Zahlen, bitte! Der Amiga - Eine Dekade Pop Art in 16 Bit

Der Amiga von Commodore war nicht nur Traum vieler Jugendlicher in den späten 80ern, sondern hat auch viele Kreative in Kunst und Musik beeinflusst.

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Inhaltsverzeichnis

In diesen Wochen wird der Amiga 500, der Homecomputer, mit dem viele IT-Karrieren ihren Anfang fanden, 35 Jahre alt. Und in dieser Woche erscheint zudem der A500 mini, ein Amiga-Emulator im putzigen Amiga-500-Gehäuse. Wir haben uns daher entschieden ein "Zahlen, bitte!" zum Amiga aus dem Jahr 2018 zu überarbeiten und als "Zahlen, bitte! - Classic" neu aufzulegen.Viel Spaß!

Der Amiga begeisterte nicht nur viele Jugendliche als Heimcomputer und Daddelmaschine, seine multimedialen Fähigkeiten lockten auch Künstler und Musiker an. Kein Wunder, dass kein Geringerer als Pop-Art Künstler Andy Warhol bei der Weltpremiere die grafischen Fähigkeiten des Amiga 1000 präsentierte.

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Mit dem Amiga-Projekt hatte das Team um Chefentwickler Jay Miner Anfang der 1980er große Ziele: Sie wollten mit einem 16-Bit-Computer die bisherige Computerwelt umkrempeln. Er sollte nicht weniger als die Grafik- und Rechenpower großer Workstations zu einem Bruchteil des Preises in den Heimcomputer-Markt bringen. Zwar wurde er auf Wunsch der Investoren, zunächst vor allem als Spielekonsole geplant, aber nach dem Konsolen-Crash um den Atari 2600 im Jahr 1983 kam die Computerentwicklung zum Zuge.

Das neue Konzept klang so vielversprechend, dass sogar Apple-Entwickler Ron Nicholson Jr. angelockt wurde. Das führte zu einem Kuriosum: Seine Signatur tauchte 1984 in den Entwickler-Unterschriften des Mac 128k auf, die stolz in der Gehäuseinnenseite integriert wurden; aber auch beim Amiga 1985, als das Amiga-Team sich ebenfalls im Deckel seines Werkes verewigte, war Nicholson vertreten.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Am 23. Juli 1985 wurde der Amiga 1000 von Commodore mit für die damalige Zeit beeindruckender Hardware vorgestellt: MC68000-Hauptprozessor mit 7,16 MHz Taktfrequenz und 16-Bit-Prozessor (der intern sogar mit 32-Bit rechnete) und 512 KByte Hauptspeicher. Dank der Custom-Chips, die Spezialaufgaben in Sachen Grafik und Sound übernahmen und damit die CPU entlasteten, war er in Sachen Multimedia der Konkurrenz weit voraus.

Die Deckel-Unterseite eines gut abgehangenen Amiga 1000 mit den Namen der Entwickler - violett markiert: Amiga Chefentwickler Jay Miner, die Tatze seines legendären Hund Mitchie, und der ehemalige Apple-Entwickler Ron Nicolson jr. [von oben nach unten]

Das System schaffte den endgültigen Durchbruch im Mai 1987: Der günstige Amiga 500 startete dann im Kinderzimmer durch und sollte in Deutschland vor allem das Weihnachtsgeschäft durcheinanderwirbeln. Er entwickelte sich dadurch - mit auf 1 MByte erweitertem Speicher - quasi zum Standard-Amiga. Die sehr guten Sound- und Grafikfähigkeiten kamen nicht nur Spielern zugute - sondern mit diversen Programmen und Editoren konnte jeder mit dem Amiga kreativ werden.

Zwar galt der Atari ST, der große Amiga-Rivale, mit seiner Midi-Schnittstelle, als erste Wahl der professionellen Musiker, aber der Amiga beeinflusste ebenfalls viele Musiker. Und viele Karrieren hatten mit ihm ihren Startpunkt. Pünktlich zum Start des Amiga 500 brachte 1987 die Band 16BIT ein Album auf den Markt mit dem kaum ausprechbaren Namen "Inaxycvgtgb". Die Band bestand aus dem Duo Michael Münzing und Luca Anzilotti, die später mit SNAP! in den 90ern Erfolge auf dem Dancefloor feierten. Sänger war wiederum Sven Väth, der später als Techno-DJ weltweite Bekanntheit erlangen sollte. Die Singleauskopplungen "Where are you" und "Changing Minds" hielten sich mehrere Wochen in den Charts.

Der Amiga 500 erschien im Frühjahr 1987 und rollte die Heimcomputerszene auf Links. Mit seinen für die damalige Zeit herausragenden Sound- und Grafikfähigkeiten galt er über Jahre als ideale Multimediamaschine. Die Konkurrenz holte aber schnell auf.

Wegweisend für viele Musiker war der Ultimate Soundtracker von Karsten Obarski. Er ließ sich durch Musikeditor-Konzepte bekannter C64-Musiker inspirieren (wie z. B. Rob Hubbard oder Chris Hülsbeck) und entwickelte sie weiter in seinem Tracker. Mod-Tracker sind Tools, mit denen man auch ohne große Programmierkünste Musikstücke durch das Ablegen von Samples auf virtuelle Tonspuren erzeugen kann, die durch eine Zeitleiste abgefragt werden. Das Prinzip ermöglichte, neben der einfachen Bedienbarkeit, Tracks von hoher Soundqualität mit geringem Speicherhunger zu komponieren, da man nur einzelne Samples benötigte und diese durch Loops und nichtdestruktive Tonveränderungen mehrfach verwenden konnte. Als Ergebnis entsteht eine Musikdatei, die Trackermodul oder Mod genannt wird.

