Edit Policy: Quad9 in Störerhaftung – neue Rechtsunsicherheit für DNS-Resolver

Der nichtkommerzielle DNS-Dienst ist im Streit mit Sony Music zunächst unterlegen: Das Landgericht Hamburg bejaht Störerhaftung. Ein Unding, findet Julia Reda.

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(Bild: deepadesigns/shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Felix Reda
Inhaltsverzeichnis

Der Rechtsstreit zwischen Sony Music und dem DNS-Resolver Quad9 geht in die nächste Runde. Im Juni wurde die Betreiberin eines kostenfreien, privatsphärefreundlichen DNS-Resolvers, die in der Schweiz ansässige Quad9-Stiftung, Ziel einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg. Durch diesen Beschluss wird Quad9 verpflichtet, den Zugang zu einer von Dritten betriebenen Webseite, die ihrerseits auf mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen auf einer anderen Webseite verlinkt, für die deutschen Nutzer:innen des DNS-Resolvers zu sperren. Die Nachricht löste eine Welle der Solidarität mit dem nichtkommerziellen, rein spendenfinanzierten Dienst aus.

Kolumne: Edit Policy

(Bild: 

Volker Conradus, CC BY 4.0

)

In der Kolumne Edit Policy kommentiert der ehemalige Europaabgeordnete Felix Reda Entwicklungen in der europäischen und globalen Digitalpolitik. Dabei möchte er aufzeigen, dass europäische und globale netzpolitische Entwicklungen veränderbar sind, und zum politischen Engagement anregen.

Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg haftet Quad9 nach den Grundsätzen der Störerhaftung für Urheberrechtsverletzungen Dritter und kann sich nicht auf den Haftungsausschluss für Internetzugangsdienste berufen, der im Telemediengesetz vorgesehen ist. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., bei der ich das Projekt control © leite, unterstützt Quad9 nun beim Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung, da der Fall von großer Bedeutung für den Betrieb gemeinnütziger IT-Infrastruktur ist. DNS-Dienste müssen genau wie Internetzugangsanbieter von der Störerhaftung befreit sein, zumal sie noch weiter von Rechtsverletzungen Dritter entfernt sind als die Internetprovider. Die Einrichtung von Netzsperren verletzt die Grundrechte der Internetnutzer:innen und bürdet Quad9 unverhältnismäßige Pflichten auf.

Sollte das Urteil Schule machen, müsste sich Quad9 wahrscheinlich aus dem deutschen Markt zurückziehen – zum Nachteil der IT-Sicherheit und Privatsphäre aller. Gestärkt würden dadurch die kommerziellen DNS-Angebote der Internetzugangsanbieter und von Google. Der Zugang zu Urheberrechtsverletzungen würde dagegen kaum erschwert. Kann ein DNS-Resolver eine Webseite nicht auflösen, kommt meist automatisch ein anderer, alternativer DNS-Resolver zum Einsatz, ohne dass Endnutzer:innen davon etwas merken.

Ein DNS-Resolver ist ein elementarer Bestandteil eines jeden Internetzugangs. Wer eine Web-Adresse über den Browser aufrufen will, löst im Hintergrund eine DNS-Abfrage aus, die eine URL in eine numerische IP-Adresse übersetzt. Erst unter der IP-Adresse ist der gewünschte Inhalt abrufbar. Deshalb ist bei jedem Internetzugang ein DNS-Resolver voreingestellt. Der Dienst von Quad9 zeichnet sich dadurch aus, dass er die IT-Sicherheit gegenüber alternativen, meist kommerziellen DNS-Diensten erheblich erhöht. In unabhängigen Tests wurde ermittelt, dass Quad9 über 97 Prozent getesteter Malware- und Phishing-Domains filtert. Im Gegensatz zu Netzsperren, wie das Landgericht Hamburg sie in seiner einstweiligen Verfügung verlangt, handelt es sich bei der Malware-Filterung von Quad9 um eine Option, die Nutzer:innen durch Wahl der IP-Adresse des DNS-Resolvers freiwillig aktivieren oder deaktivieren können, und die global einheitlich auf derselben Filterliste basiert. Diese Filterliste wird nicht von Quad9 selbst befüllt, sondern von Trusted Third Parties, also unabhängig anerkannten IT-Sicherheitsgremien. Quad9 entfernt Webseiten von dieser Filterliste, wenn sich herausstellt, dass sie kein Sicherheitsrisiko darstellen, fügt aber selbst keine Seiten zur Filterliste hinzu.

