Ruhiger Herbst, wenig Neues - was ist faul bei Apple?

So wenige Events und neue Produkte gab es bei Apple in einem Herbst lange nicht mehr. Woran das liegen könnte und wie es weitergeht. Eine Analyse.

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(Bild: Mark_KA/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
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Der November hat begonnen, nur noch wenige Wochen trennen uns vom Jahresende – und allmählich dürfte es selbst den letzten Optimisten unter den Apple-Fans dämmern: Auch in Cupertino unter der ganzjährig wärmenden Sonne Kaliforniens wachsen die Bäume im schwierigen globalen Umfeld augenscheinlich nicht endlos in den Himmel. Die Apfelernte des Jahres 2022, also die Anzahl der neu vorgestellten Produkte, kann nicht an die üppigen Vorjahre anknüpfen. Und selbst das, was gezeigt wurde, entspricht nicht immer den hochgesteckten Erwartungen. Woran liegt das?

Ein Kommentar von Malte Kirchner

Malte Kirchner ist seit 2022 Redakteur bei heise online. Neben der Technik selbst beschäftigt ihn die Frage, wie diese die Gesellschaft verändert. Sein besonderes Augenmerk gilt Neuigkeiten aus dem Hause Apple. Daneben befasst er sich mit Entwicklung und Podcasten.

Einige werden jetzt reflexhaft sofort die Schublade öffnen und die schon den in den vergangenen zehn Jahren oft Lügen gestraften Erklärungsmuster bemühen: Apple ist nicht mehr kreativ genug, Apple ist zu groß geworden, bei Apple ist die Luft raus – und so weiter.

Gewiss, natürlich ist auch ein Unternehmen wie Apple nicht davor gefeit, dass die Rezeptur des Erfolgs irgendwann überholt ist. Dass die iPads im Oktober mit Ausnahme des Basis-iPads so wenig Neues brachten, weshalb Apple sie per Pressemitteilung ankündigte, und der November in Sachen Macs wahrscheinlich sogar komplett leer ausgeht, ist aber kein Grund, Apple gleich abzuschreiben.

Eher liegt der Verdacht nahe, dass die Corona-Lockdowns der Jahre 2020 und 2021 nun mit zeitlichem Verzug doch Auswirkungen auf Apples Produktstrategie zeigen. Wer sich wunderte, dass Apple in den beiden Jahren so zuverlässig und nahezu unbeeindruckt ablieferte, verkennt, dass die iPhones, iPads und Macs zu diesem Zeitpunkt schon lange das Reißbrett verlassen hatten. Ungemach drohte und ereilte Apple lediglich in der Produktion in Fernost, wo zeitweise Fabrikschließungen kräftig am Rad der Lieferzeiten drehten.

Das, was in den beiden Haupt-Corona-Jahren an Produkten in Cupertino neu erdacht wurde, erreicht uns hingegen erst jetzt allmählich. Die Lockdowns wirbelten die Präsenzkultur der Kalifornier durcheinander, zwangen die Beschäftigten in das von den Chefs ungeliebte Homeoffice und trafen das Unternehmen unvorbereitet, weil Apple nie vorhatte, so stark in die Remote-Arbeit zu gehen. Auch die Reisebeschränkungen, sodass das Operations-Team nicht wie gewohnt die Fertigungsstätten in China aufsuchen konnte, leisteten ihren Beitrag. Es wäre schon ein Wunder gewesen, wenn wir als Konsumenten überhaupt nichts davon zu spüren bekommen hätten.

Bei Apple selbst gilt der alte Grundsatz: We don't talk about future products – wir sprechen nicht über künftige Produkte. Und wenn Corona den Zeitplan durcheinander gewirbelt hat, werden aus eigentlich vorgesehenen Geräten halt Zukunftsprodukte – also kein Thema.

Doch für die Konsumenten, von denen einige jetzt unsicher sind, wie sie ihre Kaufentscheidungen treffen sollen, ist dieser ungewöhnliche Apple-Herbst schon sehr wohl ein Thema, das Fragen für sie aufwirft.

