Zahlen, bitte! 323 Prozent mehr Ertrag – Der erste Kunstdünger

Moderne, hochverdichtete Metropolen wurden nur möglich durch die industrielle Landwirtschaft mit Hochleistungsdüngern. Dabei war Kunstdünger anfangs umstritten.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Der Kunstdünger gehört zu den wichtigsten Entdeckungen der industriellen Revolution. Vor 181 Jahren meldete der britische Naturforscher John Bennet Lawes ein Patent auf die Herstellung von Superphosphat an. Er hatte entdeckt, dass man ein ausgezeichnetes Düngemittel erhält, wenn man das Abfallprodukt Tierkohle mit Schwefelsäure behandelt. Mit seinem Mitarbeiter Joseph Henry Gilbert untersuchte er systematisch die Anwendung des Kunstdüngers, die zu einer Revolution der Agrikultur führte.

Auf seinem Versuchsfeld konnte er 55 Bushel (etwa 1,9 Tonnen) Weizen ernten im Vergleich zu 13 Bushel (etwa 460 Kilogramm), die auf ungedüngtem englischen Boden erzeugt wurden, eine Ertragssteigerung von über 323 Prozent. Es dauerte rund 100 Jahre, bis die ökologischen Probleme des Einsatzes von diesen Düngemitteln bekannt wurden.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Für die gründlichen Forschungen in seinem Chemielabor und auf den Feldern seines Landsitzes Rothamsted Manor erhielt John Bennet Lawes nicht nur ein Patent, das seine Fabriken ausschlachteten, sondern auch höchstes Lob. Im Journal der Royal Agriculture Society schrieb der Herausgeber Philip Pusey, dass der Einsatz von Stickstoff in der Landwirtschaft von ähnlicher Relevanz für die Agrikultur sei "wie die Gravitation für die Astronomie oder die Entdeckung des Blutkreislaufes für die Medizin."

Sir John Bennet Lawes, 1. Baronet (* 28. Dezember 1814 in Rothamsted, Hertfordshire; † 31. August 1900 ebenda) war ein britischer Agrikulturchemiker und entwickelte den ersten Hochleistungs-Kunstdünger moderner Art.

Es gab aber auch Kritik: ausgerechnet der deutsche Chemiker Justus von Liebig erklärte dem Kunstdünger den Krieg. Er war davon überzeugt, dass Pflanzen Stickstoff aus der Atmosphäre gewinnen können und nicht gedüngt werden müssen. Die Suche nach Düngemitteln sah Liebig äußerst kritisch: "Großbritannien raubt allen Ländern die Bedingungen ihrer Fruchtbarkeit, es hat die Schlachtfelder v. Leipzig, Waterloo u. der Krim bereits nach Knochen umgewühlt u. die in den Katakomben Siziliens angehäuften Gebeine vieler Generationen verbraucht. Man kann der Welt sagen, dass es wie ein Vampyr am Nacken Europas hängt."

Lawes und Liebig lieferten sich über die Jahre hinweg eine hitzige Debatte, die dadurch verschärft wurde, dass Lawes ab 1843 über 60 Jahre hinweg mit Joseph Henry Gilbert zusammenarbeitete, einem Schüler von Liebig. Lawes und Gilbert publizierten 130 Aufsätze über ihre Forschungen, die Liebig widerlegten.

Die agrikulturelle Revolution ergänzte so die erste industriellen Revolution. Zudem falsifizierte sie ideengeschichtlich die malthusianische Katastrophe. Der Pfarrer und Ökonom Thomas Malthus hatte 1798 in einem Aufsatz postuliert, dass die Menschheit an einer Überbevölkerung zugrunde gehen wird.

Die damals viel diskutierte These von Malthus beeinflusste den jungen John Bennet Lawes nachhaltig. Er studierte kurz Chemie und kehrte ohne Abschluss auf das elterliche Anwesen Rotherham zurück, um die entstehende Agrarwissenschaft systematisch zu erweitern. Um 1837 begann er dort zunächst mit der Zucht von medizinischen Kräutern. Die Frage eines Freundes, was man mit der damals als Abfall angesehenen Tierkohle (aus Leder, Fleisch und Knochen) machen könne, führte ihn zu der entscheidenden Entdeckung: mit Schwefelsäure verätzt entstand ein Dünger, der die Pflanzen zum Wachstum anregte. Wichtiger als das 1842 erteilte Patent auf die Erkenntnis (und auf daraufhin von Lawes gegründeten Fabriken für Kunstdünger) war die systematische Forschung, die er ab 1843 mit seinem Mitarbeiter Gilbert perfektionierte.

