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Was war. Was wird.

Die Tage werden wieder kürzer, die Sonne geht trotzdem auf, und wir alle freuen uns auf Weihnachten - die Wochenschau ist wieder ganz dicht am Puls der Zeit.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Hal Faber
  • Christian Rabanus

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Adressen zählen nicht nur im Internet. Auch Straßennamen können etwas hermachen. Apple am Infinite Loop oder Microsoft im One Microsoft Way (nein, wirklich nicht Oneway Microsoft) künden auf ihre Weise von der Weltsicht großer Firmen. An diesem Wochenende zieht Microsoft Deutschland in Unterschleißheim um. 1400 Mitarbeiter tragen gerade ihre Utensilien in den Microsoft Campus Port, Konrad Zuse Straße. Eine Hausnummer ist nicht erforderlich, schließlich ist Microsoft der Erbe von Konrad Zuse schlechthin. Oder nicht? Zumindest dürfte Unterschleißheim etwa genauso weltstädtisch sein wie Hünfeld, in dem Zuse vor knapp fünf Jahren sein Leben beendete. Microsofts Pressemeldung feiert auf jeden Fall den Büroraum des 21. Jahrhunderts, den die innovativste Firma der Gegenwart verwirklicht habe: "Durch ein Hochmaß an baulicher Flexibilität wird die Büroflächen-Verwendung jederzeit den veränderten Geschäftsabläufen und Anforderungen angepasst." Das wollen wir doch meinen: Future Office Management, die Konstruktionsfirma, baute nach dem gleichen Prinzip den PartnerPort der SAP. Dort läuft alles unter Linux, und läuft und läuft...

*** Was man von Microsofts diversen Explorern, seien sie nun fürs Internet oder für den Desktop, nicht immer sagen könne, wie böse Zungen behaupten. Trotzdem wird Microsoft seinen Explorer im neuen flexiblen Büro sicherlich einsetzen. Aber wie mögen die neuen Computer dort aussehen? Kompakt und flexibel, darauf kann man wetten, aber das war auch schon der Headstart Explorer, einer der frühen Nachfolger von Zuses Z1. Der Explorer damals war ein kompletter Computer, der unter einen Monitor gebaut war. Über Klappen konnte der Computer ganz einfach erweitert werden. So gab es einen Einschubschacht für eine Festplatte mit gigantischen 20 MB. Wer indes die Platte in den dichtgepackten Monitor stopfte, unterbrach die Luftzirkulation im Gerät. Der Explorer erhitzte sich schnell und begann zu qualmen. Das war dem Verkauf des Rechners abträglich, die Qualmwolken haben sich auch damals schon nicht gut in den freilich noch sehr starren Büros gemacht. Und erst die starren Menschen damals, die da in den Büros saßen – ein jeder Start-Up-Chef heute würde sich ausschütten vor Lachen über deren Probleme mit Produkten, die nichts taugen. Und dann erst das deutsche Deutsch, das die damals gesprochen haben. Nur gut, dass das heute alles anders ist. Mit viel Denglisch im Kopf sind sich Mensch und Computer doch schon gleich sehr viel ähnlicher. Sogar das Explorer-Prinzip ist menschlich geworden: Inzwischen gibt es auch bei uns Klappen am Kopf, über die Explorer-Spezialisten ihr Wissen erweitern, dann rauchen und schließlich rettungslos abstürzen, überall Nazis am Werke sehend. Da gibt es nur eins, wie bei Headstart: Auf Spezialdröhnung verzichten, Explorer abschalten und viel frische Luft. Heute gibt es übrigens keine Headstarts mehr.

*** Aber Abstürze gibt es immer noch. Und zwar nicht nur von Computerprogrammen – OK, die gibt es besonders häufig, und zumeist zur Unzeit –, sondern manchmal auch von richtig massiven Bestandteilen der Wirklichkeit. Ob auch der Himmel zu diesen fallgefährdeten Objekten gehört, weiß ich nicht. Die Gallier jedenfalls befürchteten es. Zu meinem großen Erstaunen vermeldete aber die altehrwürdige BBC letzte Woche, dass auch die Briten derlei Befürchtungen hegen. Kein Scherz: Eine echte, seriöse Kommission des britischen Wissenschaftsministeriums hat sich mit den Gefahren beschäftigt, die uns durch Asteroiden drohen, wenn die die Erde treffen. Die Kommission hat einen dicken Bericht veröffentlicht, in dem nachzulesen ist, dass seit 1991 neun Objekte der Erde bis auf 800.000 km, also etwa bis auf Mondentfernung, nahe gekommen sind. Damit uns keiner dieser Brocken überrascht, empfiehlt die Kommission, ein Observatorium für rund 15 Millionen Pfund zu bauen, das den Himmel nach näherkommenden Asteroiden absuchen soll. Die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen also – und das soll die Erde retten? Da scheint doch eher wieder der Blick in den Guide hilfreich zu sein.

