Wie eine halbe Billion Dollar die US-Klimatechnologien verändert​

Was hat das bahnbrechende Gesetz zur Verringerung der Inflation ein Jahr nach seiner Verabschiedung bewirkt?​ Einige Fragen und Antworten.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Casey Crownhart
Inhaltsverzeichnis

Eine halbe Billion Dollar bahnt sich ihren Weg durch die US-Wirtschaft und verändert dabei auch die Klimatechnologie. Vor einem Jahr wurde das Gesetz zur Verringerung der Inflation (Inflation Reduction Act, kurz IRA) unterzeichnet, die bisher bedeutendste Maßnahme der US-Regierung gegen den Klimawandel. Mit dem Gesetz wurden Hunderte von Milliarden Dollar für die Förderung neuer und bestehender Technologien – von Solarzellen und Wärmepumpen bis hin zu Batterien für Elektrofahrzeuge – bereitgestellt, um die Kosten für saubere Technologien zu senken und die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, die den Klimawandel verursachen.

Experten zufolge hat das Gesetz bereits begonnen, in der gesamten Wirtschaft Wellen zu schlagen. Am sichtbarsten wird das in dem stetigen Strom von Unternehmensankündigungen, die neue Produktionsstätten in den USA aus dem Boden stampfen. Die bedeutendsten Auswirkungen der Gesetzgebung stehen jedoch noch aus, da viele der Programme auf ein Jahrzehnt oder länger angelegt sind. Es gibt sogar noch einige offene Fragen darüber, wie sich wichtige Teile des Gesetzes auswirken werden, einschließlich der Frage, welche Projekte für die heftig diskutierten Steuergutschriften für Wasserstoffantriebe infrage kommen.

Der IRA umfasst Zuschüsse, Darlehen und Steuergutschriften in dreistelliger Milliardenhöhe, die Sektoren wie Energie, Verkehr und Landwirtschaft verändern werden. Die Mittel fließen in Technologien in verschiedenen Entwicklungsstadien und unterstützen neue Forschungsarbeiten sowie die Herstellung und den Einsatz etablierterer Technologien.

Als letztes Jahr Ende Juli die ersten Details des damaligen Gesetzesentwurfs bekannt wurden, betrug der geschätzte Gesamtbetrag der Klimafinanzierung durch den Inflation Reduction Act 369 Milliarden Dollar. Das stellt die bisher größte US-Investition in Klimatechnologien dar. Eine aktualisierte Schätzung des Gemeinsamen Ausschusses für Besteuerung (Joint Committee on Taxation) vom April dieses Jahres schätzte die Gesamtinvestitionen der Regierung im Rahmen des IRA von 2023 bis 2032 auf 515 Milliarden US-Dollar – obwohl in dieser Zahl nicht alle Programme des Gesetzes enthalten sind, wie etwa die Steuergutschriften für Elektrofahrzeuge.

"Ein großer Teil der erwarteten Ausgaben in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar ist noch nicht eingetroffen, und es wird eine Weile dauern, bis alle Mittel abgerufen sind", sagt Ben King, stellvertretender Direktor für Energie und Klima bei der Rhodium Group, einer gemeinnützigen Organisation für Politik und Forschung.

Viele der Steuergutschriften werden erst nach Abgabe der Steuererklärung für 2023 an die Unternehmen ausgezahlt. Einige der größten Summen fallen in diese Kategorie, darunter geschätzte 30 Milliarden Dollar an Steuergutschriften für Unternehmen, die saubere Energieprojekte wie Wind- und Solarparks installieren, und 60 Milliarden Dollar an Steueranreizen für Unternehmen, die Ausrüstung wie Solarzellen und Batterien für Elektrofahrzeuge herstellen.

Steuergutschriften für Unternehmen könnten den Ausschlag geben, dass Geschäfte in den USA für Unternehmen billiger werden. Das dürfte private Finanzierungen ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen, sagt Ellen Hughes-Cromwick, Senior Resident Fellow für das Klima- und Energieprogramm bei Third Way, einer Denkfabrik für öffentliche Politik.

Der IRA umfasst sowohl Steuergutschriften, die zur Deckung eines Teils der Kosten von Großinvestitionen wie dem Bau einer neuen Fabrik beitragen, als auch andere, die die Herstellung von Produkten wie Batterien subventionieren. Einige Bestimmungen des Gesetzes können also dazu beitragen, die Vorlaufkosten zu senken, während andere versprechen, einen bestimmten Prozentsatz von jedem Produkt eines Unternehmens zu bezahlen.

