Verriss des Monats: Das Ohr des Bauchs

Wenn es darum geht, sich von der Konkurrenz abzusetzen, wird auch unter der Gürtellinie gearbeitet. Ein kleines Talentiergerät für Ungeborene versucht es dabei mit Musik.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Glaser

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Die Älteren unter den Zuhörern draußen an den Radioapparaten werden sich noch an die Zeit erinnern, in der Telefone an Spiralkabel gekettet wie Hofhunde in ungemütlichen, kalten Wohnungsfluren gehalten wurden und man, wie für ein Disziplinarvergehen, meist noch im Stehen telefonierte. Inzwischen ist zum einen die Digitalisierung der Kommunikationstechnik, zum anderen die Kommunikationstechnik mitsamt der restlichen Digitaltechnik uns auf den Leib gerückt. Längst sind Telefone kleine, leistungsfähige Computer, und sie sind in unsere Hemd- und Hosentaschen gekrochen wie kleine Tiere.

Technik zum Anziehen boomt. Nun haben wir die Wearables am Hals. Fitnessarmbänder funken jeden Marathonmeter ans Smartphone. Mit einer Apple Watch kann man sogar seinen Herzschlag verschicken. Und es ist nicht nur der Hals, an dem wir die Geräte haben. Ein finnisches Startup verkauft beispielsweise Ohrstöpsel mit einer LED, die durch den Gehörgang Licht direkt ins Gehirn schicken und die Stimmung verbessern soll (Verriss des Monats: Die Leuchtgläubigen).

Der letzte Schrei: Die gynäkologische Klinik Marquès in Barcelona hat ein Gerät zur Marktreife geführt, das einen alternativen Zugang nutzt – den Babypod. Es handelt sich dabei um ein Stück Technik, durch das Babys angeblich "das Sprechen durch die Antwort auf klangliche Reize" erlernen – "Mit Babypod beginnt die Artikulation im Uterus." Leider hat Körpergewebe, etwa die Bauchdecke, akustisch ausgesprochen dämpfende Eigenschaften, weshalb es gynäkologisch gesehen nur eine Lösung gibt: "Der einzige Weg, auf dem die Musik das Ungeborene wirklich erreicht, ist durch die Vagina", wird auf der Babypod-Website klargestellt. "Hihi", schreibt Julia Bähr in der nicht für Freizügigkeit bekannten FAZ, "wer schwanger ist, sollte ja wissen, wo es langgeht, nicht wahr."

An manchen Stellen der eingedeutschten Online-Marketingtexte fragt man sich, ob sie einfach nur amateurhaft übersetzt sind oder ob das nicht doch vielleicht raffiniert ist. "Beim Gynäkologen empfohlen" liest man etwa am Rand einer Vignette, die wohl den Eindruck eines Gütesiegels erwecken soll. Stünde da "Von Gynäkologen empfohlen" (gewöhnlich heißt sowas ja eigentlich "Von führenden Gynäkologen empfohlen"), dann würde man natürlich gern den einen oder die andere sehen oder Namen lesen. Durch das "Beim" lässt sich das elegant vermeiden, "Beim Gynäkologen empfohlen" heißt alles und gar nichts.

Es ist eine Sprachmethode, die man besonders gern bei esoterischen Produkten findet, deren Wirkungsweise nicht belegbar ist und die deshalb herbeigeredet werden muss, und zwar mit Geschwafel, Pseudowissenschaftlichkeit und solchen wolkigen, scheinbar unbeholfenen Formulierungen wie der mit dem Gynäkologen. Das Wischiwaschi ist in vielen Fällen wohlkalkuliert, da man sich mit falschen Versprechungen schnell eine Anzeige von Konsumentenschützern oder genervten Kunden einfangen kann. Also lieber unverbindlich und windelweich formuliert bleiben. "Die Babys lernen zu sprechen, indem sie ihre Zunge herauszustrecken [sic!]." Schreiben lernen sie dann nach wie vor etwas später.

Dass der kleine, werdende Mensch auf den mutwillig eingeleiteten Lärm reagiert, ist ganz natürlich, wahrscheinlich würde er gern "Ruhe da unten!" rufen, wenn er schon könnte. Bedauerlicher Weise haben Föten keine Möglichkeit, Anzeige wegen Ruhestörung zu erstatten oder als Antwort kurz "Basso Bombopoff" von Rachmaninow voll aufzudrehen.

Zu der Verheißung, die mit dem Babypod für 149,95 Euro verkauft wird, gehört der Mythos vom Nürnberger Trichter, durch den man Lernerfahrung einfach mechanisch in ein Kind einfüllen kann. Dazu gehört auch – die Klinik befindet sich im erzkatholischen Spanien – das Erzeugen von Schuldgefühlen, man würde seinem Kind nicht genug Förderung angedeihen lassen und ihm damit Chancen auf Erfolg und Karriere vorenthalten. Als eine Art Neuauflage der Gelben Gefahr setzen asiatische Tigermütter bekanntlich neue Standards in den Dingen, die man ihrer Meinung nach Kindern zumuten kann und soll. Von Westmüttern werden mehrstündiges Klavierüben und ähnliches zwar als diktatorisch und brutalopädagogisch empfunden, zugleich fürchten viele jedoch insgeheim, zu weichen, zu wenig klaviergestählten Nachwuchs heranzuziehen.

In diesem Gefühlgewölk landet der Babypod marketingmäßig auf dem Punkt. Er gibt der Mutter das Gefühl, das evolvierende Kindlein schon vorgeburtlich zum Klassenbesten heranzuziehen und dafür zugleich nicht mehr machen zu müssen als ein rutschiges rosa Lautsprecherchen in sich aufnehmen zu müssen. Das Ganze erinnert auch an die vielen sogenannten Fitnessgeräte, die alle so tun, als würden sie einem die Bewegung abnehmen oder durch induziertes Schwitzen zumindest Fettgewebe zum Abschmelzen bringen. "Am Ende", schreibt ein verstörter Leser der Babypod-Anleitung, "wird das Neugeborene wahrscheinlich Shakira für seine Mutter halten und beständig brüllen, wenn die echte Mutter es hochnimmt."

(Diesen Text gibt es auch in Gebärendensprache.)

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