Es ist verwunderlich, dass das Landgericht Hamburg überhaupt eine Störerhaftung für DNS-Dienste in Erwägung zieht. Bereits im Jahre 2017 hat der Deutsche Bundestag die Störerhaftung für Internetzugangsanbieter abgeschafft. Wer im öffentlichen Interesse ein freies WLAN betrieb – beispielsweise die zahlreichen Freifunk-Initiativen in Deutschland – musste bis dahin mit kostenpflichtigen Abmahnungen der Unterhaltungsindustrie wegen Urheberrechtsverletzungen unbekannter Dritter rechnen, hinzu kamen erhebliche Kostenrisiken durch strafbewehrte Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Das Ergebnis: Deutschland hinkte bei der Bereitstellung offener WLANs anderen Ländern deutlich hinterher. Die Reform des Telemediengesetzes von 2017 hat dieses Problem zumindest teilweise gelöst. Seitdem ist klar, dass Personen oder Institutionen, die einen freien Internetzugang anbieten, von der Störerhaftung befreit sind und dieses potentiell existenzbedrohende Risiko nicht mehr tragen müssen.

In der Praxis kommt es dennoch in einigen Fällen zur Verurteilung von Freifunk-Betreiber:innen, da Gerichte von den Anschlussinhaber:innen einen Nachweis verlangen, dass diese die streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzungen nicht selbst begangen haben. Im Fall von einem Dienstleister wie Quad9 hingegen ist klar, dass dieser an etwaigen Urheberrechtsverletzungen, die auf Webseiten Dritter begangen wurden, in keiner Weise beteiligt sind, nur weil er die IP-Adresse dieser Webseiten auflöst. Die Störerhaftung sollte für Quad9 also seit der Novelle des Telemediengesetzes nicht infrage kommen.

Es ist nicht ersichtlich, warum ein DNS-Resolver, der für einen funktionierenden Internetzugang unersetzlich ist, rechtlich anders behandelt werden sollte als der Internetzugangsanbieter selbst. Andernfalls liefe die Abschaffung der Störerhaftung auch für die Internetprovider ins Leere, da sie selbst neben der reinen Durchleitung des Internetverkehrs immer auch einen DNS-Resolver betreiben. Ihnen wäre nicht geholfen, wenn sie zwar für die unbeabsichtigte Durchleitung von Urheberrechtsverletzungen von der Haftung befreit wären, für die Auflösung der IP-Adresse einer etwaigen urheberrechtsverletzenden Webseite dann aber doch wieder haften müssten. Das sieht auch die EU-Kommission so, die in ihrem Entwurf zum Digital Services Act daran erinnert, dass DNS-Dienste bereits heute vom Haftungsausschluss profitieren.

Einen Haken hatte die Novelle des Telemediengesetzes, mit der die Störerhaftung 2017 abgeschafft wurde. Unter Umständen können Internetzugangsanbieter dennoch zu Netzsperren verpflichtet werden, auch wenn sie von Abmahnkosten und anderen Risiken der Störerhaftung befreit sind. Das kommt jedoch nur infrage, wenn eine Urheberrechtsverletzung auf keinem anderen Wege abgestellt werden konnte und die Sperrung zumutbar und verhältnismäßig ist. So ist es auch zu erklären, dass deutsche Internetprovider sich "freiwillig" an der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) beteiligen, in der Unterhaltungsindustrie und Provider sich außergerichtlich auf Netzsperren einigen. Die Provider sparen dadurch gerichtliche Auseinandersetzungen, zum Leidwesen ihrer Nutzer:innen, deren Grundrechte nicht mehr von einem Gericht abgewogen werden können, ehe eine Netzsperre in Kraft tritt. Die Anforderungen an den Grundrechtsschutz, die das Gesetz und die höchsten Gerichte bei Netzsperren durch Internetzugangsanbieter definiert haben, sind aber im Fall Quad9 nicht erfüllt.

