Studie verrät, wie Mikroplastik das Mikrobiom von Seevögeln verändert

Forscher haben den Darm von mit Mikroplastik belasteten Seevögeln untersucht. Wie es um das Mikrobiom dieser Tiere bestellt war, schreiben sie in ihrer Studie.

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Mikroplastik im Meer

Seevögel, wie der Corysturmtaucher, nehmen Mikroplastik über das Meerwasser bei der Beutejagd auf.

(Bild: Dr. Christopher Pham, Universität der Azoren)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Kunststoff kleinster Größe ist mittlerweile überall. Er befindet sich in der Luft, die wir atmen, im Wasser, das wir trinken – und in den Lebensmitteln, die wir essen. Nach aktuellen Schätzungen nehmen manche Menschen jede Woche Plastik in der Größe einer Kreditkarte zu sich. Mikroplastik wurde bereits im menschlichen Blut, in der Plazenta von Frauen und natürlich in Fäkalien gefunden. Aber wir wissen immer noch nicht genau, was all diese winzigen Plastikteilchen mit uns anstellen – und anderen Lebewesen.

Neue Untersuchungen an Seevögeln deuten nun darauf hin, dass sich die mitgegessenen Fremdkörper auf das Darmmikrobiom auswirken könnten – jenen Billionen von Mikroorganismen, die sich im Darm ansiedeln und eine wichtige Rolle für die Gesundheit spielen. Seevögel nehmen das Plastik aus dem Meer auf, das sich, wie wir wissen, in ihren Mägen ansammeln kann. Die jüngste Studie zeigt, dass die Vögel dadurch mehr potenziell schädliche Mikroorganismen im Darm haben, darunter sogar einige, die Kunststoffe abbauen können.

"Die Studie erweitert unseren Blick auf die Auswirkungen der Plastikverschmutzung auf die Tierwelt", sagt Martin Wagner, ein Biologe, der an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie die Auswirkungen von Plastik auf Ökosysteme und die menschliche Gesundheit erforscht und die Arbeit kennt. Er findet die Ergebnisse "besorgniserregend". Es ist seit langem bekannt, dass Kunststoffe bei Tieren zu Toxizität und körperlichen Schäden führen können. Die frischen Belege dafür, dass auch das Mikrobiom von Tieren betroffen ist, zeigen das breite Spektrum der negativen Auswirkungen, die von der Plastikverschmutzung und insbesondere von Mikroplastik ausgehen, sagt Wagner.

Mikroplastik, also winzige Plastikteile mit einem Durchmesser von weniger als fünf Millimetern, ist eine Art der Verschmutzung, die Ökosysteme auf der ganzen Welt erreicht hat. "Wir wissen, dass Mikroplastik in sehr abgelegene Bereich der Tiefsee, in die Arktis und auf das tibetischen Plateau gelangt ist", sagt Gloria Fackelmann, Mikrobiologin an der Universität Ulm. "Es gibt auch Mikroplastik in Flüssen. Und mehr und mehr Forschungsarbeiten beginnen damit, sich mit Mikroplastik in Böden zu befassen." Die Wissenschaft weiß derzeit noch nicht genau, wie viel Kunststoff die meisten Tiere abbekommen. Aber es ist klar, dass Seevögel besonders gefährdet sind. Denn diese Arten verbringen einen Großteil ihrer Zeit auf hoher See und fressen Fische nah der Wasseroberfläche. Dabei nehmen sie auch viel schwimmendes Plastik zu sich.

Ältere Studien haben ergeben, dass diese Kunststoffe für Seevögel äußerst schädlich sein können. Tiere mit einem Magen voller Plastik können sich satt fühlen, so dass sie nicht genug fressen und schließlich verhungern. Auch die Chemikalien, die aus den Plastikfragmenten austreten, können schädlich sein und zum Beispiel Entzündungen verursachen. Da sich Mikroorganismen an den Oberflächen von Kunststoffen festsetzen können, fragten sich Fackelmann und ihre Kollegen, ob Mikroplastik auch die Arten beeinflussen könnte, die das Mikrobiom der Tiere bilden. Bislang haben nur wenige Studien die möglichen Auswirkungen von Kunststoffen auf diesen Bereich untersucht. Dabei handelte es sich oft um Versuchsanordnungen, bei denen Mäuse in einem Labor mit Plastik gefüttert wurden. Die Ulmer Forscherin Fackelmann und ihre Kollegen wollten stattdessen herausfinden, was in einer realen Umgebung passiert.

Die Kollegen von Fackelmann untersuchten Seevögel aus Kanada und Portugal. Siebenundzwanzig Eissturmvögel wurden von den Wissenschaftlern gesammelt, die dazu mit Inuit-Jägern in der Nähe von Qikiqtarjuaq in Nunavut in Kanada zusammenarbeiteten. 58 Cory-Sturmtaucher, die nach Kollisionen mit Gebäuden verendet waren, wurden auf dem Azoren-Archipel gesammelt. Die Wissenschaftler entnahmen dann Proben von beiden Enden des Verdauungstrakts jedes Vogels, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das Mikrobiom beschaffen war.

