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Was war. Was wird.

Q-Scores, Open-Source-Netware, Dialektik von Hegel über Marx bis zu Botho Strauss und ihre Relevanz für Flatrates und Menschenrechte - alles Themen, die Hal Faber in dieser Wochenschau beschäftigen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Kollegen vom [ Heise-Ticker], denen ich dieses wundervolle Plätzchen im Web verdanke, haben bereits gemeldet, dass Deep Blue von IBM es geschafft hat, in den Q-Score zu kommen. Das ist ein seltsames Bekanntheitsbarometer, das in den USA eine Rolle spielt und IBM immerhin eine Pressemeldung außerhalb der täglichen Ration an Linux-Nachrichten wert ist. Deep Blue hat also einen Q-Quotienten von 9, gleichauf mit Personen wie Gilbert Gottfried und Count Chocula, die mir nix sagen. IBM schweigt weise, was Q9 auf der nach oben offenen Q-Skala bedeutet. Albert Einstein hat einen Spitzenplatz mit Q56, Elvis immerhin noch Q33. Doch die Blechkiste von IBM hat schlagweg zwei unserer liebsten EDV-Spezialisten überrundet: Larry Ellison und Scott McNealy haben beide einen Q6 – und von beiden Firmen habe ich niemals eine Mitteilung über ihr Ranking bekommen. Wo Bill Gates liegt, wird an dieser Stelle gemeinerweise nicht verraten.

*** Eric Schmidt taucht im Ranking nicht auf. Das ist schade, denn Schmidt ist Chef von Novell und ein blitzgescheiter Kerl. Er ist so gescheit, dass er es anderen überlässt, wie die Firma gesundgeschrumpft werden kann, die einstmals als der "Rote Riese" betitelt wurde. Er ist nicht so gescheit, aus dem nun anrollenden Prozess gegen die Timpanogas Research Group die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Diese Firma will ein Metropolitan Area Network Operating System (MANOS) auf den Markt bringen, das kompatibel zur Netware sein soll. Manos selbst soll unter der GNU GPL vertrieben werden und das Linux unter den Netzwerk-Betriebssystemen werden. Für den Prozess gegen Timpanogas will Novell bis zum Äußersten gehen und mehr Geld investieren, als die Abfindungen in der aktuellen Rausschmeißwelle kosten. Gleichzeitig verkündet die Firma, ihr Geld vor allem mit eDirectories (the Mischmasch formerly known as NDS) verdienen zu wollen. Und Eric Schmidt benennt den Roten Zwerg um: The bobos formerly known as Novell. Prince, steh uns bei...

*** Nun, Beistand kann man immer gebrauchen, ob man nun McNealy, Ellison oder Schmidt heißt. Das dachte sich wohl auch die Pünktchen-Partei in Gestalt ihres schmissigen Generalsekretärs Guido Westerwelle. Ich weiß nicht, welchen Wert der auf der Q-Skala erreicht: Jedenfalls scheint es ihm zu wenig zu sein, und so ruft er die Netizens zu Hilfe. Beim Programm der FDP für die nächste Bundestagswahl sollen die Internet-Surfer den Mannen um Wolfgang Gerhardt, Jürgen Möllemann und Westerwelle unter die Arme greifen und eifrig dran mitschreiben. 900.000 sollen es gleich sein, die sich als Autoren hergeben, um der FDP zum Bundeskanzlerposten zu verhelfen. Das wird sicher lustig: Möllemann landet mit dem Fallschirm auf dem DE-CIX-Gebäude, um von dort die E-Demokratie auszurufen, in der jeder kostenlos ins Internet darf, um von der Bertelsmann-Stiftung gefilterten "Content" von AOL/Time Warner zu genießen. Da wünscht man sich die Zeiten zurück, als Karl Liebknecht in Deutschland die Räterepublik ausrufen wollte. Die FDP dagegen treibt einem nur noch den Angstschweiß auf die Stirn.

*** Apropos Karl Liebknecht, apropos Wolfgang Gerhardt: Wenn dein starker Arm es will, liegen alle Mäuse still. Eine Studie der Marktforscher von IDC besagt, dass in den nächsten Jahren 37 Millionen Amerikaner von so genannten Home Offices aus arbeiten werden. Die Studie versickerte offensichtlich in den Redaktionen, weil es nur 27 Millionen Europäer sein sollen, die vom trauten Heim aus werkeln werden. Eine Differenz, die IDC mit kulturellen Vorbehalten begründet, nicht aber mit der fehlenden Flatrate, die in Deutschland oder England so manchen Provider dahin rafft. Das bringt mich natürlich zur Meldung, in der FDP-Chef Wolfgang Gerhardt kalkulierbare Großhandelspreise von der Telekom fordert, damit Provider richtige Flatrates anbieten können. Wenn sie bisher unkalkulierbar waren, dürfen wir uns alle über Flatrate-Provider wundern. Alles Flaschen, die nicht rechnen können? So bleibt nur die denkenswerte Aussage der Möllemann-Partei: "Flaschenhälse und Hürden für den Zugang zum Internet müssen aus dem Weg geräumt werden." Da stehen also Hürden herum, und zwischen ihnen liegen Flaschenhälse. So kommen weder die Internet-Sprinter noch die Internet-Säufer auf ihre Kosten. Und Europa wird wieder einmal von Amerika abgelascht. Dort sprinten sie wahrscheinlich über Flaschenhälse. Vielleicht dopen sie aber auch nur besser.