Mit Blick auf die vergangenen Produktvorstellungen kristallisiert sich immer mehr heraus, was in amerikanischer Bloggerkreisen als ausgemachte Sache gilt: Apple musste in den schwierigen Zeiten offenbar Prioritäten setzen. Der größte Umsatzbringer, das iPhone, hat dabei den Vorzug erhalten. Am iPhone 14 Pro ist deshalb der Corona-Effekt nicht abzulesen. Und die Strategie, die Schere zum iPhone 14 weiter zu öffnen, ist sicher nicht der Not geschuldet, sondern wäre auch in anderen Zeiten so umgesetzt worden.

Anders das iPad: Die wenigen Neuheiten beim iPad Pro mit M2 lassen sich am besten dadurch erklären, dass Apple hier die Handbremse angezogen hat. Dies mag den ohnehin angespannten iPad-Umsatzzahlen weiter zusetzen, doch Apples größte Herausforderung in diesem Bereich ist hier nicht der Wettbewerb, sondern die längeren Intervalle, in denen Nutzer sich ein neues Tablet gönnen.

Bei den Macs greift der Erklärungsversuch mit Corona hingegen nicht so leicht. Eigentlich schien es vielen lange sogar undenkbar, dass Apple im Herbst überhaupt schon den M2 Pro und den M2 Max in neuen MacBook Pro-Modellen präsentieren könnte. Schließlich sind der M1 Pro und der M1 Max zusammen mit den 14 und 16 Zoll großen MacBook Pros erst im Oktober 2021 vorgestellt worden. Zwischen dem M1, präsentiert im November 2020, und dem M2, erhältlich seit Juli 2022, vergingen immerhin auch eineinhalb Jahre – warum sollte Apple diese Zeitspanne jetzt unterschreiten?

Ein weiterer Punkt ist, dass die leistungsfähigeren M2-Chips angeblich in Drei-Nanometer-Bauweise hergestellt werden sollen. Die liefert der Zulieferer TSMC aber erst im Jahr 2023. Folgt Apple dem Erscheinungsrhythmus des M2, wäre das nicht einmal ein Aufschub.

Der "Elephant in the room" ist lediglich der Mac Pro. Es ist selten genug für Apple, Produkte sehr weit im Voraus zeitlich einzugrenzen. Der Übergang von Intel-Prozessoren zum eigenen Apple Silicon wurde hingegen mit einer Deadline bedacht: Binnen zwei Jahren sollte das geschehen – Ende 2022 müsste Apple folglich fertig sein. Und der Mac Pro wurde schließlich sogar im März dieses Jahres bei der Vorstellung des Mac Studio erwähnt.

Vielleicht war aber die Botschaft nicht, dass der Mac Pro zeitnah kommt – sondern dass noch Geduld erforderlich ist und diejenigen, die auf ihn warten, nicht verzagen sollten. Auch wenn der leistungsfähigste Mac allein schon preislich weit jenseits jeder Consumer-Dimension unterwegs ist, wird es spannend zu sehen, wie Apple ihn vom Mac Studio abhebt. Steckt darin ein noch extremerer Chip als der M1 Ultra? Oder bekommen die Käufer als Gegenwert zumindest ein wenig mehr Modularität?

Daran, dass Apple sich erklärtermaßen auf eine Durststrecke bei den Mac-Umsätzen einstellt – und das ausgerechnet im wichtigen Feiertagsquartal –, wird der Pro nichts ändern. Selbst dann nicht, wenn Apple ihn vielleicht doch noch in einem kleinen Kreis in diesem Jahr überraschend vorstellen sollte.

Die ersten Quartalszahlen des Jahres 2023 dürften zweifellos spannend werden. Apple hat die Pandemie bislang abgeschüttelt. Ganz im Gegenteil sorgten Homeoffice und Homeschooling mit dem Bedarf an weiteren Geräten sogar noch für kräftige Zuwächse. Allein die Hürden in der Fertigung konnten das Wachstum bremsen. Im neuen Jahr könnte sich nun erstmals Ernüchterung einstellen.

Aber auch hier gilt: Vorsicht mit allzu kühnen Vorhersagen, dass dem Unternehmen die Puste ausgeht. Wenn sich die Gerüchte bewahrheiten und Apple im neuen Jahr neben den gewohnten Produkten ein Produkte-Feuerwerk aus Mixed-Reality-Headset, M2 Pro, M2 Max und gar einem neuen, größeren iMac abfeuert, dürfte die Durststrecke schnell vergessen sein.

(mki)