Biodiversität bestimmen: KI analysiert Tierstimmen

Forscher haben KI eingesetzt und Laute von Vögeln, Amphibien und Säugetieren aufgenommen. Das gibt Aufschluss über den Zustand von wieder bewaldeten Flächen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht

(Bild: Valentin Sabau, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Smartphone-Apps, die mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) Vogelstimmen erkennen, gibt es schon seit geraumer Zeit. Auch an der Erkennung weiterer Tierstimmen arbeiten Forscher. Doch jetzt lässt sich mit KI sogar die Artenzusammensetzung und damit die Gesundheit ganzer Ökosysteme anhand ihrer Geräuschlandschaften (Soundscapes) bestimmen. Wie das geht, das haben jetzt Forscher der Universität Würzburg gezeigt und ihr Vorgehen in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Sie entwickelten und erprobten ihre neue Technik erfolgreich im und um das Choco-Naturreservat im Norden Ecuadors, westlich von Quito. Hier verglichen sie die Geräuschkulissen von Tieren im ursprünglichen Tropenwald mit Waldgebieten, die sich im Umkreis des Reservats auf aufgelassenen Weiden und früheren Kakaoplantagen neu ansiedelten. Sie setzten Recorder ein, die alle 10 Minuten jeweils eine Minute lang die Umgebungsgeräusche aufnahmen. Zur Analyse kam ein eigens entwickeltes KI-Modell zum Einsatz, das einordnete, aus welchen Tönen von Vögeln, Amphibien und Säugetieren sich die Geräuschkulisse zusammensetzte. Die Tiergemeinschaften in dem natürlichen Wald im Choco-Becken Wald erzeugen nämlich eine typische Geräuschkulisse, die sich sehr von der unterscheidet, die die Aufnahmegeräte auf noch genutzten Agrarflächen registrierten.

Den Forschern reichte ein Set von 77 Artengeräuschen, um die gesamte Tiergemeinschaft von Vögeln, Amphibien und einigen rufenden Säugetieren zu beschreiben. Auch die Veränderungen bei den geräuschlosen Nachtinsekten konnten die Wissenschaftler damit sinnvoll korrelieren. "Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Sounddaten ganz exzellent die Rückkehr der Biodiversität in den aufgelassenen Landwirtschaftsflächen widerspiegeln", stellt Jörg Müller fest, Erstautor der Studie und Leiter der Ökologischen Station Fabrikschleichach der Würzburger Universität östlich von Schweinfurt.

(Bild: Constance Tremlett)

Wichtig könnte diese Methode beispielsweise für die Zertifizierung von Wäldern oder als Kontrolle bei Biodiversitätskrediten sein.

Biodiversitätskredite sind eine neuere Variante der freiwilligen CO2-Zertifikate. Letztere konzentrieren sich in der Regel auf Baumanpflanzungen zur CO2-Speicherung, deren Erfolg jedoch nur schwer kontrollierbar ist. Mit den Biodiversitätskrediten werden dagegen Projekte unterstützt, die die biologische Vielfalt schützen oder verbessern wollen. Deren Erfolg lässt sich jedoch noch viel schwerer kontrollieren und überwachen als die reinen Waldanpflanzungen.

Für die Berechnung der Kohlenstoffbindung bei derartigen Kompensationsprojekten ziehen die Organisationen vielfach die Zeitdauer heran, in der sich die neuen Bäume eines Waldes entwickeln. Damit setzen sie voraus, dass sich im Laufe der Zeit auch die Artenvielfalt erholt.

Das reiche aber nicht, heißt es in der Studie. Denn die Artenzusammensetzung zwischen der frühen und der späten Erholungsphase unterscheidet sich erheblich.

In der frühen Phase verändert sich die Artenzusammensetzung sehr schnell und wird später langsamer, was die weitere Waldregeneration schwerer vorhersagbar macht. Außerdem können anthropogene Einflüsse, wie Abholzung und Jagd, die lokale Fauna stark beeinträchtigen. Auch das wird bei der Berechnung der Kohlenstoffbindung aus dem Erholungsalter nicht berücksichtigt.

Für Müller ist klar: "Unsere KI-Modelle können die Basis für ein sehr universelles Instrument zur Überwachung der Biodiversität in Wiederbewaldungsflächen sein."

Audio-Dateien von Klanglandschaften verschiedener Ökosysteme gibt es schon seit Längerem. Auch solche von tropischen Wäldern. Daraus weiß man zum Beispiel, dass die Klangfülle tropischer Wälder in Papua-Neuguinea und Borneo durch Fragmentierung und Verlust schwächer wurde. In Puerto Rico konnte festgestellt werden, dass die Geräuschkulissen nach einem großen Hurrikan verarmten, sich danach aber wieder erholten.

Doch KI-Modelle brauchen viele Daten. Die Würzburger Wissenschaftler konnten zwar auf eine ganze Reihe von Geräusch-Datensätzen zurückgreifen, doch die standen nur für eine Handvoll von Lebensräumen zur Verfügung. Also haben sie selbst zusätzliche Daten zum Training ihres KI-Modells aus Tonaufnahmen generieren müssen. Die stammen aus 401.685 einminütigen Aufnahmen von Naturgeräuschen, die sie an 55 Orten im und um das Forschungsgebiet herum aufnahmen.

Damit stand ihnen dann eine Kombination aus zahlreichen Indizes zur Verfügung, mit denen sie das KI-Modell füttern konnten, das sie selbst entwickelt hatten. Es besteht aus sogenannten Faltenden Neuronalen Netzwerken (Convolutional Neural Network, CNN), die unterschiedliche Sets von gewichteten Klanginformationen miteinander mischen, um herauszufinden, wie sie miteinander interagieren.

Mit der daraus abgeleiteten Artenzusammensetzung ließ sich dann der Erholungsgrad der Wälder erkennen. Das Ergebnis: Der junge Wald auf aufgegebenen Kakaoplantagen erholte sich anfangs schneller als der auf ruhenden Weiden, glich sich aber im Laufe der späteren Waldentwicklung an.

Insgesamt zeigte sich aber, dass der Artenreichtum auf den landwirtschaftlich geprägten Flächen zunächst höher war. Das könnte daran gelegen haben, schreiben die Autoren, dass mehr Arten durch diese offenen Flächen hindurch wandern. Aber es könnten auch Arten aus den umliegenden alten Wäldern auf die Weiden übergeschwappt sein. Die untersuchten einstigen Nutzflächen lagen zwischen einem und 34 Jahren brach.

Bei den lange ungenutzten Flächen hatte Artenreichtum allerdings schon wieder zugenommen und entsprach der Zusammensetzung, wie sie für alte Tropenwälder typisch ist.

Inzwischen ist das Team bereits dabei, die KI-Modelle zu erweitern, um mehr und andere Arten automatisch erfassen zu können. Neben dem Untersuchungsgebiet in Ecuador wollen die Wissenschaftler dann auch die Vielfalt im Universitätsforst Sailershausen in der Schweinfurter Rhön und im Nationalpark Bayerischer Wald erfassen.

(jle)