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Was war. Was wird. Die Jahresanfangswochenschau, mit einem kleinen Blick zurück

Zum Jahresende hat Hal Faber nochmal einen Blick zurückgeworfen, was uns dieses Jahr bewegt hat. Und natürlich gibt es einen Ausblick auf das, was wird.

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(Bild: Alexey_Erofejchev/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber
Inhaltsverzeichnis

Hurra, hurra, ein neues Jahr ist da! Mit Dank (schamlose Werbung on) an alle Hornbach-, Toom- und Obi-Märkte, die diesmal kein Feuerwerk verkauften! Das ist eine Ansage, die Menschen zum Nachdenken bringen kann. Alle guten Vorsätze an Bord? Tanzkurs belegen, Gemüseschnitzen und endlich Klingonisch lernen oder noch einmal im Leben OS/2 installieren oder die Seele (unsterblich, gut gepflegt, Scheckheft-gewartet) in der e-Bucht verkaufen? 2022 ist verlassen und es gibt wendemäßig viel zu tun, die Sprache sagt es uns: Nach dem wunderbaren Start mit "aufmüpfig" anno 1971 und dem ebenso inspirierenden "alternativlos" (2010), dazwischen von dem "Besserwessi" (1991) unterbrochen, sind wir bekanntlich in der Zeitenwende angelangt und drehen und klopfen aufmüpfig die Fakten härter denn je ab.

Vergessen wir das elende 2022 und freuen uns, denn 2023 soll ganz anders werden. Das sagen alle und ihre Statistiken. Wie in dieser kleinen Wochenschau zum Jahreswechsel üblich fällt der Blick auf die Ticker-Meldungen, die Webtrekk als Spitzenreiter anzeigt.

Nachdem die Corona-Meldungen von 2020 als Spitzenreiter des Jahres 2021 im Folgejahr wieder von gängigen IT-Themen wie der Angriffswelle auf Fritzboxen und dem Kommentar zu Log4j verdrängt wurde, hätte es 2022 doch weiter gehen können mit der Informationstechnologie. Ging es aber ganz und gar nicht, denn ganz andere Themen traten in den Vordergrund. Zum Start des Jahres 2022 hätte niemand gedacht, dass eine Ratgeber-Meldung wie Photovoltaik-Anlagen mit Batteriespeicher fürs heimische Dach der Spitzenreiter unter den Abrufen werden könnte, gefolgt vom drögen Normungsgremium: Vorerst kein Ende der Einspeisesteckdose für Balkonkraftwerke und weiteren Meldungen zum Energiesparen.

Deutlicher kann man den Einschnitt kaum illustrieren, den der Überfall von Russland auf die Ukraine im Gefüge des alltäglichen Nachrichtenstromes bewirkte. Schon die erste IT-Meldung unter den Top Ten, die Nachricht, dass 1&1 Mobilfunk bald kein Diensteanbieter mehr sein wird, wirkt seltsam fremd angesichts der Energiekrise und der Meldung, dass manche Menschen gar nicht am Coronavirus erkranken. Sie schaffte es ebenfalls unter die Top Ten.

Es wird niemanden überraschen, dass Elon Musk der meistgenannte IT-Mensch des abgelaufenen Jahres geworden ist. Seit seinem Milliardenkauf von Twitter verging kaum ein Tag, an dem Musk nicht für Schlagzeilen sorgte, doch auch vor diesem ungeplanten Unfall war Musk häufiger genannt worden als andere Verlierer wie Larry Page, Sergej Brin oder Jeff Bezos. Man denke nur an das Portrait der Zeitschrift kluger Köpfe Mitte des Jahres über einen, der niemals, niemals scheitern wird. Die Geschichte und Geschicke des heimlichen Genies hat jedenfalls endgültig diejenige von Bill Gates abgelöst, der sich auf seine Rolle als Großvater vorbereiten darf. Auf andere Weise sorgte übrigens sein verstorbener Partner Paul Allen für positive Schlagzeilen: für 1,6 Milliarden Dollar wurden 60 Gemälde aus seiner Sammlung an einem einzigen Tag Anfang November versteigert. Das war der umsatzstärkste Kunstverkauf aller Zeiten. Auch der zweite Tag war spektakulär, kam aber nicht an die Milliardengrenze heran. Allen hatte testamentarisch bestimmt, dass der gesamte Erlös an gemeinnützige Projekte geht.