Die beiden vermaßen, tatkräftig unterstützt von ihren Frauen, nicht nur Hunderte Pflanzenarten und notierten ihre Erträge, sondern es gelang ihnen auch der wissenschaftliche Beweis der ertragreicheren Vier-Felder-Wirtschaft mit Klee als Stickstoff-Lieferanten. Auch in der Viehzucht setzten sie mit ihren Experimenten über die besten Futtermittel Maßstäbe: von 1848 bis 1850 wurden jeweils 10 Ochsen, Schafe und Schweine mit streng getrenntem Futter gemästet, zerlegt und anschließend untersucht. Lawes und Gilbert gelangten so zu der Erkenntnis, dass Kohlenhydrate in Fett umgewandelt werden.

Was aussieht, als wenn ein Tankflugzeug seinen Schlauch ausfährt, ist eine Möwe die einen Bestandteil des Guanos ablässt: Der Guano-Dünger besteht aus Möwen- und Fledermauskot in Verbindung mit einem kalkreichen Boden.

(Bild: Sanchezn, CC-BY SA 3.0)

Neben diesen Forschungsarbeiten war Lawes mit Düngemittelfabriken auch ökonomisch sehr erfolgreich. 1873 konnte er die Fabriken mit großem Gewinn verkaufen. Das Geld floss in eine Stiftung namens Rothamsted Research, bis heute die größte Agrarforschungsanstalt mit einer einzigartigen "Bibliothek" von 50.000 Pflanzen und Bodenproben, die von Lawes und Gilbert gesammelt wurden. Heute beschäftigt sich Rothamsted Research mit den Auswirkungen, die übermäßiges Düngen auf Ökosysteme hat.

Zu den Auswirkungen, die die Steigerung der Erträge in der Landwirtschaft mit sich brachten, gehörte die Erkenntnis, dass der von Alexander von Humboldt nach Europa gebrachte "Guano" ein ebenso vorzügliches Düngemittel war. Der von Pinguinen und anderen Seevögeln auf Kalkstein fermentierte Kot überzog die Nistplätze mit einer 10 Meter dicken Schicht. 1840 begann Peru mit dem Abbau von Guano, der von Segelschiffen rund um Kap Hoorn nach Europa gebracht wurde. Wenig später folgte Chile. Die USA erließen 1856 den Guano Islands Act. Er besagte, dass jede unbewohnte Insel, die von einem US-Amerikaner betreten wird, amerikanisches Territorium wird und der Guano dem amerikanischen Volk gehört.

Der Dünger wurde vor allem in den Baumwollplantagen eingesetzt, um auf dem ausgemergelten Boden höhere Erträge zu erzielen. Unter dem Gesetz wurden jedoch auch Inseln okkupiert, die bewohnt waren: die Philippinen, Hawaii und Puerto Rico gehören zu diesen US-Eroberungen. Auch das Vereinte Königreich machte sich auf Guano-Beute und vertrieb französische Siedler von den Inseln des Chagos-Archipels, um den Dünger ungestört abbauen zu können. Der Abbau von Guano (und Salpeter) führte zum Salpeter-Krieg zwischen Peru, Bolivien und Chile, der von 1879 bis 1884 tobte. Der Krieg wurde von Chile gewonnen, während Bolivien seinen Meer-Zugang zum Pazifik verlor.

Als prominenter Zeitgenosse interessierte sich übrigens Karl Marx sehr für die Intensivierung und Industrialisierung in der Landwirtschaft. Er gab sich aber keinen Illusionen hin, als er im Kapital schrieb, dass "jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur […] nicht nur ein Fortschritt in der Kunst [ist] den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit."

Die industrielle Landwirtschaft arbeitet mit immer effektiveren Techniken an der Ertragssteigerung pro Hektar. Eins hat sich seit damals nicht geändert: Ohne den richtigen Dünger keinen guten Ertrag!

(mawi)