Kommentar: Benzin im Ohr? Adieu, ihr lieben Achtzylinder

Akustische Geschmacksverstärker sind kein guter Stil, setzen sich aber durch. Zeit, sich vom Verbrenner zu verabschieden, kommentiert Detlef Grell.

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Auspuffanlage

Vom Pröööööh zum Roarrrrrr

(Bild: BMW)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Grell
Inhaltsverzeichnis

"Spätestens ab 5000/min füllt stilreine Rennwagen-Akustik den Innenraum, die Insassen fühlen sich quasi direkt ins Saugrohr versetzt – ein Ohrenschmaus." Dieses wundervolle Zitat findet sich in der Zeitschrift Auto Motor und Sport 23/23 über den V8 des Ferrari 308 GTBi QV, als der vor 40 Jahren den Porsche 911 Carrera zum Duell forderte. Ich gehöre auch zu den Ewiggestrigen, die sich einen V8 immer noch lieber anhören als einen Diesel-R6 oder gar das leise Pfeifen eines Stromers. Soll heißen, so ein bisschen Benzin im Blut mag ich nicht leugnen. Aber bisher hat das Benzin noch nicht die Blut-Hirn-Schranke übersprungen. Krawall auf der Rennstrecke ist cool und nach ein, zwei Stunden Geschichte. Bei einem Ausflug auf den Nürburgring zur Formel 1 war ich letztlich sehr dankbar für Ohrstöpsel.

Einen Winter lang durfte ich als Leihgabe aus der Familie einen BMW 320i fahren, den mit dem kleinen Sechszylinder. Zuvor fuhr ich einen 90-PS-Golf. Als erstes bin ich in die Werkstatt gefahren und habe darum gebeten, den Auspuff zu reparieren. Dieses Auto röhrte unentwegt mit einem nervtötenden "Prööööh". Der Meister belehrte mich etwas angesäuert, das sei der normale Sound des kleinen Reihen-Sechsers. Hm. Mittelklasse? Ich fragte mich, wie man damit ohne nervliche Zermürbung von Hannover etwa nach München fahren soll.

Dann bekam ich Gelegenheit, einen Mercedes GLC 43 AMG zu fahren. 367 PS, das versprach doch souveränes Fahren, bei so einem famosen Leistungsgewicht. Doch der Motor drehte nie unter 3000/min und machte vor allem "pröööööh". Dabei war er noch nicht mal die erwartete Rakete. Eigentlich war er nur im noch lahmeren Öko-Modus erträglich. Der Sport-Plus-Modus schließlich war die Krönung. Nicht wegen der künstlichen Fehlzündungen und dem Zwischengas, das sich die Automatik beim Runterschalten gönnte. Denn viel peinlicher war Halt an der roten Ampel, wo der Wagen noch zweimal eigenständig "eommm, eommm" machte. Ja, genauso wie wir früher als 14-Jährige, wenn wir uns heimlich das Mofa vom großen Bruder ausgeborgt haben. Wie viele Pubertäten kann ein Mensch denn so bekommen? Zählt die Midlife Crisis dazu? Ich erinnerte mich vage an den Ausspruch eines AMG-Chefs, der gern erklärte, er arbeite bei einem großen deutschen Spielzeughersteller. Ja, dachte ich, da ist was dran.

Dann hab ich mich in einen Porsche Panamera Kombi verguckt. Der heißt offiziell Sport Turismo, ich weiß. Für mich nicht nur der schönste Kombi weltweit, sondern eines der schönsten Autos überhaupt. Ich musste natürlich gleich den GTS mit 480 PS und V8 ausprobieren. Ich war erschüttert. Ich kannte den fast identisch motorisierten Mercedes S560, ein geschmeidig Kraft entfaltendes Gerät, dezenter fast als ein Stromer. Was aber beschert mir der GTS? Krawall und Radau. Hallo, Tinnitus, willst du noch eins drauf haben? Haben dir Henry Rollins Band und Rammstein nicht gereicht? Kuriosität am Rande: Als ich vor der Porsche-Niederlassung mit meiner Frau telefoniert habe, ließ jemand in zehn Metern Abstand seinen Lambo an. Da ist dann nichts mehr mit Telefonieren. Man könnte sogar sagen: "Mann, watt iis so'n Porsche doch eijentlich dezent."

Danach hab ich auf Anraten die zahme PHEV-Version Panamera 4S[ ]E-Hybrid (Test) ausprobiert. Ah, welch eine Wohltat. Doch als die Garagen-Anprobe anstand, war die Batterie gerade leer. Motorstart in der Garage. Meine Empfehlung: Am besten morgens um fünf. Da gehen dann überall die Fenster auf, es wird Applaus geklatscht und gejohlt, die Daumen werden hochgereckt und Blumensträuße fliegen auf die Straße – oder waren es Blumentöpfe? Die Familienvorständin jedenfalls zeigte mir schlicht kopfschüttelnd einen Vogel. Dabei haben wir inzwischen Strom in der Garage und ich könnte das Schlimmste verhindern. Es gibt von Mercedes-AMG übrigens ein Panamera-Pendant in Gestalt des Mercedes-AMG GT Viertürer-Coupé. Hier avisierte man mir den 53er als den unkrawalligsten - nicht wirklich eine Verbesserung in der gewünschten Richtung.

Dann entdeckte ich, dass Porsche eine eigene Abteilung für Sonderwünsche unterhält. Also fragte ich freundlich per Mail an, ob sie wohl eine Silent-Edition vom V8-Panamera herrichten können. Vielleicht mit einem anderen Auspuff. Auf ein paar verlorene PS sollte es mir nicht ankommen. Sonntag gemailt, Montagmorgen schon die Antwort. Überraschend sachlich, viel zu teure Homologation und so. Ganz ehrlich: Ich hatte mehr so mit "Sie haben den Kern eines Porsche nicht begriffen" gerechnet. Chapeau für die Contenance, lieber Support. Ein Freund machte mir dann klar: "Detlef, du bist kein Porschefahrer!" Folglich schaute ich mich mal generell nach Fahrzeugen mit V8-Motor um. Jaguar? Lexus? Mustang? Audi? BMW? Maserati? Bei den Limousinen landet man generell im Racing-Segment. V8-Fans, die ihre Ohren liebhaben, finden gerade mal noch eine S- oder GLS-Klasse oder deren Traktor-Pendants wie G-Klasse. Wer aus Autos mit gefühlt zwei Meter langen Türen in seiner Garage aussteigen kann, vermag sich möglicherweise mit einem Bentley Continental anzufreunden.

Kraftvoller, kerniger Sound ist toll, wenn man ihm nicht länger als ein paar Minuten ausgesetzt ist. Das gilt übrigens auch für Motorräder. Der Harley-Besitzer in unserer Siedlung schleicht nur noch im Leerlauf in seine Garage. Dabei muss sich der Sound nicht verstecken – er übertönt locker jeden AMG mit abgesägtem Auspuff. Genau, es ist ihm eigentlich super peinlich. Wie cool kann das doch eine Honda Gold Wing (Test). Fazit: Adieu also, ihr lieben Achtzylinder. Da muss es dann beim nächsten Mal wohl doch was mit Batterie werden. Auch eine Art, den Käufer zu manipulieren. Ein bisschen weniger akustische Umweltverschmutzung aber ist ja auch kein Schaden.

(fpi)