Beschränkt man die Namenssuche und Auswertung auf Deutschland, so bleibt die Nachricht übrig, dass der von einem Komiker namens Böhmermann und einer Komikerin namens Faeser aus dem Amt gekegelte BSI-Chef Arne Schönbohm 2022 für die meistgelesenen Schlagzeilen bei heise online sorgte. Selbst zum Jahresende ist unklar, warum er zu einer Kleinstbehörde strafversetzt wurde. Hat es mit der anstehenden Landtagswahl in Hessen zu tun, für die sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Macherin präsentieren möchte? Mit ihrer Taktiererei rund um die Chatkontrolle erzielte sie viele Visits und Kommentare in den Foren, wurde aber von der Sicherheits-Instanz Schönbohm geschlagen. Ja, die Chatkontrolle war mit viel Input aus dem Brüsseler Politik-Kreisen über das ganze Jahr hinweg präsent und sorgte für großes Interesse, was 2023 anhalten dürfte, wenn über die verkappte "Vorderband-Kontrolle" oder eben verkappte Vorratsdatenspeicherung auf den Endgeräten entschieden wird.

Erwähnenswert ist, dass der Vorjahressieger im Bereich der Soft- und Hardware, die Schnüffelsoftware Pegasus, auch 2022 wieder einen absoluten Spitzenplatz belegte, sogar mit einem (abgehalfterten) österreichischen Spitzenpolitiker. Man wird abwarten müssen, was das Dream Team vorstellen wird. Neben den bereits 2021 bekannten Ländern wurde 2022 bekannt, dass Pegasus in El Salvador, Katar, Marokko, Mexiko, Ungarn und Polen zum Einsatz kam. Fast hätte sich mit dem FBI die USA auf dieser Liste achtbarer Staaten eingefunden, doch dann schreckte man vor der heimlichen Überwachung zurück. Eine Anfrage niederländischer Bürgerrechtler beim zuständigen Innenministerium wird mit frohem Rutsch ins neue Jahr verschleppt.

Nach dem Hype um den Marsrover Perseverance hat die Begeisterung für Meldungen aus dem Weltraum etwas nachgelassen, doch die Nachricht, dass Chinas Militär prüft, wie man das Satelliteninternet von Starlink abschießen kann, kam unter die Top Ten. Von den Leserinnen und Lesern aus gesehen, sorgte eine andere Nachricht für einen Rekord und eine gewisse Kontinuität: Die Meinung des IT-Leiters der Stadt Schwäbisch Hall über den Einsatz von Linux führte zu einem kleinen Gemetzel im Forum, das an die Zeiten erinnerte, als ein "Analist" aus Norwegen mit Beiträgen über das gute Windows die Foristenden provozierte und den Moderatoren Arbeit verschaffte.

Hoppla, damals gab es ja keine Moderatoren, das erledigte Jürgen Kuri quasi nebenbei. So wundert es auch niemanden, wie sein Wirken zum Abschied im Forum gewürdigt wurde. Ein weiterer Forums-Dauerbrenner, die Debatte über die Sommerzeit konnte mit der Nachricht aus Schwäbisch Hall nicht ganz mithalten, ist aber seit Beginn der Forums-Wetteraufzeichnungen wirklich jedes Jahr oben in den Charts. Ob das auch für die Kernfusion gilt, die angeblich einen großen Durchbruch erzielt haben soll? Experten haben ihre Zweifel, doch was wäre Deutschland ohne seine Ministerin für angewandten Optimismus, die davon überzeugt ist, dass die Kernfusion unseren Energiemix perspektivisch um eine klimaneutrale, verlässliche und wirtschaftliche Quelle ergänzt: nur gute Nachrichten zum Jahresende!

Nur gute Nachrichten, nur gute Recherche! Einen Spitzenplatz erreichte der Bericht über unsichere Ampeln, die gehackt werden können. Gemeint sind Verkehrsampeln, nicht die irrlichternde Regierung. heise investigativ deckte auf, dass die Ansteuerung dieser Ampeln über Funk unsicher ist und diese Technik der Lichtsignalanlagen-Beeinflussung recht einfach gekapert werden kann. Ein alarmierendes Signal gewissermaßen. Ich sehe schon Tausende von Radfahrenden mit Funkschaltern in den Städten unterwegs, in denen die Bettelampeln den Autoverkehr priorisieren und den lästigen Fahrradverkehr ausbremsen.

