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Was war. Was wird.

Was sind schon 60 Jahre? Ein Nichts für die meisten Staaten, ein hoffentlich anhaltendes Wunder für Israel und ein Kuriosum für die Musik. Aber es gibt auch Jubiläen, bei denen man mittlerweile viele zwingen muss, sich zu erinnern, bedauert Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wenn wir hochmütig sind," hauchte Hannes Messemer und schwieg ein Viertel Ewigkeit, "so – werden – wir" (noch ein Stück Ewigkeit) "........ fallen." Untermalt von elektronischer Trautonium-Musik von Oska Sala hübsch avantgardistisch ausgebeult, bekam ich 1968 meine erste LP geschenkt, eine "unverkäufliche Musterplatte" mit den auf deutsch gesprochenen Gedichten von Mao Tse-tung. Eigentlich, und das ist meine wichtigste Erinnerung an 1968, bekam ich meinen ersten eigenen Plattenspieler, der für LPs geeignet war, ein Mono-System mit "Super-Stereo-Abtastkopf". Die Mao-LP mit den seltsamen Trautonium-Klängen und noch seltsameren Gedichten vom Langen Marsch war eine Dreingabe, als Bedienungsanleitung. Denn die Werbung für den siegreichen Weg der Kommunisten in China, donnernd gesprochen im Münchener Bürgerbräukeller, war auf der Rückseite überdruckt worden mit einer Art Blindtest, der ein Dutzendmal wiederholt wurde. Nein, nicht das bekannte Lorem ipsum dolor sit amet, sondern viel prosaischer:
"Tonabnehmer behutsam aufsetzen und abheben. Abtastspitze und Platten sorgfältig staubfrei halten. Platten senkrecht oder in geringer Stückzahl waagerecht auf glatter Fläche lagern. Einwirkung von Wärme vermeiden. Das Überspielen unserer Schallplatten sowie das Mitschneiden von Sendungen unserer Schallplatten auf Band oder Draht, auch zum privaten Gebrauch, ist verboten. Zur Vermeidung unerlaubter Überspielungen sind den Händlern Verleih, Vermietung und Auswahlsendungen untersagt."
So fortschrittlich war die LP, dass 1968 schon das "Mitschneiden auf Draht" verboten wurde, womit sicherlich die Drähte des Internet gemeint sind. Leider hat mich die LP-Zugabe zu meinem Plattenspieler damals nicht sonderlich beeindruckt: Ich kaufte mir als Erstes eine gebrauchte LP, "Twist and Shout" von den Tremeloes. Die Beichte meiner jugendlichen Geschmacksverirrung liegt hinter mir, doch es ist Pfingsten und was liegt näher, als von den betagten Lesern dieser Wochenschau die ehrliche Antwort abzunötigen, was die erste selbst gekaufte Musik war und auf welchem Datenträger sie ins Haus kam?

*** Zum 60. Geburtstag der LP soll so ein Ständchen die dauernd lamentierende Branche daran erinnern, dass andere Branchen und überhaupt im speziellen China auch noch da sind. Und wo ich schon dabei bin, muss in diesem Zusammenhang auch die schlimmste Tat von 1968 angesprochen werden, das Verbrechen des frankistischen Spaniens gegen den Musikgeschmack im Allgemeinen und gegen Cliff Richard im Besonderen. La La La gewann, was eine Niederlage für die internationale Linke war, denn das Original wurde auf katalanisch gesungen, einer Sprache, die unter Franco verboten war. Sollte nun Cliff Richard nachträglich den Preis bekommen, dann sollten wir auch alle Siege des Franco-Clubs Real Madrid aus jener Zeit annullieren.

*** Apropos Spanien: In der vergangenen Woche erwähnte ich Yoani Sánchez als Beispiel für die Pressefreiheit, doch ausgerechnet an dem Tag der Pressefreiheit erfuhr die Bloggerin, dass sie den Preis nicht entgegennehmen kann, weil sie das Land nicht verlassen darf. Immerhin gehört sie aus amerikanischer Sicht auf die Liste der 100 einflussreichsten Personen, die auch den Dalai Lama aufführt, nicht aber unseren Papst, der wie die Castro-Brüder weiß, wie man ordentlich verbietet. Einflussreich ist übrigens auch Steve Ballmer, der vom Magazin als echter "WYSIWYG-Guy" gefeiert wird: Ballmer ist der "Developers"-brüllende Vertreter, der wirklich "Developers" brüllt und bei dem vielfach angesagten Yahoo-Deal mal eben an der Reißleine zupft. Seine Gegenüberin Neelie Kroes ist übrigens auch auf der Time-Liste zu finden.

