4W

Was war. Was wird.

Feiert die Tage, wie sie fallen? Ach was, Geschichtsvergessenheit und Begriffsstutzigkeit scheint sofort erlaubt zu sein, sobald die Rede vom "Kampf gegen den Terror" geht, befürchtet Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 97 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Mensch ist das einzige Tier, das permanent mit sich im Widerspruch lebt. Aufrecht gehen ist ja schön und gut, aber dieser Fortschritt ist eigentlich ein ständiger Kampf gegen das Hinfallen. So sieht es heute aus: Ausgerechnet am Welt-Hypertonietag (der laut gut unterrichteten Kreisen nun doch nichts mit dem direkt darauf folgenden Muttertag zu tun haben soll, auch wenn diese geschichtsvergessene Gefühlsduselei einer interessierten Branche den Blutdruck schwer nach oben treiben kann) eine Pressemeldung zur Fußball-WM zu bearbeiten, die Deutschland an den Rand der Diktatur bringt, macht Stress. Fußball, Fußball, Fußball. Da möchte man lieber gegen Tittlinger Feinkorn-Granit treten, auch wenn das die Haxn zum Knackn bringt. "Wir sind Fußball", steht auf dem Bus der deutschen Nationalmannschaft, ein später Sieg von Du bist Deutschland. Wir sind feinkorngranitener Fußball, gegen den ein Slogan wie "Liberte, Egalite, Jules Rimet" seltsam wirkt.

*** Vor allem aber sind wir sind wir etwas blöd und begriffsstutzig, wenn wir im geplanten Weißbuch die These vom Flugzeug wiederlesen können, das Kurs auf ein Stadion hält, damit endlich der von allen Übeln uns erlösende Verteidigungsfall ausgerufen werden kann. Die Dauerdiskussion zur Fußball-WM ist im Umkreis von 60 nautischen Luftmeilen über der BRD wieder ausgebrochen. War da nicht ein Urteil des Verfassungsgerichtes? Eine Überlegung der "Väter" des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der Weimarer Republik, wo die Armee im Innern zum Einsatz kam? Nun ist das Weißbuch ein Regierungsdokument, über welches das Parlament nicht diskutieren kann. Das als Leitlinie hingenommen werden muss wie die Anweisung, dass ein Soldat ab einer Wassertiefe von 1,50 Meter nahtlos vom Marschieren zum Schwimmen übergehen muss. Sollte die Neudefinition des Verteidigungsfalles wie die ebenfalls angemahnte Verpflichtung der Bundeswehr, die Rohstoffversorgung zu sichern, tatsächlich in diesem Weißbuch auftauchen, erleben wir den Untergang der SPD. Wie inspirierend die Rohstoffsicherung sein kann, erlebt die Allianz der Richtigen im Irak.

*** Natürlich ist es möglich, dass die "Modernisierung" des Weißbuchs auf Zustimmung stößt, während eine Änderung des Grundgesetzes aufgrund der notwendigen Zweidrittelmehrheit nicht zu machen ist. Mit Terror begründete Maßnahmen laufen gut, wie dieser Tage aus den USA zu hören ist, wo die Überwachung der NSA größere Ausmaße hat, als bisher bekannt war. Eine schnell durchgeführte Befragung ergab, dass 63 Prozent aller US-Amerikaner Überwachungsmaßnahmen akzeptabel finden, so sie dem Kampf gegen den Terror dienen. Ob die Befragung repräsentativ war oder mehr von der Art eines bekannten Revolverblattes, ist schwer zu beurteilen. Stimmen die Zahlen, so dürfte in den USA Politik 2.0 anstehen, komplett mit einem singenden Ashcroft, ein nimmer endender Kampf gegen den Terror.

*** Singen, das war schon immer eine terroristische Handlung. Es ist gerade einen Monat her, dass ein Engländer aus einem Flugzeug geholt wurde, weil er "London Calling" von den Clash im Taxi gesungen hatte. Verdächtig genug, für jemanden, der nach London fliegen will. Vielleicht hat es sich nur ähnlich angehört wie diese Version des Liedes, dargeboten von Reinhard Mey 2.0 auf dem Kongress zum tollen Web 2.0. Ja, ein Song mit 4 Akkorden, der mehr Einfluss auf die Menschen hatte als 1000 Powerpoint-Präsentationen; so ein Singsang zeigt, dass Blogger eigentlich nur Blogger unterhalten wollen, es sei denn, sie sind indiskrete Journalisten. So gesehen ist die Feststellung, dass Web 2.0 mit seinen Flickr-Voyeuren, seinen Maps und Plazes inzwischen auch in der Kunst angekommen ist. Das freut den Blogger und der Laie lacht sich scheckig.