Ganz zu schweigen von der letzten Generation, die gerade nach allen Regeln der politischen Kommunikation kriminalisiert wird. Was ist ein Schnellkleber gegen Dauerrot an der Ampel? Nicht ganz so erfolgreich (von den Abrufzahlen her gesehen), aber dennoch beachtlich schlug sich die Recherche über diese VPN-Router in den Arztpraxen und Krankenhäusern, im medizinischen Sprech "Konnektoren" genannt. Mit dem Knacken des KoCoBox genannten Konnektors der CompuGrou Medical Group durch einen CCC-Hacker gelang der Beweis, dass die Geräte aller Hersteller nicht ausgetauscht werden müssen, wenn die in ihnen fest verbauten Sicherheitszertifikate ablaufen. Das führte dazu, dass mittlerweile wieder ein Software-Update in die "Spezifikation" aufgenommen wurde, aber eben auch zu einer Anzeige, ob hier nicht Korruption im Spiel ist.

Als Spielverderber zeigte sich dabei die Gematik, diese Gesellschaft, die auf Anweisungen des Mehrheitsgesellschafters a.k.a. Bundesgesundheitsministerium die "Spezifikationen" erstellt und die Infrastruktur beaufsichtigt. Sie möchte keine Protokolle der Versammlung veröffentlichen, auf der der millionenschwere Hardware-Austausch der Konnektoren beschlossen wurde. In der Absage auf die Anfrage zerlegen die Juristen der Gematik gekonnt den eigenen Laden: [i]"Neben Reputationsrisiken sind auch die Gefahr des Akzeptanzverlustes der Produkte bzw. sinkende Nutzungsbereitschaft bezüglich der Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur als drohende Nachteile zu nennen, die das Vertraulichkeitsinteresse der gematik begründen." 2023 wird es mit e-AUa weitergehen.

Weiter geht das Leben auch mit dem Coronavirus. In einem Interview hat der Experte Christian Drosten dieser Tage verkündet, dass die Pandemie vorbei ist und wir in Zukunft mit diesem Virus leben müssen, wie mit jeder anderen Bedrohung. Was daraus folgte, haben humorige Menschen auf Twitter und Mastodon mit einer Feuersbrunst erklärt. Eine gekürzte Zusammenstellung der aktuell laufenden Diskussion:

Drosten: "Das Feuer im Haus ist unter Kontrolle."

Medien: "Drosten sagt: Feuer ist gelöscht."

Experten: "Wir haben vor Monaten gesagt, dass es nicht mehr brennt."

Justizminister Buschmann: "Wir sollten das Wasser abstellen und Feuerlöscher und Brandschutztüren abschaffen."

Gesundheitsminister Lauterbach: "Wenn wir Wasser abstellen, könnte das Feuer sich wieder ausbreiten."

Krankenhäuser: "Das Haus war schon vor dem Feuer marode, das Feuer nun laufen zu lassen, ist fahrlässig."

Querdenker: "Es gab nie ein Feuer, das ist alles nur eine Verschwörung der Regierung und der Feuerwehr!"

Wo bleibt das Positive für 2023? Angesichts der Entwicklung des Virus ist die Hoffnung da, dass mit der Endemie eine neue Normalität einkehrt, sofern keine bösartige neue Variante aus China herantransportiert wird. Ein Plus-Fünkchen ist die Nachricht, dass der ungemein nützliche Bacillus Subtilis zur Mikrobe des Jahres 2023 gekürt wurde. Das passt doch zum Tier des Jahres, dem ebenso nützlichen wie putzigen Gartenschläfer. Wer alte Debatten neu schlagen möchte: In diesem Jahr ist der 25. Jahrestag des "Jahr des Linux-Desktop". Vielleicht sehen wir auch ein Ende des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und eine Revolution im Iran. Doch sicher ist nur eines: Das WWWW wird eingestellt.

(tkn)