Verriss des Monats: Der Neutralisierer

Was tun, wenn einem Kummerkribbeln und Krankheit verheißende Stromstrahlung in elektromagnetischen Feldern entgegenwallt? Ein paramagnetisch angehauchter Stecker hilft!

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Von
  • Peter Glaser

Was tun, wenn einem Kummerkribbeln und Krankheit verheißende Stromstrahlung in elektromagnetischen Feldern entgegenwallt? Ein paramagnetisch angehauchter Stecker hilft!.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

So wie es Büstenheben gibt, gibt es auch Gefühlsheben. Die Gefühlshebe hebt das Gefühl, dass es einem besser geht, wenn man sie benutzt. Wie bei der Büstenhebe gibt es Menschen, die gar nicht wissen wollen, wie der Effekt zustandekommt und sich mit einem scheinbar reizvollen Geheimnis zufriedengeben.

Kim Dandurand ist ein Mann, der eine Auswahl von Gefühlsheben im Angebot hat. Auf ihn gestoßen bin ich, nachdem mir sein Aulterra Whole House Plug Neutralizer untergekommen war. Es handelt sich dabei um einen farbigen Stecker – ohne Kabel –, der, in eine Steckdose appliziert, den Menschen gegen die schädlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder beschirmen soll, die heute aus praktisch jedem Gerät im Haushalt hervorwölken und, so die Produktbeschreibung, "erwiesenermaßen eine Reihe von Krankheiten im Körper verursachen können."

Ein Stecker reicht laut Herstellerangabe für knapp 500 Quadratmeter Wohn- oder Bürofläche. Er soll, für gerade mal 50 Dollar das Stück, die krankmachende Strahlung in der Verkabelung, sowie von außen ankommende neutralisieren. Ein Kunde in einem Onlinekaufhaus schreibt über das Gerät, das er von seinen Eltern geschenkt bekommen hat: "Ich nahm es gleich mal auseinander, musste ziemlich herumhebeln und es in der Mitte durchsägen, da der Hersteller es mit Epoxidharz gefüllt hat, um genau das zu verhindern, was ich da tat. Und wisst ihr was? Da ist nichts drin! Es ist das leere Äußere eines gewöhnlichen Steckers aus dem Baumarkt."

Das aber ist, wie jeder halbwegs gebildete und nicht so engstirnige Mensch weiß, nur die grobstoffliche Ebene des Seins. Um das Grobstoffliche mit dem feinstofflich Neutralisierenden zu verbinden und auf dem Weg dorthin weder Wissenschaftlichkeit noch Renditeorientierung aus den Augen zu verlieren, begann Dandurand die Strahlung, die von elektromagnetischen Feldern (EMF, er spricht irrtümlich von elektromagnetischen Frequenzen) ausgeht, "zu studieren".

Das war 1996, zu einer Zeit, "als Handies und Computer zu Hause selbstverständlich wurden" und er nicht näher beschriebene "gesundheitliche Veränderungen" bei seinen Kindern beobachtete. Unermüdlich arbeitete er daran, den alarmierenden Erkenntnissen und Effekten, wenn man längere Zeit elektronischen Geräten ausgesetzt ist, etwas entgegenzusetzen. "15 Jahre Forschung gipfelten in der Entwicklung des Neutralizers." Er neutralisiert die elektromagnetische Abstrahlung – und alle Geräte funktionieren weiter! Eine Art geistiger Stromdompteur. Der Strom wird angewiesen, sich nur dort aufzuhalten, wo es ihm erlaubt ist.

Dandurands Firma Aulterra International Inc. ist in dem Städtchen Hayden im Norden von Idaho ansässig. Hayden wird oft mit dem Ort verwechselt, an dem sich bis 2001 ein von bewaffneten Wachleuten und Hunden gesichertes Gelände der Aryan Nations befand, einer weißen neonazistischen Gruppe christlicher Separatisten; in Wahrheit befand sich das Anwesen ein paar hundert Meter weiter am benachbarten Hayden Lake. Aulterra logiert in einem Wohnhaus in einer Gegend von Hayden, in der keine armen Leute wohnen. Strahlung "umzustimmen", wie Dandurand es nennt, scheint ein gutes Geschäft zu sein.

Das -terra im Firmennamen steht für ebenfalls nicht näher genannte paramagnetische seltene Erden, die zusammen mit einem homöopathisch wirksamen Steinpulver die Wirksubstanz auch der anderen Neutralisierer bilden soll, die Aulterra verkauft. Jeweils ein Hauch davon wird in einer Kunststoffolie eingebettet, die man dann beispielsweise als Strahlungsbremse ins Batterierfach seines Handies legen soll. Das Aul- bleibt gleichfalls unklar. In der russischen Kaukasus-Teilrepublik Dagestan werden Bergdörfer als Aul bezeichnet, aber das kann's ja wohl nicht sein. Auch am Piz Aul im Valsertal sind keine Fundstellen seltener Erden bekannt.

Die Wirksamkeit des Neutralisierers sei wissenschaftlich erwiesen, hebt das Aulterra-Marketing hervor. Er bewahre die menschliche DNA vor den verhängnisvollen EMF. Angeführt werden Untersuchungen des "Bioelektromagnetismus-Forschers" Glen Rein und seiner Partnerin, der Psychologin Maria Syldona. In ihrem Lebenslauf auf Linkedin führt sie Stationen als Stationen "Stony Brook University, Quantum Biology Research Lab (QBRL), University of Rhode Island" an. Das liest sich, als sei das zwischen die beiden Universitäten gereihte Forschungslabor eine akademische Stätte. In Wahrheit ist es der Name der Firma ihres Freunds Glen Rein, eine Postfachadresse in Ridgway, Colorado.

Eine dünne Studie über "Local and Non local Effects of Coherent Heart Frequencies on Conformational Changes of DNA", in der Rein in den Quellen vor allem eigene Arbeiten anführt, wird von Fachautoren so umschrieben: "Der Text imitiert vordergründig den Stil wissenschaftlicher Arbeiten, wird einem wissenschaftlichen Standard jedoch in keiner Weise gerecht: Experimente werden unzureichend beschrieben, Fachbegriffe werden falsch benutzt und mit erfundenen gemischt, zitiert werden fast nur esoterische und pseudowissenschaftliche Quellen."

In einer gleichfalls von Aulterra verbreiteten "Studie" von Maria Syldona heißt es, dass die Strahlung eines Mobiltelefons bei 94 MHz durch den Neutralizer stark verringert werden konnte. Die Frequenz 94 MHz liegt im UKW-Rundfunkband und hat im übrigen nichts mit der Sende- und Empfangsfrequenz von Mobiltelefonen zu tun (die üblicherweise bei 900 oder 1.800 MHz liegt). Der Text zeigt zudem, dass der Autorin die verwendete Messtechnik und die Messgrößen nicht verstanden hat und mit unsinnigen Zahlen operiert. "Diese Messungen", heißt es in dem Aufklärungs-Wiki Psiram lakonisch, "werden auch (und ebenfalls falsch) in der Patentschrift zum Neutralizer dargestellt".

Offenbar gibt es Menschen, die wissen wollen und erst, wenn es nichts mehr zu wissen gibt, ans Glauben denken, und Menschen, die nicht wissen, sondern gleich glauben wollen. Dazwischen aber gibt es ein paar Menschen, die etwas wissen, aber so tun, als würden sie an etwas anderes glauben, um denen, die gern gleich glauben das Geld aus der Tasche zu ziehen. Bauernfänger nannte man sie früher. ()