Zögerliche Annäherung

Mit der Akzeptanz von Linux in den Unternehmen wächst die Nachfrage nach Supportleistungen. Denn nur mit entsprechenden Dienstleistungsstrukturen wird sich das offene Betriebssystem in Unternehmen ernsthaft als Alternative zu NT & Co. etablieren können. Erste, zögerliche Ansätze sind im Markt erkennbar.

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Von
  • Achim Born
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Das in den letzten zwölf Monaten ständig zunehmende Interesse aus dem IT-Umfeld an Lösungen rund um Linux ist ungebrochen. Alles deutet darauf hin, dass sich der Abstand zu NT im Serversegment auch dieses Jahr verringert. 1998 erreichte das offene Betriebssystem laut IDC weltweit einen Anteil von 17 Prozent bei den Auslieferungen, wobei die Berater bei konkreten Zahlen einmal mit 750 000 und einmal mit 690 000 zitiert werden. Der NT-Anteil lag bei 34 Prozent, NetWare bei 24 Prozent und andere Unixe bei 17 Prozent.

Auch hier zu Lande steigt die Einsatzrate. Äußeres Anzeichen: Allein in den vergangenen fünf Monaten registrierte Nomina, Herausgeber diverser Softwarereports, nahezu eine Verfünffachung des Angebots an professionellen Softwareprodukten für das Open-Source-Betriebssystem. Aktuell führen die Münchener, die zur diesjährigen Systems einen eigenen Linux-Report als Nachschlagewerk vorstellen werden, in ihrer Datenbank rund 700 Lösungen von 300 Unternehmen im deutschsprachigen Wirtschaftsraum.

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LinuxPark in München

An dem Linux-Hype will die Messe in München partizipieren und organisieren gemeinsam mit dem LinuxMagazin einen ‘LinuxPark’ auf der diesjährigen Systems. In Halle A3 sollen insbesondere die Anwendungsmöglichkeiten im kommerziellen Umfeld geballt darstellt werden. Hierfür werden neben den klassischen Messeständen, offenen ‘Demopoints’, ein Linux-Forum und ein Linux-Café geboten.

In einer Untersuchung, die man im 2. Quartal 1999 durchführte, gaben knapp zwei Drittel der mehr als 400 befragten Anbieter an, schon heute Softwareprodukte für Linux zu offerieren. Innerhalb von zwei Jahren wird sich dieser Anteil auf deutlich über 80 Prozent erhöhen. Durchschnittlich bieten die Firmen nach eigenen Angaben zwei selbst entwickelte Programme an. Das Hauptaugenmerk liegt denn auch auf der Entwicklung und Portierung von Lösungen. Circa ein Drittel der gesamten Linux-Entwicklerkapazität wird durchschnittlich hierfür aufgewandt. Immerhin knapp die Hälfte bietet zudem Beratung und Support.

Solche Zahlen nähren sich natürlich von der Hoffnung nach Geschäften mit Linux. Während dieses Jahr noch mehr als die Hälfte der Anbieter mit einem Linux-bezogenen Umsatzanteil von unter 10 Prozent rechnet, erwarten 2001 nur noch 14,7 Prozent solch geringe Geschäfte, und 43,4 Prozent hoffen auf einen Anteil von mindestens 30 Prozent (siehe iX 9/1999, S. 24).

Angesichts dieser Entwicklung bleibt nur noch das Resümee zu ziehen: Linux ist im kommerziellen Umfeld nicht mehr wegzudisktuieren. Drei Argumente fand der IDC-Analyst Dan Kisnetzky für den Boom heraus: Anti-Microsoft-Haltung, starke Performance und niedriger Preis. Selbst Microsoft-Mitarbeiter Vinod Valloppillil gestand in den berühmt-berüchtigten Halloween-Papieren ein, dass eine FUD-Politik (Fear, Uncertainty, Doubt) nicht verfangen würde und sogar (im Microsoft-Sinne) kontraproduktiv wäre. Je länger die Einführung von Windows 2000 auf sich warten lässt, ist außerdem IDC-Mann Kisnetzky überzeugt, desto mehr Anhänger wird Linux in der Unternehmenswelt finden. Schon jetzt gaben 13 Prozent von 800 befragten nordamerikanischen Firmen an, das Betriebssystem einzusetzen.

Aber es gibt nach wie vor Bedenkenträger. So stellt für Rüdiger Spieß, Analyst bei der Münchener Meta Group, die Portierungsankündigungen kommerzieller Softwarepakete im Wesentlichen einen Marketing-Hype dar. Er glaubt nicht, dass große Anwender umfangreiche Projekte auf Linux-Basis realisieren. Die Meta Group rät sogar davon ab, Linux als Plattform für geschäftskritische Applikationen einzusetzen. Die starke Fragmentierung des Marktes und die vielen Hersteller, die spezielle Zusatz-Features zum standardmäßigen Kernel hinzufügen, würden den Support fraglich machen.

