Verriss des Monats: Die Demokratisierung des Goldes

Durch die Digitalisierung war ein maßgeblicher menschlicher Talentbereich vom Verfall bedroht: das Angeben – bis jetzt. Nun hilft die Firma Apple, dass es wieder aufwärts geht.

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Von
  • Peter Glaser

Durch die Digitalisierung war ein maßgeblicher menschlicher Talentbereich vom Verfall bedroht: das Angeben – bis jetzt. Nun hilft die Firma Apple, dass es wieder aufwärts geht.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Kaum war das zwischen 11.000 und 18.000 Euro teure, spektakuläre Modell der Apple Watch aus 18-karätigem Gold präsentiert, kündigten auch schon die ersten Vergolder an, gern die billigeren Modelle durch Beschichtung mit Gold, Rotgold oder Platin aufzubrezeln, und das natürlich entsprechend preisgünstiger. Und bei Alibaba gingen augenblicklich die ersten Kopien in den Handel.

Goldene und diamant-enkrustierte iPhones gibt es ja seit Jahren. 2008 ging bei einer Wohltätigkeitsauktion in London ein goldener, mit 430 Diamanten besetzter iPod Shuffle für rund 40.000 Euro an den Start. Für kaum nennenswerte 2000 Dollar bot die koreanische Firma Innobiz eine Weile einen in Gold gehüllten, diamantpanierten MP3-Player für Hunde an. Auf Reichen-Events wie der Millionaire Faire in Moskau, dem Treffpunkt von Leuten, die sich auch schon mal Kronleuchter in die Tiefgarage hängen, Boxhandschuhe mit schwarzen Diamanten besticken oder Raketenabwehrsysteme auf ihrer Yacht installieren lassen, watet man geradezu durch derlei Tand. Manche Menschen, wie etwa die beiden Google-Gründen Brin und Page, sind inzwischen dermaßen reich, dass sie sich Flugzeuge kaufen können, die so lang sind, dass man darin zu Fuß von Amerika nach Europa gehen kann.

Bisher mochte man diese Art von Protz als ein notwendiges, aber begrenztes Übel hinnehmen – der Mensch ist eben ein dummes, eitles Gefühlstier. Jetzt scheint das aber in den Mainstream zu suppen, angeführt ausgerechnet von jener Firma, die sich Ästhetik und guten Geschmack auf die Fahne geschrieben zu haben schien: Apple. Nun gibt es auch die neuen MacBooks schon in Gold. Zwar nur als scheue Farbe, nicht massiv, aber der Weg ist bereitet. Status, und zwar die indezente, krachbummige Version, spielt wieder eine tragende Rolle. Nun soll das Aufschneiden aber scheinbar demokratisiert und für möglichst viele erreichbar werden, ein fortschrittliches Unterfangen also.

Man hatte ja eigentlich die Hoffnung haben dürfen, dass mit der Digitalisierung auch die Altlasten aus dem materiellen respektive analogen Zeitalter verschwinden. Früher konnte man Status gewinnen, wenn's in der Telefonleitung knackte, angeblich ein Zeichen dafür, dass man abgehört wurde – und wer abgehört wurde, musste wichtig sein. Heute hört die NSA einfach alle ab, womit der Distinktionsvorteil dahin ist (und wenn ich im Sommer durch das offene Fenster höre, was meine Nachbarin so telefoniert, tun mir die armen NSA-Auswerter leid). Online schienen sich Versuche, seine Persönlichkeit durch Objekte wie Porscheschlüssel oder Designermüllsäcke begehrenswerter erscheinen zu lassen, in Nichts aufzulösen. Der schöne Schein verwandelt sich in jene neue Form des Scheinbaren, die "virtuell" heißt. Status war einer Umwertung unterzogen worden, nun hieß so die aktuelle Äußerung, die man gerade auf Facebook oder Twitter getan hat.

War es in den Achtzigerjahren noch Ausdruck technologischen Vornseins, ein sogenanntes Autotelefon mit sich herumzuschleppen, das etwas kleiner war als eine Kiste Bier, so hat sich die Freude daran mit dem epidemischen Befall der Menschheit mit Mobil- und Smartphones (Apple!) in Luft aufgelöst. Damals konnte man auch noch mit einem sogenannten Europieper punkten, der einen, auf einer Party aus dem Jackett tönend, augenblicklich als Gehirnchirurgen oder ähnlich bedeutenden Menschen auswies.

Mutter aller modernen Gadgets war der iPod (Apple!). Innerhalb kürzester Zeit ersetzten die schneeweißen Kopfhörer schneeweiße Sneakers als adoleszentes Statussymbol. Sogar Hiphopper nahmen damals ihre goldenen Schneeketten ab, um sich das zierliche Kästchen um den Hals zu hängen. Nun hat Apple gewissermaßen das Gold der Hiphop-Gehänge ins Betriebssystem integriert, wie das ja schon gelegentlich armen, kleinen App-Entwicklern mit den Eigenschaften ihrer Software passiert sein soll. Bis auf die letzte Betriebssystemversion Yosemite hatte es Apple ja immer mit den Großkatzen. Nun könnte, mit dem Vorstoß in den Luxushandel, eine Neuauflage anstehen, vielleicht heißt die nächste Version Lux – oder Looks – und ist jedenfalls goldig.

Schwarz, weiss und gold. GOLD. Ich kann mich gar nicht beruhigen. Blau oder grün, meinetwegen ein Bonbonfarbspektrum wie bei den ersten iMacs – aber Gold? Das ist doch schrecklich, man könnte mit einem Millionär aus Hongkong verwechselt werden, der ungebremst und hochglanzpoliert sein Vermögen raushängen lässt. "Nennt mich altmodisch", schreibt Eleanor Barkhorn von vox.com, "aber wenn ich 10.000 Dollar für eine Uhr ausgeben könnte, würde ich geradewegs zu Cartier marschieren."

Apple scheint da vorzubauen, jedenfalls in den unteren Preissegmenten, in denen sich der ganze digitale Fitnessschnickschnack tummelt. Recode.net ist in mehreren amerikanischen Apple Stores aufgefallen, dass keine Fitness-Armbänder wie das Jawbone Up oder Nikes FuelBand mehr verkauft werden. Immerhin sind die Dinger nicht vergoldet.

Und schließlich erhebt sich noch eine Stimme aus dem Ur-Uhrzentrum der Welt: "Erfunden haben die Kalifornier eine Uhr", vermerkt Christoph Fisch lakonisch in der Neue Zürcher Zeitung, "deren Batterie nach 18 Stunden leer ist, während ihr mechanisches Pendant mit der Energie, die einem Tropfen Benzin entspricht, 585 Jahre die Zeiger bewegt." ()