*** Wenn ein starker Bagger will, stehen alle Dot.Coms still. Und nicht nur die: Der gelbe Hai ist eine fürchterliche Gefahr in der digitalen Ökonomie. Wenn die Bagger anrücken, erwischen sie garantiert immer ein wichtiges Kabel, so wusste es schon Baggerführer Willibald McMurphy. Die Telekom schlug diesmal in Frankfurt zu. Zu der gekappten Sprach- und Datenübertragung gehörte eine Verbindung von der Deutschen Flugsicherung in Langen zum Flughafen von Frankfurt. Allein die Lufthansa musste 20 Flüge streichen. Während die Banken in der Innenstadt über physisch redundante Netzanschlüsse verfügen, wird dies bei den Airlines als überflüssig angesehen. Da bekommt Fly by Wire nach und nach eine andere Bedeutung. Die schönsten Szenen spielten sich in Frankfurt ab, wo Manager hastig ihr Notebook und das Handy anwarfen, um in der besten Tradition eines Home-Officers die wichtiges Reports in die Welt zu beamen. Wenn Sportler bei den Olympischen Spielen etwas Ähnliches versuchen sollten, werden sie ausgeschlossen, weil sie dann technisch "Journalisten" sind und gegen den Olympischen Eid verstoßen haben. Sollen sie doch lieber Flaschenhälse stemmen – solange die Flaschen noch heile sind.

*** Wenn ein Poweruser will, stehen alle Flatrates still: Offensichtlich gibt es da noch mehr Flaschen, die es zu stemmen gälte, aber dieses Mal vielleicht von irgendwelchen Betriebswirtschaftsprofessoren. Wenn die sich dabei nur nicht einen Bruch heben. Bislang dachte ich immer, zumindest das kleine Einmaleins müsste man für BWL beherrschen – oder auch nur, wenn's um eine Firmengründung geht. Das scheint in Zeiten der Dot.Coms aber nicht mehr notwendig zu sein; da reicht es, ein Angebot auf den Markt zu schmeißen, um Venture Capital und User-Gebühren abzuzocken. Wenn die Rechnung dann nicht aufgeht, gibt's genug Schuldige, die in der Landschaft herumstehen und nur darauf warten, als Hassobjekt zu neuem Einsatz zu kommen. Wenn der Flatrate-Anbieter Pleite geht oder Vielnutzer rausschmeißt, war's im Zweifelsfall die Telekom – wegen ihrer exorbitanten Gebühren für den Netzzugang, den die Provider zahlen müssen. Komisch, kannten unsere Flatratler die Gebühren nicht im Voraus? Aber vielleicht waren sie bei der Firmengründung ja auch gerade als Flatliner unterwegs. Denn offensichtlich kann der gemeine Internet-User, der meist wenig von BWL weiß, besser rechnen als unsere Herren Firmengründer. Böse Falle – der User will lange, der Provider kurze Zugangszeiten. Da haben die User mehr Bewusstsein als sich die Flatrate-Anbieter ihres Seins bewusst wären. Ganz offensichtlich hat also ein Leser der letzten Wochenschau Recht, der kritisierte, in den Schriften des damals genannten Herrn aus Trier wäre nicht nur zu finden, das Sein bestimme das Bewusstsein, sondern auch das Umgekehrte: Ein dialektisches Verhältnis eben. Was übrigens auch nicht auf Marxens Mist gewachsen ist, sondern von Hegel stammt, der es wiederum ... ach, lassen wir das. Denn mit Dialektik (die seltsamerweise auch für das Verhältnis von Angebot und Nachfrage gilt) darf man den Dot.Coms nicht kommen. Wie formulierte einst der rechtsgewendete Theater-Author Botho Strauss: "Ohne Dialektik denken wir dümmer. Aber es muss sein: Ohne Dialektik." Womit endlich der eigentliche Vordenker der New Economy dingfest gemacht wäre.

*** Der anschwellende Bocksgesang der New Economy führt jedenfalls zu seltsamen Blüten. "Jedermann hat das Recht auf freie Meinung und freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die unbehinderte Meinungsfreiheit und die Freiheit, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut durch Mittel jeder Art sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben." So heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN-Vollversammlung vom 10.12.1948 in Artikel 19. Ob MP3-Tauschbörsen, Rechtsradikalismus oder sonstiges unliebsames Zeug: Politik, Staatsanwaltschaft und Stiftungen aller Art sind feste im Internet unterwegs. Suchmaschinen und Filtersysteme sind also die geeignete Instanzen, um zu beurteilen, was nach diesem Artikel im Internet erlaubt ist und was nicht. Manche Seite zu Rechtsradikalismus und Antifaschismus/Antirassimus dürfte den Filtersystemen wegen Benutzung inkriminierter Begriffe kaum entgehen und anschließend nicht mehr sichtbar sein. Eine Seite etwa wie Burkhard Schröders Informationspage. Burkhard Schröder? Ja, genau, der von Tron – Tod eines Hackers. Fehlt bloß noch, dass die ICRA ihr Filtersystem "23" nennt.

Was wird.

Geht es nach der US-Regierung, wird der Prozess gegen Microsoft vor dem höchsten US-Gericht weitergehen und nicht eine trödelige Warteschleife durchlaufen. Das verspricht für die Zukunft manche Gaudi. Nicht minder lustig dürfte es in Gütersloh zugehen. Dort steigt nächste Woche die Konferenz Filtersysteme unter dem irreführenden Titel "Selbstregulierung im Internet": Niemand reguliert etwas selbst, wenn ein nicht einsehbarer Filter Webseiten wegsperrt. Der lustigste Punkt dieser Konferenz, gleich nach der morgendlichen Kaffeepause, ist die Aufteilung in parallel arbeitende Diskussionsgruppen. Die hochkarätigen internationalen Experten dürfen dann wählen, zwischen der Mitarbeit bei Negativlisten oder bei Weißlisten. Für eine binäre Welt ist das sicher eine richtige Wahl. (Hal Faber) (jk)