Verriss des Monats: Gleitcreme für Autos

Wer braucht schon kompliziertes Flottenmanagement, wenn es wesentlich einfacher geht? Bisher versah Öl seinen Dienst im Motor von Autos – jetzt gibt es ein Öl gegen Staus.

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Von
  • Peter Glaser

Wer braucht schon kompliziertes Flottenmanagement, wenn es wesentlich einfacher geht? Bisher versah Öl seinen Dienst im Motor von Autos – jetzt gibt es ein Öl gegen Staus.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

36 Stunden haben deutsche Autofahrer laut einer Studie 2011 durchschnittlich im Stau gestanden, 35 Stunden waren es 2013. In Summe waren das 830.000 Kilometer Stillstand, vorwiegend im Westen Deutschlands. Längere Stauzeiten gab es nur in Belgien (58 Stunden) und den Niederlanden (45 Stunden).

Seit 2009 testet Google sein selbstfahrendes Auto. Auch Fahrzeugbauer wie Daimler sind auf den Zug aufgesprungen, zu dem die Autoflotte einmal werden soll – inzwischen nimmt sogar Apple Fahrt auf. Alle sehen in der Technik nicht zuletzt eine Möglichkeit, von unzulänglichen menschlichen Fahrern verursachte Staus zu verringern oder ganz vermeiden zu können. Allein der Aufbau der dafür nötigen Infrastruktur wird Milliarden kosten.

Es geht allerdings auch bedeutend billiger: Schon für vier Dollar ist ein Fläschen Road Opener zu bekommen, ein orangefarbenes Öl, das Verkehrsstaus beseitigt. Es kommt, nicht ganz unpassend, aus der Stauhauptstadt Amerikas, aus Los Angeles. Reiche Leute lassen sich dort Autos maßschneidern, die es ihnen erlauben, auch im Stau zu arbeiten, zu relaxen oder sich fit zu halten. "Ich kann dem System ein Schnippchen schlagen", sagt ein Grundstücksmakler über seinen umgebauten Bentley, "weil ich arbeiten kann, während alle anderen im Stau nur herumsitzen."

Aber Amerika ist ein zutiefst demokratisches Land, also gibt es für die einfachen Leute das "Road Opener"-Öl. Ein Name, der überall im Netz zu lesen ist, wo es das Öl zu kaufen gibt, ist Jack the Shipper (Jack, der Versender). Jack bringt die Herkunft des Anti-Stau-Öls schon in der Betreffzeile auf den Punkt: Snake Oil (gefolgt von der Höchstbewertung mit 5 Sternen). Es folgt ein Dialog, der sich liest wie aus einem Groschenroman und der Hinweise auf die Anwendung der Essenz gibt: "Wo soll ich es drauftun?" -- "Auf den Motor. Auf die Räder. Und, zum Teufel, einen Tropfen auf deine Ohrläppchen."

Das mit dem Roman ist nicht ganz unwahrscheinlich. In den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts tauchte eine neue Gattung von Magie-Büchern auf, zu denen man die in den Büchern beschriebenen Zaubermittel auch kaufen konnte – meist von denselben Leuten, von denen auch die Bücher stammten.

Die mit Abstand fleißigste Autorin des Genres, Dorothy Spencer, verfasste unter dem Pseudonym Anna Riva zahlreiche Bücher über Okkultismus und Hoodoo – eine magische Lehre, die sich in den amerikanischen Südstaaten unter der schwarzen Bevölkerung entwickelt hat. Neben ihren Büchern verlegte sich Spencer auf die Produktion von magischen Ölen, Räucherwerk und Pülverchen. Als sie in den Neunzigerjahren an Alzheimer erkrankte, wurde ihre florierende Firma International Imports von dem Esoterik-Großhändler Indio Products in Los Angeles übernommen, der ihre Bücher und Mittelchen weiterhin unter der Marke Anna Riva verkauft.

Snake Oil, um nochmal darauf zurückzukommen, ist ein amerikanischer Klassiker. Der Begriff wurzelt in einem Mittel gegen Muskelschmerzen, das chinesische Arbeiter beim Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahn in Amerika anzuwenden pflegten und das dem Vernehmen nach auch Schlangengift enthielt. Fahrende Händler, die Patentmedizin und Wundermittel anboten, kaperten die Bezeichnung, bis sie schließlich zum Inbegriff für Mittel wurde, die ihren Verheißungen in keiner Weise gerecht werden. Heute steht der Begriff für Software, die kaum Funktionalität hat, aber von bombastischen Marketingversprechen umweht ist.

"Es ist alles im Kopf", sagt Marty Mayer, dem Indio Products gehört. Der 69-jährige lässt in seiner Fabrik, einem schlichten Betonkasten in einem Gewerbegebiet in L.A., tankwagenladungsweise Wachs zu magischen Kerzen transformieren und Zauberöl in 500-Liter-Margen produzieren. Mayer glaubt nicht an Zauberei, jedenfalls nicht mehr als nötig ist, um seinen Laden am Laufen zu halten. Er ist der weltgrößte Grossist für esoterische Produkte und hat rund 7.000 Hilfsmittel von Seife über magischen Haushaltsreiniger bis hin zu Kerzen, Armaturenbrettheiligen, Düften und Ölen im Programm, die er in Magazinen in Kalifornien und Texas verkauft und nach Südamerika, Europa, Australien und Japan verschickt. Der jährliche Gewinn von Indio Products Inc. liegt zwischen 10 und 20 Millionen Dollar.

Sieht man sich ein wenig um, was es neben dem Road Opener noch an interessanter Lebenshilfe in Ölform gibt, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Obligat sind Öle, die Erfolg (orange), schnelles Geld (grün) und Schutz vor Feinden (rot) verheissen. Schon interessanter klingen das "Komm-zu-mir"-Öl, das "Tu-was-ich-sage"-Öl oder das Control-Öl. Letztlich wünschenswert angesichts der schier unüberschaubaren Fülle – allein 879 Anna-Riva-Öle sind zu haben – wäre neben dem Road Opener eine Art esoterisches GPS-Modul, mit dem man sich die schmierige Auswahl erleichtern kann.

Mayer lebt knapp 27 Kilometer von der Produktionsstätte entfernt in La Cañada, einem Suburb im Norden von Los Angeles. Mit dem Auto braucht man 25 Minuten dorthin – bei fließendem Verkehr. Er hört sich nicht so an, als ob er sein eigenes Anti-Stau-Öl benutzen würde. Es sind ihm schon Freundschaften in die Brüche gegangen, weil er "beim Essen etwas davon erwähnt" hat, was er so macht. Inzwischen äußert er sich dazu nicht mehr spezifisch. Wenn ihn jemand fragt, sagt er "Ich habe eine Kerzenfabrik." ()