*** Als Journalist lebe ich vom Schreiben, daher mag ich Werbung, denn mit ihr werden einige Artikel finanzierbar, die sonst nie im Web oder auf totem Holz erschienen wären. Nun kommt es nach und nach ans Tageslicht, wie auch die Artikel zwischendrin einfach gekauft sind, weil Europa nun mal eine gute Sache ist. Doch es kommt noch schlimmer: Es gibt gekaufte Journalistenspitzel, die dem Auslandsgeheimdienst BND Details über die Arbeit ihrer deutschen Kollegen verraten, um Abflüsse zu klären. Besonders schön dabei die Verquickung des ehemaligen Geheimdienstkoordinators, der jetzt als Parlamentarier in der Kontrollkommission sitzt. Die vierte Macht entpuppt sich wieder einmal als verführte Macht, und das Gerede von den journalistischen Tugenden hört sich an wie das von der Ludenehre. Die beste Konsequenz wäre, den BND aufzulösen, statt nach Berlin ziehen zu lassen, doch seien wir realistisch und fordern gleich das Unmögliche: Ein verbesserter Informantenschutz muss her, wenn Journalisten Journalisten verpfeifen. Und jeder, der seine Arbeit ernst nimmt, sollte sie verschlüsseln und das bitteschön richtig. Wo bleiben eigentlich die tollen Web-2.0-Programmierer mit Tools, die GMail-, Yahoo- und GMX etc. pp-Postfächer so verschlüsseln, dass diese diensteifrigen Konzerne sie nicht bei der nächsten Guck&Horch-Schnüffelbrigade auf die Festplatten abkippt, wenn diese nur mit dem Mausrädchen drohen? Verschlüsseln ist ein Bürgerrecht und eine neue Journalistenpflicht. Bald feiern wir den 30. Geburtstag der Public-Key-Kryptographie und haben sie nötiger als jemals zuvor: Das nennt man Fortschritt 2.0.

*** Boris Floricic hat einstmals in seiner Diplomarbeit den Schutz der Privatsphäre erwähnt, die auch beim Telefonieren in Gefahr ist. In seinem Gedenken soll sich nun der Europäische Gerichtshof mit seinem Namen und seinem Pseudonym befassen. Auch so kann man dafür sorgen, dass die Legende lebt. Vielleicht ist der Europa-Gedanke gar nicht so schlecht und ausbaufähig. Immerhin gibt es ja verschlüsselnde Handys, die vorzugsweise von Journalisten gekauft werden. Die Software stammt von Programmieren, die einst für den russischen Geheimdienst arbeiteten, die Hardware wird in Thailand gefertigt und das Ganze wird als Schweizer Wertarbeit verkauft: Die Welt ist böse, aber innovativ.

Was wird.

Das war wohl nichts mit dem Einarbeiten, nach und nach. Sven Prüser, der die IFA in Berlin so erfolgreich gemacht hat, ist nun Chef der CeBIT und soll die lahme Show mit "neuen Ideen zu neuen Ufern" führen. Hoffen wir mal, dass damit nicht der Maschsee gemeint ist, sondern mindestens das Steinhuder Meer, diese Perle der norddeutschen Tiefebene, auf der ich Segeln lernte. Für den alten CeBIT-Manager Schomburg hat es in der Pressemeldung noch nicht mal für ein Dankedanke gereicht, so verheerend ist offenbar die interne Bilanz der CeBIT ausgefallen. Die Argumentation mit Qualität statt Quantität klingt nur so lange überzeugend, bis das Wochenende da ist. Schomburg, seit der ersten CeBIT dabei, ist Vergangenheit. Nun kommt die neue CeBIT und hoffentlich heißt sie nicht "Digital Living bei CeBIT", wie die CeBIT für Arme in diesem Jahr. Wie wäre es mit CeBIT 2.0? Komplett mit Plazes, das den nächsten Dealer anzeigt, wenn der Nachbar Nachschub braucht. Und der ziemlich heruntergekommene Linuxtag muss auch geschluckt werden.

Bis zum bitteren Ende und weil der Ball ein Ball ist: Was mit Fußball begann, muss heute und in den nächsten Wochen (das ist eine Drohung) einfach mit Fußball enden. Denn Fußball ist eine Operette mit vielen Mitwirkenden, wie FIFA-Chef Blatter gerne erzählt. Da darf der Computer nicht fehlen. Schließlich hat die "Elite-Schmiede der deutschen Informatiker", das Hasso-Plattner-Institut, mit FootieFox ein hübsches Fußball-Tool für den Feuerfuchs entwickelt, komplett mit Torschrei und einer Anleitung, wie man den Browser wechselt. Weiter geht es im schönen Paderborn. Dort gibt es eine Podiumsdiskussion zur "Bedeutung sportlicher Großereignisse für Staat und Gesellschaft" mit den Experten Wolfgang Schäuble und Joseph Blatter. Sicher werden sie ein paar Tipps parat haben, wie man die Gesellschaft noch besser gängeln und entmündigen kann, zum Wohl des sicheren Staates. Bis die Nummer unserer Personalausweise nicht nur auf dem Display der Einlass-Systeme an den WM-Stadien auftaucht, sondern ebenso in Bus und Bahn, beim Einkaufen und beim Gang ins Freibad: Die Nominierungsphase für die Big Brother Awards wurde nebenan im schönen bundesligafreifen Bielefeld eröffnet. (Hal Faber) / (jk)