"Mutter Natur" zu Besuch bei Apple: Die Drecksarbeit machen die anderen

Der reichste Konzern des Planeten will bis 2030 CO₂-neutral werden. Wir haben ein paar Vorschläge, die in Apples Präsentation mit "Mutter Natur" fehlten.

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Octavia Spencer als Mutter Natur in einem Werbeclip von Apple.

(Bild: Apple)

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Lesezeit: 7 Min.

Zur Präsentation des iPhone 15 am Dienstag betonte Apple, wie sehr es doch an die Umwelt denke. Bis 2030 wolle das Unternehmen die CO₂-Bilanz auf Null reduzieren – netto, versteht sich. Um die Bemühungen zu verdeutlichen, zeigte der Konzern einen Werbeclip, in dem die US-Schauspielerin Octavia Spencer als "Mutter Natur" in der Apple-Zentrale auftaucht und Tim Cook und seine Crew zur Rede stellt.

Nachdem sie die Zahlen gehört hatte, besserte sich die Laune der anfangs genervten Spencer und sie zog von dannen, ohne dass es zu einem Gewitter gekommen wäre – das aber tobte bei uns in Hannover draußen auf der Straße. Bis tief in die Nacht zuckten Blitze mit lautem Donner über den Himmel, als wäre die echte Mutter Natur sauer auf die Greenwashing-Taktik des wertvollsten Unternehmens der Welt (aktueller Marktwert 2,6 Billionen US-Dollar).

Wenn Apple betont, keine Lederarmbänder mehr zu verkaufen und die Verpackungen nicht mehr in Plastik einzuschweißen, dann will es damit vor allem das Gewissen seiner Kunden beruhigen. Die Botschaft lautet verkürzt: "Kauf eine neue Apple Watch und rette den Planeten". Das ist die gleiche Logik, mit der auch die Brauerei Krombacher ihre Kunden dazu animiert, Bier für den Regenwald zu saufen.

Ein Kommentar von Hartmut Gieselmann

Redakteur Hartmut Gieselmann, Jahrgang 1971, ist seit 2001 bei c't. Er leitet das Ressort Anwendungen, Datenschutz & Internet und bearbeitet unter anderem aktuelle Themen rund um die Bereiche Medizin-IT, Netzpolitik und Datenschutz.

Doch wie wir es auch drehen und wenden, jede neu produzierte Uhr, jedes neu produzierte Smartphone kostet Ressourcen und Energie. Und die sind auf der Erde nicht unendlich vorhanden.

Im Jahr 2015 hat Apple mit dem iPhone die Grenzen des Wachstums erreicht: Seitdem stagniert der jährliche Absatz bei etwa 230 Millionen bis 240 Millionen Stück. Je nach Ausstattung setzt die Produktion eines iPhone 14 laut Apple zwischen 61 und 124 Kilogramm CO₂ frei. Das iPhone 14 Pro Max – das SUV unter den Smartphones – verursacht demnach mit 124 kg CO₂ etwa dreimal so viel Emissionen wie ein iPhone SE (46 kg CO₂) und knapp viermal so viel wie ein Fairphone 4 (35 kg CO₂).

Da die iPhone-Verkaufszahlen stagnieren, Apple aber weiter auf Wachstum setzt (seit 2015 stieg der Umsatz um 69 Prozent auf knapp 400 Milliarden US-Dollar pro Jahr), müssen die Produkte teurer werden. Und die teureren Modelle verbrauchen eben mehr Ressourcen als die billigeren, beispielsweise Gehäuse aus Titan, einem extrem aufwändig zu produzierenden Metall, das das Gewicht des iPhone 15 gerade einmal um 19 Gramm senkt. Auf so revolutionäre grüne Ideen wie austauschbare Akkus in Smartphones kommen die Leute in Cupertino nicht von allein, sondern sie müssen von der EU per Gesetz dazu gezwungen werden.

Für den japanischen Philosophen Kohei Saito, der mit seinem Buch "Systemsturz" gerade die Bestsellerlisten stürmt, ist der Grundwiderspruch zwischen Umweltschutz und der dafür notwendigen Ressourcenschonung mit dem Wachstumsimperativ des Kapitalismus nicht vereinbar. Nun ist Saito kein Freund von Konsumverzicht: Das Klima ließe sich nicht dadurch retten, dass alle nur noch Fairphones oder kleinere iPhones kaufen. Vielmehr plädiert Saito dafür, sich nicht mehr generell auf unbedingtes Wirtschaftswachstum zu konzentrieren.