*** Was aber sind 60 Jahre LP gegen den 60. Jahrestag der Gründung Israels und der Nakba? Die schlichte Antwort lautet: 60 Jahre sind 60 Jahre, sind 6 Kriege und anhaltende Auseinandersetzungen. Das zeitgenössische Symbol Israels ist die Mauer geworden, die das Elend verdeckt, das Elend der Abhängigkeit von der USA. Elend auch die deutsche Rechthaberei links wie rechts, die Blindtext ohne Ende produziert. Um mit Uri Avnery zu reden: "Man braucht nicht gegen Palästina zu sein, wenn man Israel liebt, man braucht nicht gegen Israel zu sein, wenn man Palästina liebt." Man müsste nur zugeben, dass die Vertreibung von 700.000 Menschen auch ein Unrecht war. Und dass die Vetreibung der Hisbollah eine gute Tat gewesen wäre, hätte man Israel denn gelassen.

*** Mit dem großen Rauschangriff bei der Grundsteinlegung der "modernsten Geheimdienstzentrale der Welt" haben deutsche Schlapphüte wieder einmal ihre technische Exzellenz bewiesen. Der Grundstein enthält eine Kartusche mit verfilmten aktuellen geheimen Lageberichten und Luftbildern sowie Erdklumpen der "Bundesvermögensverwaltung, Abteilung Sondervermögen, Außenstelle Pullach." Angesichts der aktuellen Affäre um den journalistischen "Beifang" Susanne Kölbl kann jeder nun mit Fug und Recht behaupten, dass der neue BND auf Dreck gebaut wird, dort, wo einstmals die "Zickenwiese" war. Neben den anhaltenden BND-Peinlichkeiten dürfte das in dieser Woche veröffentlichte AWACS-Urteil zum Parlamentsheer die neuen Pläne der CDU für einen nationalen Sicherheitsrat lädiert haben. Dennoch wird sie mit ihrer Simulation Deutschland 2020 fortfahren, bis der letzte Rest von Demokratie zerkrümelt wie via Internet zusammengepanschter Beton. Auffällig bei der neuesten Sicherheitsdebatte, wie häufig das GTAZ als "Erfolgsmodell" für den Sicherheitsrat genannt wird. Die Sehnsucht nach dem großen terroristischen Schlag wächst weiter. Denn dort, wo ausgiebig unter richterlicher Verlängerung aller Termine fortlaufend wie ausgiebig nach terroristischen Vereinigungen geschnüffelt wird, stellen sich nur Peinlichkeiten ein. Am Ende müssen die kostbaren Daten womöglich gelöscht werden.

*** "Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Blieb danach noch ein Kommentar übrig, nach diesen 1821 von Heinrich Heine geschriebenen Worten? Wer wollte noch die Bücherverbrennung der Nazis kommentieren, die gestern vor 75 Jahren den Schrecken vorwegnahm, und doch gar nicht von den Nazioberen organisiert wurde, sondern von der Deutschen Studentenschaft, kein von den Nazis gegründeter Verein, nein, sondern studentische Interessenvertretung, die sich bereits vor der Machtübertragung an Hitler den nazistischen Studentenorganisationen unterwarf. So ist nicht nur die Bücherverbrennung selbst ein Menetekel, sondern auch, wer sie organisierte.

Was wird.

Die Meldung, dass all die Videoüberwachung in der bestüberwachtesten Stadt der Welt nicht sonderlich effektiv ist, sorgte auch in ruhigen Ländern für Schlagzeilen, wo man sich nicht sonderlich für öffentliche Videos interessiert. Tatsächlich wies der Redner von Scotland Yard jedoch nur auf einen Wirkungszusammenhang hin, den die Polizei auch bei uns seit 10 Jahren bestens kennt, seitdem die ersten Kameras in Leipzig aufgebaut wurden. Wenn die Polizei nicht schnell vor Ort sein kann, wenn sie nicht in wenigen Minuten reagiert, ist die Aufzeichnung allenfalls für spätere Strafverfahren ein Beweismittel, doch keine Verbesserung der Sicherheit. So endet das, was als "vernichtende Kritik" die Runde machte, als Loblied der Polizei, die in Real Time reagieren kann. Auf einer polnischen Konferenz gab es dafür Beifall vonseiten der Polizei und der Sicherheitsexperten, die die englischen Erfahrungen in der Tube in 130 Metern Tiefe nachstellten. Ja, Real Time ist das Gebot der Stunde, komplett mit einem Getwittere unterlegt. Außerdem muss man flexibel wie ein Hansen sein und dem doppelten Mehdorn folgen. Dann klappt das auch mit dem 3S-Konzept der Deutschen Bahn: Servil, Sauber und Sicher ruiniert es sich am besten.

"Wenn wir hochmütig sind, werden wir fallen" – das wäre ein Satz, den die Regimes in Myanmar und Simbabwe hören müssten, die beide von China abhängig sind. Stattdessen gibt es in beiden hungernden Ländern Wahlen, die nichts gelten. Besonders in Myanmar ist die Lage dramatisch, es fehlt an Nahrung und Medikamenten und an sauberem Wasser. Wenig hilft die Zukunftsmusik, dass eines Tages alles aus einem Drucker kommen kann. Der Rest ist La La La. (Hal Faber) / (jk)