstrukturen in der Petrischale zeigen Potenzial – und werfen ethische Fragen auf.

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Petrischale

(Bild: Joyseulay / Shutterstock)

Lesezeit: 3 Min.

Das Wettrennen um wissenschaftliche Anerkennung war selten so knapp: Zwei Forschungsgruppen – eine um Magdalena Zernicka-Goetz von der Cambridge University in Großbritannien, eine anderen um Jacob H. Hanna vom Weitzmann-Institut für Wissenschaften in Israel – konnten offenbar fast zeitgleich menschliche Embryonalstrukturen aus Stammzellen präsentieren, wenngleich in sehr frühen Entwicklungsstadien. Die Forschenden selber nennen die gereiften Zellhaufen aus dem Labor Embryo-Modelle oder Embryoide.

Zernicka-Goetz berichtete zunächst vor ein paar Tagen auf einer Konferenz in Boston von ihren Untersuchungen, was anschließend im Guardian zu lesen war. Gestern nun veröffentlichten beide Teams ihre Studien auf dem Preprintserver bioRxiv. Von unabhängigen Wissenschaftlern wurden die Ergebnisse noch nicht begutachtet.

Die Embryonalstrukturen aus beiden Studien haben einen Entwicklungsstand, wie er für ein menschliches Embryo ungefähr 14 Tage nach der Befruchtung typisch ist. Sie verfügten unter anderem über eine zweischichtige Keimscheibe, über flüssigkeitsgefüllte Hohlräume, eine dünne Haut, die später die Fruchtblase bilden könnte, und einen Dottersack, heißt es in der Studie aus Israel. Von Herz oder Hirn ist in diesem Entwicklungsstadium noch nichts zu sehen. Nervenzellen etwa bilden sich erst in Woche vier.

Für die Forschung seien die Ergebnisse von großer Bedeutung, heißt es in der Studie von Zernicka-Goetz. Menschliche Embryoide könnten künftig unter anderem erstmals ganz neue, entscheidende Einblicke in die Auswirkungen genetischer Störungen und die biologischen Ursachen wiederholter Fehlgeburten geben. Gerade die ersten Lebenswochen seien dafür entscheidend. Bisher habe man diese Phase nur im Tiermodell untersuchen können.

Jesse Veenvliet vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (CBG) in Dresden ist beeindruckt. "Die Ähnlichkeit mit dem natürlichen Embryo ist bemerkenswert, fast unheimlich", sagt er. Auch wenn bei der künstlichen Erzeugung im Labor nicht alle natürlichen Entwicklungsstadien durchlaufen würden. Den Unterschied der beiden Arbeiten sieht er vor allem darin, dass das Team aus Großbritannien mit Transgenen arbeitet, um die embryonalen Strukturen erreichen, jenes aus Israel hingegen mit einem chemischen Cocktail.

Die Reproduzierbarkeit und Effizienz der Prozesse müsste allerdings noch deutlich gesteigert werden, wolle man die embryoähnlichen Strukturen zum Beispiel für Toxizitätstests nutzen, sagt Veenvliet. Eine Weiterentwicklung der künstlichen Embryostrukturen über 14 Tage hinaus hält er für durchaus möglich – und damit auch fortgeschrittenere Entwicklungsstadien zu kreieren.

Bei Mäusen ist eben dies den beiden Forschungsteams aus Großbritannien und Israel bereits gelungen. Im letzten Jahr berichteten sie gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen des California Institut of Technology im Wissenschaftsmagazin Nature von Mäuseembryos aus Stammzellen. Auch auf Heise online war davon zu lesen. Die Winzlinge sahen selbst aus Laiensicht einem Embryo sehr ähnlich – und sie hatten ein schlagendes Herz.

Die Frage, was die neuen Erkenntnisse zu den Embryonalstrukturen ethisch und regulatorisch bedeuten, ist zurzeit noch unklar. Schon die Bezeichnung ist umstritten: Handelt es sich tatsächlich um Embryo-Modelle zu oder doch um echte Embryonen? Oder womöglich gar um Klone? Auch davon hängt ab, welche Regulatorien hier greifen – oder welche Anpassungen nötig sind. Eine gesellschaftliche Diskussion ist auf jeden Fall angesagt.

(bsc)