Doch auch die Meta Group musste akzeptieren, dass bereits 15 Prozent ihrer Kunden Linux-Lösungen einsetzen. Verglichen mit den 2 Prozent des Vorjahres können sie den Erfolg nicht mehr ignorieren. Linux hat laut Meta Group, was die installierte Basis angeht, inzwischen den vierten Platz hinter Sun, HP und IBM eingenommen und damit traditionelle Unix-Derivate wie Compaq oder SCO überholt. Diese Zahlen stellen sicher eine untere Grenze dar, eine obere Abschätzung liefert die letzte iX-Leserumfrage (iX 11/1998, S. 10): Danach setzen 58 Prozent Linux im Unternehmen ein.

Nur Support, das wissen auch die Berater, kann Linux den Weg in die Unternehmen ebnen. Noch vor Jahresfrist war dies der große Knackpunkt, der jeden Linux-Verfechter in argumentative Nöte brachte. Als zusätzliches Defizit führte die Gartner Group die schnellen Release-Wechsel und das mitunter undurchsichtige Angebot an Tools an. Quintessenz war häufig, dass sich zwar für nahezu jede Frage eine Antwort oder Lösung finden lässt, nur wo und - vielleicht noch wichtiger - wann es die Antwort gibt, blieb offen.

Spätestens seit der letzten Herbst-Comdex wandelte sich das Bild. Ein Linux-Pavillon machte das Betriebssystem zum Messethema. Ebenso verhielt es sich mit der auf der CeBIT verkündeten Unterstützung von Linux durch SAP, was einem Ritterschlag in der kommerziellen Welt gleichkam. Seitdem reiht sich ein Hersteller nach dem anderen in die Phalanx der Unterstützer, sodass kaum eine Lücke bleibt.

Im Gefolge der Unterstützung bekundeten die Hersteller Supportleistungen für Linux beziehungsweise für ihre Anwendungen auf Linux. So betreibt SAP in Walldorf gemeinsam mit Hardwarepartnern (Compaq, HP, IBM und Siemens) ein LinuxLab mit einem Dutzend Leuten, die R/3 für das Betriebssystem in der Red-Hat-Distribution optimieren. Außerdem tauscht man sich mit Alan Cox und der Entwicklergemeinde aus, um die Serverfunktionalität (etwa Semaphor-Konzept oder 4GB-Support) zu erhöhen. Zur Unterstützung für Anwender schlüpft das Softwarehaus zudem in die Rolle eines Betriebssystemlieferanten und bearbeitet Linux-spezifische Probleme. Hardwareprobleme werden wiederum an die Hardwareanbieter weitergeleitet.

Zu dem Red-Hat-Lager zählt auch Oracle. Das Unternehmen des bekennenden Microsoft-Feindes Larry Ellison erhob die Linux-Variante der Datenbank Oracle8i in den Rang des Tier-1-Support-Level und damit auf das Niveau eines HP-UX oder Solaris. Neben Red Hat will das Unternehmen weitere Distributionen wie Caldera, Suse oder TurboLinux zertifizieren.

Beim Einsatz in unternehmenskritischen Anwendungen wird aber auch Oracle nicht umhinkommen, neben den Leistungen für die eigenen Produkte zusätzlich Linux-Services zu bieten. Da es keinen eigentlichen Hersteller des Betriebssystem gibt, müssen die Soft- und Hardwareanbieter diesen Part übernehmen, wenn sie es ernst mit der Unterstützung meinen. So wundert es kaum, dass insbesondere die Großen - allen voran IBM, HP und Siemens ihre Supportabteilung auch zur Linux-Unterstützung heranziehen.

In der Regel starten diese Aktivitäten zunächst in den USA. So verkündete IBM die Etablierung eines Rund-um-die-Uhr-Services für Linux, Webserver, Datenbanken und Ähnliches, den über 150 trainierte Mitarbeiter der IBM Global Services betreuen.