*** In den scheinen die ehrwürdigen Wissenschaftler nicht geschaut zu haben, denn sonst wüssten sie erstens, dass sie mit einem Observatorium die Erde nicht retten können, und zweitens, dass es sowieso regnet. Da hilft auch unsere Sommerzeit nicht weiter. Trotz relativ gnädiger Witterung werden sogar echte Verdrängungskünstler mittlerweile Schwierigkeiten haben, den kommenden Herbst noch zu ignorieren. Und auch wenn es Menschen geben mag, die sich darüber freuen, dass das blöde Sonnenlicht auf dem Display nicht mehr so blendet, mich macht die Aussicht auf kommende Wintertage eher depressiv. Gut, dass es da noch das Internet gibt, das – wie üblich – Trost, Freude und Belehrung spendet, wahrhafte consolatio eben. Als echte Weltbürger dürfen wir uns darüber freuen, dass in einer ziemlich kalten und zugigen, aber dennoch vernetzten Ecke des globalen Dorfes, dem Südpol, nach sechs Monaten Nacht vorgestern das erste Mal wieder die Sonne aufgegangen ist.

*** Und wo wir gerade beim Thema Herbst sind: Die ersten Weihnachtskekse in den Regalen sind schon nicht mehr zu übersehen. Genau, es wird auch wieder Zeit, sich über Geschenke für die Liebsten Gedanken zu machen. Wie wäre es mit etwas wirklich Großem? Wellcome Trust will demnächst die Ergebnisse des Humangenom-Projektes auf CD herausbringen. Fehlt eigentlich nur noch der Biotech-Baukasten und das ganze Bundle kann dann unter so klingendem Namen wie "Der kleine Schöpfer" vermarktet werden.

*** Ein tolles anderes Weihnachtsgeschenk wäre sicherlich der Screenfridge. Das ist ein toller neuer Kühlschrank von Electrolux. Der Clou: Der Screenfridge hat einen Internetanschluss und einen Touchscreen. In Dänemark ist er jetzt "erstmals in größerem Umfang online" gegangen, frohlockt der Hersteller. Sage und schreibe 50 Haushalte sind jetzt mit dem Gerät ausgestattet. Und garniert das Ganze gleich mit dem Lob von Rikke Clausen, "die bald zum zweiten Mal Mutter wird". "Mir gefällt der Internetzugang in der Küche, da wir hier die meiste Zeit verbringen", erfährt man von der bald zweimal gebärt Habenden. Die will den Kühlschrank in Zukunft zur alltäglichen Information nutzen, "zum Beispiel um Telefonnummern nachzuschauen, Busfahrpläne zu studieren oder mir Rezeptideen zu holen". Auch Online-Shopping für Lebensmittel will sie ausprobieren – toll, dass Electrolux die Idee mit dem Screenfridge hatte, sonst müsste sich Rikke bald hochschwanger in den Supermarkt schleppen. Und damit sie auch noch – wenn sie es dann doch zu Hause nicht aushalten sollte – von unterwegs auf den Screenfridge zugreifen kann, bekommt sie noch ein WAP-Handy. Die Webseite, auf der man sich über den Fortgang des Pilotprojekts informieren kann, heißt übrigens www.kitchengate.dk. Ähnlichkeiten mit anderen Gates sind natürlich rein zufällig.