Zunächst als interne Software für eigene Spielprojekte entwickelt, veröffentlichte Obarski die Software 1988 als eigenes Produkt. Kommerziell war das Projekt kein großer Erfolg, da die Amiga-Szene durch Reverse-Engineering den Tracker nachbaute und als Noise Tracker, Star Tracker oder Protracker kostenlos verteilte. Das verdarb Obarski einerseits das Geschäft, andererseits sorgten die Tools aber für die Verbreitung des “Amigamod“-Formats als Standard. Viele Spieleentwickler schätzten diese effektive und speichersparende Form der Songkomposition. Aber auch viele Jugendliche wurden davon angesteckt, mit ein paar Samples eigene Songs zu schaffen.

Der deutsche Techno-DJ und Produzent Hardy Hard schuf mit dem Track Silversurfer 1999 einen Techno-Hit, wobei er eher einen Remix schuf. Der Originalsound stammt nämlich aus dem Amiga Trackermod mit dem Namen Walkman - Beams of Light. Ob der eigentliche Komponist Tor Bernhard Gausen dafür entsprechend gewürdigt wurde, ist nicht überliefert.

2007 wurde der Electropopsong Acceptable in the 80s vom schottischen DJ und Produzenten Calvin Harris veröffentlicht, der diesen nach eigenen Angaben mithilfe eines Amiga 1200 komponierte.

Doch auch in der Grafik war der Amiga wegweisend. Deluxe Paint erschien bereits 1985 und entwickelte sich zum Quasi-Standard auf dem Amiga für digitales Malen und pixeln. Selbst die Entwickler der 1990 erstmals erschienenen Bildbearbeitung Photoshop ließen sich in der Bedienung davon inspirieren. Einige Tastaturkürzel stammen noch aus der Deluxe-Paint-Zeit.

Deluxe Paint - Pixelgrafik-Editor von Daniel "Dan" Silva - hier die Packungen der Versionen 1 und 2. Das Programm sorgte nicht nur für viele kleine mehr oder weniger talentierte Digitalkünstler, sondern inspirierte zum Namen einer der bekanntesten Computerfiguren aller Zeiten.

Da am Amiga das Standardformat 320x256 bei 32 Farben war, lag der Schwerpunkt bei Deluxe Paint eher beim selbst pixeln als der Bildbearbeitung: Scanner existierten zwar, aber die Qualität ließ meist zu wünschen übrig.

Apropos Inspiration: Guybrush Threepwood, der leicht trottelige Piratenazubi im Adventureklassiker "Monkey Island", erhielt seinen Vornamen aus der Arbeit mit Deluxe Paint.

Steve Purcell, der Zeichner der Figuren, speicherte in Deluxe Paint den Sprite der Hauptfigur schlicht als “Guy“ ab – mit dem Zusatz “brush“ um ihn als Pinsel zu markieren. Mit dem Zusatz .bbm als Brushdatei wurde er zu “Guybrush.bbm“. Und der Blick über Wochen auf diese Datei sorgte für eine derartige Gewöhnung, dass der Vorname der Figur dann irgendwann feststand.

Nicht nur bei Spielegrafikern und Hobbykünstlern war das Programm beliebt; mit “Move Your Feet“ von Junior Senior ist sogar ein ganzes Musikvideo im Format 90x72 mit Deluxe Paint produziert worden. Das Video wurde 2002 veröffentlicht; entwickelt wurde es vom Künstlerkollektiv Shynola, die schon für Radiohead und Blur Videos gestalteten.

Die guten Videofähigkeiten des Amiga blieben wiederum auch Filmschaffenden nicht verborgen. Die Firma NewTek bot in den USA seit 1989 die sogenannten “Video Toaster“ an, mit denen man Videoeffekte und 3D-Renderings in das Videosignal einbinden konnte – und das für den Bruchteil eines Preises herkömmlicher Videohardware mit vergleichbaren Eigenschaften. Erst für die Rechner der gut erweiterbaren Amiga-Profilinie Amiga 2000 bis hin zum Amiga 4000 wurden in Nordamerika Hardware-Software-Kombinationen angeboten. Diese wurden z. B. in Steven Spielbergs Jurassic Park ein Bestandteil der Vorproduktion. In SeaQuest DSV und in den ersten Staffeln von Babylon 5 wurden Amigas für die Special Effects eingesetzt.

Programme wie Deluxe Paint und die Tracker brachten Jugendliche also dazu, selbst kreativ zu werden. Im Dunstkreis der Cracker-Szene, die primär damit beschäftigt war, den Kopierschutz aus Spielen zu entfernen, um sie auf dem Schulhof und auf Crackerpartys tauschen zu können, entstand bereits zu 8-Bit-Zeiten eine hochkreative Demo-Szene.

Die Szene breitete sich mit den Möglichkeiten des Amiga weiter aus. Bis heute messen sich Coder und Künstler in verschiedenen Wettbewerben und für verschiedene Systeme darin, wer die besten Demosequenzen entwickelt. Für Aufsehen sorgte 1992 Spaceballs - State of the Art – ein für die Zeit beeindruckendes Grafikfeuerwerk. Dabei lief es auf dem Amiga 500 mit 1 MByte Hauptspeicher und passte auf eine Diskette. Eine Übersicht an Amigademos zum Durchklicken findet man im Amiga-Demoszene-Archive.

Auch wenn Commodore durch viele strategische Fehler und angesichts der Übermacht von Windows und Co. 1994 Konkurs ging und der Amiga ein paar Jahre später vom Massenmarkt verschwand: Die digitale Kunst hat er eine Dekade lang durch die vorher so nicht dagewesenen Möglichkeiten beeinflusst wie kaum ein anderes System.

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(mawi)