Schon zuvor gestartet sind Hewlett-Packard und Siemens. Bei HP heißt die Abteilung OSSO (Open Source Software Operation), die sich der Thematik annimmt. Die im Supportzentrum in Ratingen angesiedelten Linux-Support-Services (für Suse und Red Hat) reihen sich nahtlos in die normalen Dienstleistungen ein. Neben dem Betriebssystem werden Verfügbarkeit, spezielle HP-Anwendungen wie OpenMail, aber auch die OpenView-Palette unterstützt. Garantierte Reaktionszeiten von zwei Stunden - 15 Minuten bei unternehmenskritischen Einsätzen - machen Linux neben HP-UX und NT zum normalen Produkt. Die auf Jahresbasis abgeschlossenen Verträge variieren in der Zeit (bis 24 Stunden) und im Umfang. Zusätzlich arbeitet HP an einem Electronic Support, bei der Anwender selbstständig in einer Wissensdatenbank nach Lösungen suchen können. Suchen ist übrigens im Allgemeinen angesagt: Eine Beschreibung des Serviceangebots suchte der Autor auf der hiesigen HP-Site vergeblich. Selbst die Suche mit dem Stichwort ‘Linux’ war nicht von Erfolg gekrönt. Also bleibt derzeit nur die US-URL.

Der Bereich IT-Services von Siemens schuf neben einer vergleichbaren Pauschalversion erstmalig eine Call-Variante der Services. Bei der Call-Paket-Version können Kunden innerhalb eines Jahres eine gewisse Anzahl von Anfragen stellen: Dabei besteht die Wahl zwischen 10, 25 oder 100 Calls pro Jahr. Außerdem unterscheiden sich Pauschal- und Call-Variante in der Reaktionszeit. Bei der erstgenannten wird bei kritischen Anwendungen innerhalb von 30 Minuten reagiert; beim Call-Paket in zwei Stunden (sonst vier Stunden).

Lange Zeit waren außer den einschlägigen Websites die Anbieter der Distributionen erste Kontaktadresse für Supportfragen. Sie übernehmen dabei den Part eines Betriebssystemlieferanten. Allerdings werden sie in erster Linie als Hersteller ihrer eigenen Linux-Version angesehen. Bislang war es hier zu Lande auch nur Suse, inzwischen 160 Mitarbeiter stark, die nennenswerte Dienstleistungskapazitäten aufbaute. Neben Frankfurt und München planen die Nürnberger jetzt zusätzlich in Bonn, Hamburg und Stuttgart Services rund um Unix und Linux anzubieten. Die seit dem Börsengang in Dollar-Milliarden schwimmende Firma Red Hat muss dagegen erst noch zeigen, welche Schritte sie hier zu Lande nach Übernahme des Linux-Bereichs von delix in Angriff nehmen wird. Das im letzten Jahr gestartete Zertifizierungsprogramm für Supportpartner schlief nahezu ‘folgenlos’ ein.

Neben den Distributoren ergreifen jetzt auch mehr und mehr unabhängige Beratungshäuser die Chance, um mit Supportleistungen Geld zu verdienen. In den USA wurde beispielsweise LinuxCare gegründet von dem Internet-Berater und Gründer der Bay Area Linux Users-Group, Art Tyde, sowie seinen Partnern Dave Sifry und David LaDuke. Ausgestattet mit rund zwei Millionen Dollar Risikokapital gingen sie daran, eine Supportorganisation für Unternehmen aufzubauen und dies distributionsübergreifend. Rund um die Uhr offerieren sie Services für Caldera, Debian, Pacific HiTech, Red-Hat-Software, Slackware und Suse. Zur Unterstützung werkeln die LinuxCare-Leute an einer Wissensdatenbank, die Informationen über Linux aus den diversen Linux-Sites einsammelt. Dieser Datenbank sollen selbst natürlichsprachliche Anfragen keinerlei Probleme bereiten. Ein weiteres Feature ist ein sogenannter CareTracker, mit dem Kunden die Arbeit an ihren Supportanfragen verfolgen können. Neben dem ‘eigenen’ Geschäft dient LinuxCare unter anderem als Supportkontakt für Dell Computer und IBM RS/6000.

Als zweite Anlaufstelle in den USA für unabhängigen Support wird häufig VA Linux Systems (ehemalige VA Research) genannt. Seit Anfang dieses Jahres ausgestattet mit Geldern von Intel und Sequoia Capital, ist das Unternehmen schon auf über 100 Mitarbeiter angewachsen. Neben Entwicklungen und Services arbeitet der Eigner der prestigeträchtigen URL www.linux.com gemeinsam mit HP und SGI für Intel an der Portierung von Linux auf Intels i64.

LinuxCare und VA Linux Systems sind die bekanntesten, nicht die einzigen Supportdienstleister in den USA. Andere Firmen wie Linux Support Services versuchen ebenso an die neuen Geldtöpfe zu gelangen. Selbst SCO, deren Stellung als Unix-Lieferant für Intel-Plattformen durch Linux gefährdet ist, bietet im Rahmen der Professional Services Linux-Beratung an.