Nach Vorstellung des Landgerichts Hamburg müsste es der Stiftung Quad9 ein Leichtes sein, neben Malware auch Urheberrechtsverletzungen zu filtern, sobald sie auf diese hingewiesen wurde. Tatsächlich ist diese Verpflichtung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Die Sperrung von DNS-Abfragen aus Deutschland, wie das Landgericht Hamburg sie verlangt, ist bei dem global verfügbaren Dienst technisch überhaupt nicht vorgesehen. Möglicherweise hoffte Sony darauf, Quad9 würde die Sperrung in vorauseilendem Gehorsam einfach weltweit umsetzen. Eine solche globale Netzsperre hat das Gericht aber weder verlangt, noch wäre sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar. Andernfalls könnten Gerichtsentscheidungen aus autokratischen Staaten, die beispielsweise bestimmte politische Äußerungen unter Strafe stellen, zur weltweiten Sperrung dieser Inhalte führen.

Um der einstweiligen Verfügung zu entsprechen, musste Quad9 also unter großem finanziellem Aufwand sein System umbauen. Darunter leidet auch die Schnelligkeit des DNS-Dienstes in Deutschland. Der Aufwand würde noch erheblich steigen, wenn weitere Sperrforderungen hinzukommen. Bei der Domain, um die sich das Gerichtsverfahren dreht, handelt es sich um eine der Webseiten, die durch die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) von deutschen Internetzugangsanbietern gefiltert wird. Sony Music ist Mitglied des Bundesverbands Musikindustrie, eines der CUII-Verbände. Eine Informationsfreiheitsanfrage der Gesellschaft für Freiheitsrechte beim Bundeskartellamt ergab, dass die CUII bereits die Sperrung von 170 Webseiten plant. Hat die einstweilige Verfügung Bestand, könnte also eine so große Zahl von Sperrforderungen aus Deutschland auf Quad9 zukommen, dass sie ihren Dienst für deutsche Nutzer:innen künftig einstellen müssten.

Die Gefahr des Overblocking bei DNS-Sperren ist erheblich. Diese führen dazu, dass eine ganze Domain nicht mehr erreichbar ist. Deshalb hat der Bundesgerichtshof geurteilt, dass nur Webseiten, die fast ausschließlich aus Rechtsverletzungen bestehen, gesperrt werden dürfen. Im vorliegenden Fall war Quad9 eine Prüfung des Anspruchs von Sony allein deshalb schon unmöglich, da Sonys Schreiben Quad9 gar nicht erreichten. Ob jegliche Sperraufforderungen von beliebigen Unternehmen aus aller Welt sich jeweils ausschließlich auf illegale Inhalte beziehen, vermag Quad9 als nichtkommerzielle, gemeinnützige Stiftung aber auch sonst nicht zu beurteilen. Andernfalls müsste sie juristische Expertise zu allen Rechtsordnungen der Welt heranziehen. Der Bundesgerichtshof hatte in einem ähnlichen Fall in Bezug auf die DENIC geurteilt, dass diese nicht zur eigenständigen Prüfung etwaiger Rechtsverletzungen auf Webseiten verpflichtet werden dürfe, da diese "ohne Gewinnerzielungsabsicht handelt und ihre Aufgabe im Interesse sämtlicher Internetnutzer und damit zugleich im öffentlichen Interesse wahrnimmt", dasselbe dürfte für Quad9 gelten.

Der Europäische Gerichtshof hat Netzsperren unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes nur dann für zulässig erklärt, wenn unter anderem die betroffenen Nutzer:innen effektive Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung haben, um sich gegen eine etwaige Sperrung legaler Inhalte zu wehren. Laut Bundesgerichtshof können Kund:innen von Internetzugangsanbietern diesen Rechtsschutz auf vertraglichem Wege geltend machen, indem sie bei Overblocking ihren Provider wegen Vertragsverletzung verklagen. Das wird bei einem DNS-Resolver wie Quad9 nicht möglich sein. Schließlich handelt es sich dabei um einen frei verfügbaren Dienst, den jede:r ohne Anmeldung oder Anerkennung von Geschäftsbedingungen verwenden kann. Nötig ist dazu nur der Eintrag 9.9.9.9 als DNS-Resolver in den Systemeinstellungen des eigenen Computers. Unter diesen Umständen sind die Schutzvorkehrungen für die Grundrechte, die der Europäische Gerichtshof für Netzsperren verlangt, nicht erfüllbar. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte wird Quad9 sich also dafür einsetzen, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben wird.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

(tiw)