Kommentar: Großer Tag für Cyberkriminelle?

Abschreckende Wirkung ging von dem Arbeitstreffen der Cybercrime-Experten aus den G8-Staaten nicht aus; und kein Wort verloren sie zur Balance zwischen Verbrechensbekämpfung und Schutz von Bürgerrechten im Cyberspace.

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Von
  • Richard Sietmann

Abschreckende Wirkung ging von dem dreitägigen Arbeitstreffen von Experten zu Fragen der Hightech- und Internetkriminalität aus den G8-Staaten in Berlin nicht aus. Den großen Worten zu Beginn folgte Nichtssagendes zum Schluss.

Zur Eröffnung erwartete Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin von den rund hundert in Berlin zusammengekommenen Vertretern aus Politik und Wirtschaft, "durch weitere klare Absprachen sicherzustellen, dass, was offline verboten ist, auch online verboten ist und verfolgt wird". Bundesinnenminister Schily hieb in die gleiche Kerbe: "Geschützte Rechtsgüter, allgemein anerkannte Werte und kulturelle Standards dürfen in einer immer mehr vernetzten Welt nicht aufgegeben werden." Außenminister Joseph Fischer setzte einen gewissen Kontrapunkt und warnte vor Überregulierung: "Der gläserne Mensch, die Verwandlung des Netzes in ein globales Polizeiregime, kann nicht unsere Zukunftsvision sein."

Die sieben führenden Industriestaaten und Russland arbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen bereits seit 1997 an Rezepten zur Bekämpfung der Cyberkriminalität. Der G8-Dialog von Politik und Wirtschaft zur Sicherheit und Vertrauensbildung im Cyberspace war von einer G8-Expertenrunde zur Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität, der so genannten Lyon-Gruppe, ins Leben gerufen worden und gilt als eine Art "Weltgipfel gegen die Kriminalität im Internet". Erklärte Ziele sind die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Regierungsstellen, Strafverfolgern und der privaten Wirtschaft in allen sicherheitsrelevanten Fragen; des Weiteren der Schutz von E-Commerce und informationstechnischen Infrastrukturen durch Bedrohungsanalysen und vorbeugende Maßnahmen; sowie die Verbesserung der Fahndungsmethoden in den Kommunikationsnetzen.

Klärungsbedarf auf internationaler Ebene gibt es sicherlich genug, so etwa:

  • Die Zulässigkeit verdeckter Ermittlungen oder der Rasterfahndung auf Verdacht im Netz;
  • die Regelung von Aufbewahrungsfristen und des Zugriffs von Strafverfolgern auf Verkehrsdaten von Netzbetreibern oder ISPs;
  • die zwischenstaatliche Rechtshilfe, wenn von dem sicheren Hafen eines Landes aus gegen die Gesetze eines anderen verstoßen wird,
  • die Hinterlegung von Kryptografie-Zweitschlüsseln,
  • die Toleranzgrenzen gegenüber der Verbreitung von Hackerprogrammen,

um nur einige der kritischen Punkte zu nennen.

Nichts davon in dem Kommuniqué zum Ende der Veranstaltung. Stattdessen rückten zur Abschlusspressekonferenz 23 Leute auf dem Podium an. Schiere Masse überdeckte, dass in der Substanz nichts anzubieten war.

Quintessenz nach drei Tagen: Der Gastgeber in Gestalt von Staatssekretär Wolfgang Ischinger aus dem Auswärtigen Amt befand, "die Veranstaltung hat sich nicht nur gelohnt, sondern war ein voller Erfolg". Doch konkrete Ergebnisse oder auch nur ein Bild davon, wo die Kontroversen der Diskussion verlaufen, konnte er ebenso wie die anderen Podiumsteilnehmer nicht präsentieren. Unklar blieb auch, inwieweit das Berliner Treffen Fortschritte gegenüber dem Vorangegangenen im Mai in Paris brachte. Nur so viel wusste Ischinger zu vermelden: "Die Notwendigkeit, das Gespräch zu vertiefen, ist sehr deutlich geworden." Die Gelegenheit dazu bietet sich auf dem nächsten Treffen der G8-Experten in Japan.

So lieben wir die Demokratie: Da geht es um eine höchst delikate Balance zwischen der notwendigen Kriminalitätsbekämpfung und der ebenso notwendigen Wahrung von Bürgerrechten im Cyberspace, aber dem Abschlusskommuniqué ist kein Satz darüber zu entnehmen, wo diese Balance liegen könnte. Worum es wirklich geht, erfährt die Öffentlichkeit erst, wenn die Weichen hinter den Kulissen längst gestellt sind. (Richard Sietmann) (jk)