Abschnitt des Magen-Darm-Trakts eines Seevogels, in dem man Mikroplastikpartikel mit bloßem Auge erkennen kann.

(Bild: Yasmina Rodríguez, Universität der Azoren)

Das Team spülte auch den Magen-Darm-Trakt der Vögel aus, um die vorhandenen Plastikteile zu zählen und die Gesamtmenge im Darm jedes Tieres zu wiegen. Die Vögel, die mehr Mikroplastikstücke in ihren Därmen hatten, wiesen eine größere Vielfalt in ihrem Mikrobiom auf als andere. Eine größere Vielfalt an Darmmikroben wird traditionell eigentlich als gut angesehen. Aber das ist nicht immer der Fall, sagt Fackelmann. Wenn die eingeführten Bakterien für das Tier schädlich sind, wäre eine größere Vielfalt nicht von Vorteil, sagt sie.

Um herauszufinden, ob die eingeschleppten Mikroben "gut" oder "schlecht" sind, analysierten Fackelmann und ihre Kollegen die Mikrobiome und suchten in Datenbanken nach einzelnen Mikroben, um zu erfahren, was sie tun. Sie fanden heraus, dass mit mehr Plastik auch mehr Mikroorganismen vorhanden waren, von denen bekannt ist, dass sie Plastik abbauen. Es gab auch mehr Mikroben, die bekanntermaßen gegen Antibiotika resistent sind, und mehr Mikroben mit dem Potenzial, Krankheiten zu verursachen.

Fackelmann und ihre Kollegen untersuchten allerdings nicht den Gesundheitszustand der Vögel, so dass sie nicht wissen, ob Teile des Mikrobioms die Vögel krank gemacht haben könnten. "Aber wenn sich Krankheitserreger und antibiotikaresistente Mikroben im Verdauungssystem ansammeln, ist das natürlich nicht gut", sagt Wagner.

Die Studie, die im Journal "Nature Ecology and Evolution" veröffentlicht wurde, zeigt laut Fackelmann, dass die bereits in der Umwelt vorhandenen Plastikmengen ausreichen, um das Mikrobiom der Tiere zu beeinflussen. Der nächste Schritt ist nun, herauszufinden, was dies für die Gesundheit der Tiere und die Gesundheit anderer Lebewesen, einschließlich des Menschen, bedeuten könnte, sagt sie. "Als ich [die Studie] gelesen habe, musste ich an Wale denken, die mit kiloweise Plastikmüll in ihren Bäuchen gestrandet waren", sagt Wagner. "Es ist wahrscheinlich vergleichbar mit dem, was Vögel in ihrem Verdauungssystem haben, daher wäre es interessant zu wissen, ob dies auch bei Walen, Delfinen [und anderen Meerestieren] vorkommt."

Wir wissen noch nicht, ob die Menge an Plastik, die der Mensch zu sich nimmt, ausreicht, um unser Mikrobiom zu verändern. Menschen nehmen viel weniger Plastik auf als Seevögel, sagt Richard Thompson, Professor für Meeresbiologie an der Universität von Plymouth in Großbritannien. Die Menge an Kunststoff, die in unseren Körper gelangt, hängt auch davon ab, wo wir leben und arbeiten. Menschen, die in Textilfabriken arbeiten, sind beispielsweise einer höheren Belastung ausgesetzt als diejenigen, die im Freien arbeiten.

Auch wissen wir nicht, welche Folgen die Aufnahme von Mikroben hat, die sich an das Mikroplastik heften, das in unseren Körper gelangt. Thompson weist darauf hin, dass der Mensch bereits vielen krankheitsverursachenden Mikroben ausgesetzt ist, die sich nicht auf Kunststoffen befinden. Wir könnten uns zum Beispiel Sorgen darüber machen, dass winzige Plastikteile im Abwasser problematische Bazillen aufnehmen könnten, die dann irgendwie in unseren Körper gelangen. Aber überlaufende Abwässer verunreinigen regelmäßig Strände und Trinkwasser direkt, ganz ohne Plastik.

Es besteht die Möglichkeit, dass Mikroben, die Plastik abbauen, sich auch in unseren Eingeweiden niederlassen. Es ist schwer zu sagen, wie – oder ob – sich dies auf uns negativ auswirkt. Mikroben können sich schnell weiterentwickeln und ihre Gene mit denen benachbarter Lebewesen austauschen. "Werden wir uns in die Richtung entwickeln, Plastik zu verdauen? Meine Antwort wäre wahrscheinlich nein", sagt Fackelmann. Aber die Möglichkeit, dass sich in unseren Eingeweiden mehr Mikroben ansiedeln, die Plastik abbauen können, ist "nicht außerhalb des Bereichs des Möglichen", sagt sie.

(jle)