Kommentar zum Crypto-Crash: Cold Storage ist jetzt in

Krypto-Kurse fallen, Handelsvolumen sinken. Viele Zocker verlieren Vertrauen in die Krypto-Dienste und nehmen ihre Münzen offline. Betrug floriert.

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Mehrere große Tresorschließfächer, wovon einige geöffnet und leer sind

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

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Angesichts vieler Brandherde bei Kryptowährung-Diensten versuchen Crypto-Zocker, ihre virtuellen Schäfchen entweder in echtes Geld zu tauschen oder ins Trockene zu bringen. Von einer brennenden Planke auf die nächste zu springen, ist mühsam und riskant. Also gewinnen Self Custody und deren härtere Variante Offline-Wallet an Beliebtheit.

Ein Kommentar von Daniel AJ Sokolov

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Daniel AJ Sokolov

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Daniel AJ Sokolov schreibt seit 2002 für heise online, anfangs aus Wien. Seit 2012 versucht der Jurist, als Nordamerika-Korrespondent von heise online Kanadier und US-Amerikaner zu verstehen und ihr Wesen begreiflich zu machen.

Anstatt die Kryptomünzen dem nächsten zweifelhaften Unternehmen anzuvertrauen, wandern sie in selbst kontrollierte Speicher, wo der Besitzer auch die passenden Schlüssel selbst verwaltet. Die Bandbreite reicht vom eigenen Computer über separate Zweithandys und spezielle Hardwarewallets bis zum Ausdruck auf Papier. Selten zuvor wurden so viele Bitcoins in Self Custody überführt; noch nie zuvor haben Ledger und Trezor, zwei Anbieter von Hardwarewallets, so viel verkauft.

Hinter den Abzügen von den Handelsplätzen hin zum selbst kontrollierten Speicher steckt die Hoffnung, dass die jeweiligen Coins noch namhaften Wert haben, wenn sich die Asche der vielen Brandherde gelegt hat.

Auch insolvent gewordene Kryptounternehmen wie FTX schieben noch in Hot Wallets vorhandene Coins in Cold Storage. Das hat andere Gründe: Serverbetrieb und die dafür notwendige IT-Sicherheit kosten Geld, das jetzt fehlt. Außerdem hat das zur sofortigen Transaktion bereitstehende Hot Wallet wenig Sinn, wenn in den nächsten Monaten ohnehin nichts ausbezahlt wird. Die Insolvenzverfahren werden dauern.

Sowohl die bei verschiedenen Börsen und Kreditplattformen festgefrorenen Guthaben als auch der Trend zu Offline-Wallets im Privatbereich entziehen den Kryptobörsen und den Kreditplattformen Liquidität. Einfach weil es je nach Storagemedium mehr Arbeit verlangen kann, Kryptomünzen aus Cold Storage wieder in Umlauf zu bringen, und weil Coins in Self Custody nicht als Kredit ausgegeben werden können.

Damit dreht sich das Coin-Karussell nicht so schnell. Geringere Liquidität macht den Kauf von Kryptowährungen noch riskanter, als er es ohnehin ist. Die Preisausschläge werden, vor allem bei weniger großem Währungen, tendenziell stärker.

Parallel dazu steigen seit Monaten die Zinsen. Geld ist nicht mehr so billig wie noch letztes Jahr. Auf Kredit geschlossene Wetten werden teurer und ungleich riskanter. Also lösen immer mehr Crypto-Zocker ihre auf Pump geschlossenen Wetten auf. Sie verkaufen ihre Kryptomünzen, um Schulden zu tilgen.

Erraten: Mehr Verkaufsorder bedeuten sinkende Kurse, was noch mehr Verkäufe nach sich zieht. Und so weiter. (Natürlich ist auch die Vergabe eines Kredites gegen Hinterlegung von Kryptomünzen eine Wette, nämlich auf den zumindest stabilen Wert der hinterlegten Sicherheit.)