Staaten sollten sich ein Beispiel an Bhutan nehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Bruttonationalglück zu maximieren, statt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu steigern. Was für Staaten funktioniert, könnte vielleicht auch für Unternehmen wie Apple funktionieren: Deren Jahresumsatz konkurriert schließlich mit dem BIP von Ländern wie Dänemark oder Singapur. Statt die Produktion und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch anzukurbeln, um Umsatz und Gewinn zu steigern, könnte sich Apple zum Beispiel darauf konzentrieren, das Bruttowohlbefinden seiner Mitarbeiter zu maximieren. Und zwar auch das der Niedriglöhner in den zahllosen Zulieferbetrieben, die für Apple arbeiten.

Geld wäre genug da: Würde Tim Cook die knapp 100 Milliarden Jahresgewinn gleichmäßig an seine 165.000 Mitarbeiter verteilen, bekäme jeder einen Bonus von über 600.000 US-Dollar. Damit läge er jenseits selbst großzügigster Schätzungen, nach denen ab einem bestimmten Einkommen das Glück nicht mit noch mehr Geld steigt. Der Zwang zu weiterem Wachstum wäre gebrochen und Mutter Natur – die echte – könnte sich wieder entspannen.

Auch wenn Apple in seinem Umweltbericht eine grüne Weste vorgaukelt, funktioniert das nur, wenn sie die Ökobilanzen der Zulieferer aus der Statistik herausrechnen. Externalisierung nennt Saito solche verbreiteten Bilanztricks. Zwar wirbt Apple damit: "Mehr als 300 Zulieferer, die mehr als 90 Prozent unserer direkten Produktionsausgaben ausmachen, haben sich verpflichtet, bis 2030 100 Prozent erneuerbare Energie für die Produktion von Apple Produkten zu verwenden." Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man bedenkt, dass Apple nach eigenen Angaben allein in Europa über 4000 Zulieferer hat. Für Asien und die USA konnte ich keine konkreten Zahlen finden, sie dürften aber in einer ähnlichen Größenordnung liegen.

Von wegen Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung: Seit Mitte der 60er Jahre hat sich der CO2-Ausstoß der Werkbank der Welt mehr als verzwanzigfacht.

(Bild: Statista)

Die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und CO₂-Bilanz funktioniert nur, wenn die Drecksarbeit woanders gemacht wird. Im Weltmaßstab ist das derzeit vor allem China. Dort sind die CO₂-Emissionen seit 1965 von 0,5 Milliarden auf fast 11 Milliarden Tonnen pro Jahr gestiegen. Zwar können die westlichen Industrienationen jetzt mit dem Finger auf das Reich der Mitte zeigen, aber dort lassen sie eben ihre Autos, Smartphones und Elektronikkomponenten zusammenbauen.

Doch Mutter Natur lässt sich nicht mit geschönten Ökobilanzen abspeisen. Wenn es also das nächste Mal bei einer allzu lauten Werbelüge am Himmel blitzt und donnert, wissen Sie, warum.

Nachtrag 14. September 2023, 18:50 Uhr: Apple hat sich bei uns gemeldet. Eine Sprecherin wies daraufhin, das bei der Berechnung des Produktfußabdrucks auf Seite 11 des Umweltberichts sehr wohl die Emissionen der Zulieferer mit einfließen würden. Apple widerspricht auf derselben Seite auch der Feststellung Saitos und betont, dass unternehmerisches Wachstum sich durchaus von Emissionen entkoppeln ließe.

Nach Durchsicht des Berichts haben wir weiterhin Zweifel und Apple einen umfangreichen Fragenkatalog geschickt. So ist uns unklar, wie Apple den Rückgang seiner Scope-3-Emissionen berechnet. Die Zahlen passen nicht zu den CO2-Zahlen der iPhone- und iPad-Modelle auf Seite 79 des Berichts, die bei größeren und leistungsfähigeren Modellen deutlich gestiegen sind. Auf Seite 97 listet Apple 250 Zulieferer auf, die sich bis 2030 zu "100 % clean electricity" bekannt hätten. Einer der größten uns bekannten Zulieferer Foxconn ist dort unter dem Namen Hon Hai Precision Industry genannt. Dessen Strombedarf ist laut des Umweltberichts von 2020 bis 2022 um 17 Prozent gestiegen (Seite 82), während der Anteil erneuerbarer Energien im selben Zeitraum von 12,5 auf 8,3 Prozent sank (Seite 83).

Es bleibt unklar, welche weiteren Apple-Zulieferer sich bislang nicht zu "clean electricity" bekannt haben und welchen Anteil Strom und fossile Brennstoffe in ihrem Energiemix derzeit haben. Ebenso haben wir gefragt, wann Apple die neue EU-Vorgabe nach wechselbaren Akkus umzusetzen gedenkt. Wir werden das Thema weiter verfolgen.

(hag)