Obwohl die Gelder kaum zu fließen begonnen haben, hat die Aussicht auf diesen riesigen Geldtopf einen scheinbar endlosen Strom von Unternehmensnachrichten ausgelöst. Sie wollen die neuen Anreize nutzen, indem sie die Produktion für saubere Energie- und Verkehrsprojekte in den USA aufbauen oder erweitern. "Es vergeht wirklich kein Tag ohne eine Ankündigung", sagt Hughes-Cromwick.

Seit der Verabschiedung des IRA am 16. August 2022 haben Unternehmen Investitionen in Höhe von insgesamt 76 Milliarden Dollar für Anlagen in den USA angekündigt. Das geht aus einer Tracker-Webseite hervor, mit der Jack Conness, einem politischen Analysten bei Energy Innovation, Ankündigungen für Herstellungsinvestitionen erfasst.

Die Liste der geplanten Projekte umfasst zwar auch Standorte, an denen Komponenten für Solarmodule, Windturbinen und Stromübertragungsanlagen hergestellt werden, doch die meisten Ankündigungen betreffen Unternehmen, die Teil der Lieferkette für Elektrofahrzeuge und Batterien sind.

Ein Grund für die hohe Konzentration von Batterieankündigungen sind zusätzliche Steuergutschriften für Privatpersonen, die Elektrofahrzeuge kaufen. Diese Gutschriften können bis zu 7500 Dollar für den Kauf eines neuen E-Autos betragen. Um sie in Anspruch nehmen zu können, müssen die Fahrzeuge bestimmte Anforderungen darüber erfüllen, woher die Batterien und Materialien stammen – meist aus den USA oder von Partnern aus Freihandelsabkommen. Die Käufer zahlen also unter Umständen weniger für ein E-Fahrzeug, das größtenteils in den USA hergestellt wurde. Diese Beschränkungen sollen mehr Unternehmen dazu bewegen, Materialien in den USA zu beziehen und Fahrzeuge in den USA herzustellen. Bislang scheint das zu funktionieren.

Insgesamt wurden seit Inkrafttreten des IRA allein für Elektrofahrzeuge und Batterieprojekte 62 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 53 Milliarden Dollar an geplanten privaten Finanzmitteln angekündigt. Das geht aus einem weiterer Tracker des Energieforschers Jay Turner vom Wellesley College hervor. Im Mittleren Westen und Südosten wurden so viele milliardenschwere Batterieprojekte angekündigt, dass eine Region, die sich von Michigan bis Georgia erstreckt, einen neuen Spitznamen erhalten hat: der Batteriegürtel.

Die meisten der seit der IRA-Verabschiedung angekündigten Projekte befinden sich noch in der Planungsphase, wenngleich einige bereits begonnen haben: etwa das im Oktober letzten Jahres angekündigte, 3,5 Milliarden Dollar schwere Joint Venture zwischen Honda und LG Energy Solution. Die Vorteile für die Menschen in diesen Regionen sind noch nicht absehbar, aber es dürften gut bezahlte Arbeitsplätze in den lokalen und regionalen Gemeinschaften entstehen, sagt Anand Gopal, Forschungspolitik-Vorstand bei Energy Innovation. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber die ersten Anzeichen, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, sind sehr gut", führt Gopal aus.

Mit Hunderten Seiten ist das IRA ein umfassendes Dokument. Doch trotz all dieser Details und der Tatsache, dass es vor über einem Jahr veröffentlicht wurde, gibt es weiterhin offene Fragen zu einigen der wichtigsten Programme darin.

Eine wichtige Frage, die sich kurz nach der Unterzeichnung des Gesetzes stellte, war etwa, wie streng die Beschränkungen der Steuergutschriften ausgelegt würden. Jene für Elektrofahrzeuge setzten voraus, dass die Materialien und Komponenten entweder aus den USA oder aus Freihandelsabkommen stammen. Allerdings war aus dem Gesetzestext nicht sofort ersichtlich, wie der Prozentsatz der in den USA hergestellten Materialien und Komponenten berechnet werden sollte.