Niemand kann sich mehr über die sinkenden Kurse wundern. Selbst die größten Kryptowährungen, Bitcoin und Ethereum, haben seit Monatsbeginn etwa ein Viertel ihres Wechselkurses zum Euro eingebüßt. Fallende Kurse bringen jene Kreditgeber, die Kryptomünzen als Sicherheit akzeptieren, in die Bredouille. Die als Sicherheit hinterlegten Coins bieten nämlich immer weniger, nunja, Sicherheit. Das wiederum löst kurssenkende Verkaufsorder aus, sogenannte Liquidationen; die Sicherheiten werden zu echtem Geld gemacht, bevor sie noch weniger wert sind und den Kreditwert unterschreiten.

Außerdem haben nicht wenige Kryptofirmen viele Münzen bei der Kryptobörse FTX hinterlegt, aus unterschiedlichen Motiven. Diese Münzen sind aufgrund der FTX-Insolvenz festgefroren, womit die Kryptofirmen andere Münzen, auf die sie noch zugreifen können, verkaufen müssen, sobald sie echtes Geld brauchen. Sind einzelne Währungen davon stärker betroffen, fallen ihre Kurse noch rascher, was noch mehr Liquidationen hinterlegter gleicher Coins nach sich zieht, und so weiter. Die Schere zwischen ausgegebenen Krediten und fehlenden Gegenwerten wird immer größer, bis die Kreditplattform zahlungsunfähig wird. Dann wird erst recht liquidiert.

In einem Bereich erfreuen sich Kryptowährungen weiterhin reger Nachfrage: bei Gaunern und Dieben. Die mediale Aufmerksamkeit widmet sich derzeit zusammenbrechenden Kryptofirmen und fallenden Kursen. Dabei läuft der ganz normale Wahnsinn der wundersamen Welt der Kryptowährungen weiter. Einige Beispiele, die in den letzten acht Tagen bekannt geworden sind:

Beim Token Flare (nicht verbunden mit Flare Networks) haben Unbekannte durch eine Mischung aus einem Insider-Run-Exploit und einem Rug Pull ihre Opfer entreichert. Bei einem klassischen Rug Pull setzen Täter eine neue Kryptowährung unter irgendwelchen Versprechungen auf und überzeugen Opfer vom Kauf solcher Coins, um sich dann mit dem eingezahlten Geld (oder eingezahlten anderen Kryptomünzen) aus dem Staub zu machen. Die neue Kryptowährung gibt es zwar dann, aber niemand will sie mehr haben, weil die gemachten Versprechungen nicht eingehalten werden.

Bei Flare wurden 3,9 Milliarden Flare-Tokens selbst abgezogen und sofort eingetauscht. Bis zum Diebstahl entsprach der Tokenkurs einer Beute von 71 Milliarden Dollar. Weil der Kurs sofort verfallen ist, konnten die Täter "nur" 17 Millionen Dollar lukrieren.

Im Zuge der FTX-Pleite sollen dort Coins im Gegenwert von 600 Millionen Dollar gestohlen worden sein – davon 400 Millionen von einem Insider, der sich am Cold Storage bedient hat. Angeblich ist dieser Täter bereits bekannt, weil er die Transaktionsgebühren von einem persönlich registrierten Wallet bezahlt hat.

Der "Smart" Contract von DeFiAI wurde angeblich gehackt. Jetzt wird erst einmal nichts mehr ausgezahlt. Die Beute soll sich auf 4,17 Millionen Dollar belaufen. Ähnlich bei DFX Finance, dort hat jemand einen Bug in einem Smart Contract ausgenutzt und binnen kurzer Zeit fünf Millionen Dollar Schaden angerichtet. Wie es dort jetzt weitergeht, ist noch nicht entschieden.

Wie schön, dass 94 Prozent der Pensionsfonds von US-Staaten und -Kommunen bereits auf Kryptowährungen wetten, und der Pensionsfonds der Lehrer der kanadischen Provinz Ontario bei FTX "nur" 95 Millionen Dollar stecken hat. Da kommt es gerade recht, dass Politiker der Republikanischen Partei die Risikohaftung für Manager privatwirtschaftlicher Pensionsvorsorgeprogramme (bekannt als 401(k)) generell abschaffen wollen, was "Investitionen" in "digital assets" anbelangt. Was kostet die Welt!

(ds)