Bei den Neugründungen unter den Servicefirmen lassen sich häufig einige Gemeinsamkeiten erkennen: Die Gründer stammen in der Regel aus der Linux-Gemeinde; sie nutzen das Web als wichtige Supportplattform; neben kostenlosen Informationen werden zusätzlich zu bezahlende Services via Web angeboten. Eine ähnliche Entwicklung ist im Übrigen auch hier zu Lande erkennbar.

Unternehmen wie ID-Pro oder Innominate bieten überregional unabhängige Beratungs- und Supportdienste für den professionellen Einsatz an. Die Berliner Innominate waren die ersten, die mit einem modularen Supportkonzept aufwarteten, das sich vom Telefonsupport bis zur Fernüberwachung spannt. Bekannt ist das 20-Mann-Unternehmen aber in erster Linie durch den Betrieb der linux-biz.de (0180-1-Linuxbiz) geworden, einem bundesweit nach Postleitzahlen sortierten Forum für Linux-Supportfirmen. Innominate-Chef Raphael Leiteritz hegt hier durchaus beachtenswerte Pläne für den Ausbau als bundesweite Plattform. Noch ist die Frage einer Qualitätskontrolle der teilnehmenden Berater oder Firmen aber nicht abschließend geklärt.

Auf Expansionskurs befindet sich im Übrigen auch ID-Pro. Seit dem Zusammenschluss mit der Arnsberger DI Delta Internet GmbH können sich die Bonner mit über 30 Mitarbeitern als ‘derzeit größtes unabhängiges Linux-Beratungsunternehmen’ bezeichnen. Noch in diesem Jahr will man nach eigenen Angaben mit dem Aufbau von Niederlassungen in den hiesigen Metropolen beginnen.

Zusammengetan haben sich auch zwei nicht ganz unbekannte Linux-Pioniere Deutschlands, die bislang nicht zwingend als Tandem zu betrachten waren. Rudolf Strobl (Ex-Vorstand Cybernet AG, Linuxland-Inhaber und Herausgeber des Linux-Magazins) und Sebastian Hetze (Gründer des Linux-Systemhauses Lunetix und Verleger des Linux-Anwendungshandbuches) wollen mit der Linux Information Systems AG im Markt als Systemhaus die gesamte Palette von Lösungen und Dienstleistungen offerieren, von Management- und Technologieberatung über Softwareentwicklung, Support, Training und Projektabwicklung. Für die notwendige Man-Power sollen wohl die guten Kontakte in die Entwicklergemeinde von Hetze als Initiator des Linux-Kongresses sorgen. Unter anderem werden den Geschäftskunden distributionsunabhängig Supportverträge offeriert, die individuell kalkuliert werden. Die Abrechnung erfolgt über die Buchung von Zeitkontingenten (Arbeitseinheit: 6 Minuten).

Aus der beschriebenen Entwicklung lässt sich sicherlich folgern: Die Normalität hält auch im Linux-Umfeld Einzug, und mit dieser Normalität wird das Know-how eine rare, handelbare Ware. Noch lässt sich aber nicht absehen, wie erfolgreich die Services tatsächlich an den Mann gebracht werden können.

Denn bislang regiert beim Linux-Einsatz in der Regel das ‘Do-it-yourself’. Schließlich musste man schon im gewissen Maße Überzeugungstäter sein, um Linux im Unternehmen einzuführen. Die Betreiber von 190er Nummern, die in der Regel Privatpersonen adressieren, beklagen mitunter eine Annahme des Service, die gegen Null geht. Auf der anderen Seite entpuppt sich hier die eine oder andere Nummer als reines DM-Grab (siehe ab Seite 70 in diesem Heft).

Zudem verleitet die ganze Idee des Open Source die IT-ler - gleich, ob in den Unternehmen oder als Privatperson - dazu, selbst Hand anzulegen. Bei Problemen wurden die vielen hilfreichen Geister der Gemeinde im Internet bemüht. Eine solche Vorgehensweise ist sicherlich der Produktivität nicht gerade förderlich. Statt sich zwei Tage selbst mit dem Aufsetzen eines Apache-Webservers zu beschäftigen, ist ´ es oft sicherlich sinnvoller und kostensparender, diese Aufgabe einem der am Markt agierenden Dienstleister zu überantworten.

P.S.: Die Zweifler von der Meta Group wollen jetzt erst einmal den deutschen Linux-Markt aus Servicesicht untersuchen, um für mehr Transparenz zu sorgen. Denn bei dem Interesse an Linux wird sich sicherlich der eine oder andere Studienkäufer finden lassen.

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iX-TRACT

  • Die Strukturen der Dienstleistungen rund um Linux entstehen erst.
  • Wie Siemens und HP bauen auch die großen Softwareanbieter Supportstrukturen auf.
  • Junge Linux-orientierte Unternehmen wollen von der Supportnachfrage profitieren.

(avr)