Es war Aufgabe der Steuerbehörde, diese Lücken zu schließen. Bisher hat es den Anschein, dass die Behörde mit den Erläuterungen, die sie zu diesen Gutschriften herausgegeben hat, einen nachsichtigen Ansatz verfolgt, sagt King.

Ebenfalls offen ist die Frage, wie die Behörde eine weitere Klausel in den Elektrofahrzeug-Steuergutschriften näher definieren wird, die Fahrzeuge mit "ausländischen Unternehmen" in der Lieferkette ausschließt. Möglicherweise soll diese Klausel China ins Visier nehmen, das den größten Teil der Produktion von Elektrofahrzeugen kontrolliert – einschließlich der Batteriematerial-Aufarbeitung und der Herstellung von Komponenten, sagt King.

Diese Beschränkungen sollen ab 2024 in Kraft treten und könnten, je nach Auslegung, die Zahl der die für Steuergutschriften infrage kommenden Fahrzeuge einschränken. Das wiederum könnte zu einer geringeren Finanzierung von E-Fahrzeugen und damit zu weniger E-Fahrzeugkunden führen.

Eine der heikleren offenen Fragen des IRA betrifft ein Steuergutschriftprogramm für Wasserstoff. Wasserstoff hat ein breites Spektrum an potenziellen Anwendungen für die Klimatechnologie: Er kann als alternativer Treibstoff für Flugzeuge oder Fahrzeuge verwendet werden und wird auch zur Herstellung von Chemikalien wie Ammoniak eingesetzt, das in Düngemitteln verwendet wird.

Heute wird Wasserstoff fast ausschließlich mit fossilen Brennstoffen hergestellt. Das Gas kann aber auch mithilfe von Elektrizität erzeugt werden – und wenn diese Elektrizität aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne stammt, entsteht "grüner Wasserstoff" als emissionsarmer Kraftstoff.

Der IRA sieht Steueranreize für grünen Wasserstoff vor. Die Details darüber, welche Projekte dafür infrage kommen, sind jedoch von entscheidender Bedeutung, meint Gopal. Viele Elektrolyseure, die Wasserstoff mithilfe von Strom erzeugen, sind nicht direkt an ein Solarpanel oder eine Windturbine angeschlossen. Stattdessen hängen sie am Stromnetz, das aus verschiedenen Quellen gespeist werden kann.

Die Erzeugung von Wasserstoff mithilfe von Strom aus einem Netz, das hauptsächlich mit fossilen Brennstoffen betrieben wird, könnte die Gesamtemissionen sogar noch erhöhen. Daher erfordern Anreize für Wasserstoff "mehr Sorgfalt" als Technologien wie Elektrofahrzeuge, die fast immer zu Emissionssenkungen führen, sagt Gopal.

Eigentlich sollten Regeln darüber, welche Wasserstoffquellen für einen Teil der IRA-Mittel infrage kommen, innerhalb eines Jahres nach der IRA-Verabschiedung vorgestellt werden. Allerdings hat die Biden-Regierung diese Frist versäumt. Die Regeln werden sich nun mindestens bis Oktober verzögern, und es könnte bis Dezember dauern, bis es mehr Klarheit über dieses wichtige Programm gibt.

In der Zwischenzeit bleibt es blanke Theorie, wie sich all diese neuen Finanzierungsquellen in Emissionsreduzierungen niederschlagen werden. Analysten und Forscher schätzen, dass der IRA den USA helfen könnte, ihre Emissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 2005 zu senken. Das ist zwar immer noch schlechter als das in internationalen Vereinbarungen festgelegte Ziel, die Emissionen um die Hälfte zu reduzieren. Aber für den weltweit größten historischen Emittenten von Treibhausgasen ist das eine erhebliche Verbesserung.

Laut Hughes-Cromwick stellt die gesamte Finanzierung durch den IRA eine bedeutende Anzahlung für die Klimaschutzmaßnahmen der USA dar. Schon jetzt stecken private Unternehmen Milliarden in die Entwicklung neuer Klimatechnologien. Wenn mehr öffentliche und private Gelder in die Produktion und den Einsatz fließen, kann dies zu niedrigeren Preisen und einer höheren Akzeptanz der Technologien führen, die zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen können, fügt sie hinzu. "Wir stehen noch ganz am Anfang. Sehen Sie sich an, was wir nach einem Jahr erreicht haben. Können Sie sich vorstellen, was wir in zehn Jahren mit dieser Unterstützung sehen werden?"

(jle)