*** Wollen wir hoffen, dass Electrolux mit seinem Screenfridge nicht das ganz persönliche Kitchengate erlebt. Allzu explosiv scheint das Gerät ja schließlich nicht zu sein. Außerdem finden Explosionen heutzutage sowieso in ganz anderen Gebieten statt – zumindest soweit man der ganzseitigen Anzeige eines typischen Bobos, noch dazu Chef der Firma Caatoosee, Glauben schenken darf: "Wir sind Zeugen einer Explosion von Beziehungen." Dascha'n Ding: Überall fliegen Beziehungen auseinander und wir sind Zeugen vom großen Bums. Und merken es nicht einmal. Wie sollen wir da jemals vor Gericht aussagen können? Dabei sind wir Journalisten und andere Marketingexperten doch auf Beziehungen aller Art spezialisiert. Wir sind "Anwender in Bereichen mit höherer Neigung zur Verbreitung von menschlichen Bildern", wie uns Content Technologies, Hersteller des Pornsweepers in einer PR-Meldung aufklärt. Gewundener kann man kaum ausdrücken, wer da Schweinskram durch die Gegend mailt. Eine höhere Neigung war sowieso schon immer verdächtig. Um noch einmal bei den Neigungen der Bobos zu verweilen: Es sei da ein Blick auf ihre musikalischen Vorlieben gestattet. Mubu for Bobos annonciert die Firma Music Buddha, die Hektikern der digitalen Ökonomie die Auswahl der Musik erleichtern möchte. Mubu ist ein intelligenter Service, der je nach Stimmung und Ort die richtige Musik empfehlen soll und den Tipp direkt auf die Palm VIIs der Bobos beamt. Mitten im Stau vielleicht den Messias von Händel. Der besondere Clou von Mubu sind musikalische Fingerabdrücke der eigenen Vorlieben, die man verschenken können soll. Solch ein Geschenk passt hervorragend zur Neuen Ökonomie, in der wir leben. Und natürlich auch zur nahenden Weihnachtszeit.

*** Und in dieser Zeit denken bekanntlich auch die sonst noch so Geizigen nur ans Schenken. Da scheint es auch nicht weiter verdächtig, was die Oberen in Deutschland so treiben. The Standard, eine amerikanische Zeitung der Neuen Ökonomie, beschäftigte sich nämlich in der letzten Woche mit der Urheberrechtsabgabe, die auf Internet-Inhalte erhoben werden soll. Das sei ein Unternehmen, mit dem unsere Regierung Not leidenden Künstlern helfen möchte. Weihnachtlich rührend. Richtig spannend wird es erst bei der Frage, was es denn mit den UMTS-Geldsee auf sich hat. Der oberste Digitalguru Nicholas Negroponte verkündete bereits das Scheitern der dritten Generation, weil sie schlicht zu teuer versteigert worden sei. So sei das Geld nichts weiter als eine Art Regierungsrente. Denn bald werde eine vierte Generation von Handys und Services kommen, natürlich aus Amerika, und UMTS spielend überholen. Negroponte spekuliert dabei auf einen Mischmasch des japanischen i-Mode mit AOL, dem amerikanischsten aller amerikanischen Online-Dienste. Wenn AOL mit i-Mode den Markt betritt, werden die Europäer UMTS natürlich links liegen lassen und fleißig ihre AOL-CDs ins i-Mode-Handy stopfen, um die tolle Zugangssoftware zu installieren. Bei all der Flüchtigkeit im digitalen Zeitalter hat zumindest der amerikanischste Online-Dienst damit dann gute Chancen, etwas Bleibendes geschaffen zu haben. Die Flut der lustigen AOL-CDs wird noch in mehreren Jahrtausenden als Beweis dafür herhalten, das es eine primitive Lebensform namens "Ich bin drin" gegeben haben muss.

Was wird

Ich könnte noch viel über die neue Handy-Generation vor UMTS schreiben, die Nokia nächste Woche in Berlin vorstellen wird. Sie soll eigens für WAP konstruierte Knöpfe haben, die den Bobos das Leben im M-Commerce erleichtern soll. Was fehlt, sind vielleicht eigens für WAP konstruierte Köpfe. Auch könnte man noch viel über die Fertigstellung eines zweiten und dritten UMTS-Sendemastes spekulieren – nachdem uns ja die Firma New Radio Tower GmbH über die Errichtung des ersten Sendemastes in Schopsdorf in Sachsen-Anhalt auch schon in Kenntnis gesetzt hatte. Nein, heute wollen wir unsere Zukunftsschau in die Vergangenheit richten – getreu der Einsicht Martin Heideggers, dass die Gewesenheit der Zukunft entspringt – und Hans Franke die Daumen drücken. Der tritt in der nächsten Woche auf dem Vintage Computer Festival 4.0 in Kalifornien für Deutschland an. Beim letzten Mal räumte er mit einem voll funktionierenden KC 85/4 mit original DDR-Kassettenrekorder und dem passenden Jumost-TV russischer Produktion, DDR-Fahne und Sprüchen von der speziellen Informatik des Klassenkampfes die drei Hauptpreise ab. Diesmal tritt Franke mit einem Juku an. Das ist er einzige jemals in Estland gebaute Heimcomputer mit einem original estnischen Betriebssystem. Go, Juku, go! (Hal Faber) (chr)