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Was war. Was wird.

Es stand die Mutter schmerzerfüllt - aber sicher nicht, weil es die guten Dinge nicht mehr gibt. Es ist ja auch so eine Sache mit der Vernunft, wie sich auch dieses Mal in der Wochenschau zeigt.

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Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gibt sie nicht mehr, die guten Dinge. Gestern Morgen kam der neue Manufactum-Katalog ins Haus und da fehlt er, der Edelstahlbildschirm mit Edelstahltastatur für schlappe 12.400 DM. Im Web ist er noch zu finden, mein zeitloser Traumschirm, der eine Krafteinwirkung von 500 N aushalten kann. Das ist der Aufprall eines Bobos aus drei Meter Höhe. Mehr als diese ungeheure Kraftaushaltung faszinierte mich jedes Mal der Satz vom Investitionsschutz: "Der Hersteller garantiert für die nächsten 8 Jahre, Ihnen innerhalb eines Zeitraums von etwa 6 Wochen auf Wunsch (und Ihre Kosten) ein neues 15-Zoll-Display späterer Generation in das Gehäuse zu bauen." Eine solche Garantie wäre auch bei weicheren Computerformen etwas Feines, doch wird es so etwas Zeitloses nicht geben, nicht in dieser Branche. Bei Manufactum sollen die ersten Käufer bereits nach 4 Monaten den Einbau einer neuen Generation verlangt haben. Weg mit den lästigen Zeitschrumpfern: Im Katalog ist der Edelstahlschirm durch ein Diktiergerät ersetzt worden, das wiederum Spracherkennungssoftware ersetzen soll.

*** Lieber als verflossenen Bildschirmen nachzutrauern und mich Zeitschrumpfern zu erwehren begebe ich mich da doch lieber auf die Suche nach der verlorenen, pardon, der vergangenen Zeit: "Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen..." Was aber hätten die Sprach-Programme wohl daraus gemacht? Sie erkennen nämlich nicht den eigentlichen, sondern den geheimen Sinn der Semem. Wenn ich in mein Viavoice "Carnivore" eingebe, macht es Karneval daraus. Das ist doch allemal ein besserer Name als Fleischfresser. In den USA scheint man ähnlich zu denken, dort hat Justizministerin Janet Reno sich für einen Wettbewerb ausgesprochen, der einen neuen Namen für die Überwachungssoftware finden soll. Inmitten der kauzigen Debatte um dieses Newspeak ist die Presseerklärung des Federal Bureau of Investigation wohl unbeachtet geblieben. Da erklärt der allseits beliebte Internet-Pionier Vint Cerf, dass Carnivore ein unbedenkliches System ist, gewissermaßen normal, dem Verwendungszweck entsprechend. "Ich sage nicht, dass Carnivore idiotensicher ist, in dem Sinne, dass niemand das System missbrauchen kann. Wenn es aber vernünftig benutzt wird, sammelt es nur die Daten, die es sammeln soll", zitiert das FBI den Internet-Pionier. Vernunft, so klärt uns das Große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden auf, "ist das geistige Vermögen des Menschen, Einsichten zu gewinnen, Zusammenhänge zu erkennen, und etwas zu überschauen". Vernünftig eingesetzt, ist Carnivore ein Überschaueinsichtszusammenhang-Programm, vulgo eine Überwachungs- und Schnüffelsoftware – auch wenn sie "Britneys Tools" heißen wird und ein Bikini im Logo hat.

*** Wer mit unser aller Britney nichts anfangen kann, mag vielleicht die Demokratie: Wenden wir uns also einem anderen Katalog zu, der von einer datenverlierenden Firma kommt. "Kann ein Schrank demokratisch sein?", fragt der neue Katalog von Ikea und beantwortet diese Frage mit einem Ja. Denn "wenn viele Menschen sich ihre Wünsche und Bedürfnisse erfüllen können, finden wir das schon ziemlich demokratisch". So denkt der Elch, er kann nicht anders: Dass Demokratie eine politische wie philosophische Haltung ist, etwas anderes als Mampfen und Kaufen, das kommt ihm nicht in den Sinn. Vielleicht kaufe ich den Blechschrank und schicke ihn bei der nächsten Wahl zur Urne, über das nicht abhörsichere Bluetooth werden sie sich schon verständigen können. Und der nächste Kanzler wird ein Kleiderbügel, der seinen Mantel nach dem Wind hängt – der Geist der Geschichte, er bläst ja auch wieder so heftig. "Eine offene Demokratie braucht Filter, die die Menschen nach ihren Werten und Bedürfnissen einstellen können. Sonst erziehen nicht wir, sondern das Internet unsere Kinder", sagte dieser Tage die Net Mom auf einer Konferenz der Bertelsmann-Stiftung zum neuen Web-Wunderfilter der ICRA. Mit ihm kann jeder Erziehungsberechtigte die Websites sperren, die seiner Meinung nach dem Nachwuchs schaden können – so es nicht dynamisch generierte Pages sind. Alternativ können sich die Eltern Rating-Dateien befreundeter Organisationen zu Eigen machen, etwa der von Terre des Hommes. Ein Verfahren, das vernünftig klingt, wenn man ablehnen kann, seine Kinder von solch einem Deputy gängeln zu lassen, wenn man sie lieber mit Medienkompetenz voll stopft. Was die ICRA suspekt macht, ist die Nonchalance der Verfechter des demokratischen Filters: "Nächste Woche fliegen wir nach Redmond und besprechen mit Micrsoft, wie man das Problem der dynamischen Seiten lösen kann." Oder: "Microsoft hat uns zugesichert, das Selbstrating auch in seinem Programm Frontpage einzubauen, das die führende Software für die Produktion von Websites ist." Tief im Innern seiner Windows-Varianten bis hin zum familienfreundlichen Settop-System wird Microsoft also ICRA verbuddeln, auch in Frontpage, vielleicht in Encarta, wo nackte Frauen unter Kunstverdacht erscheinen. Wenn Microsoft den Filter programmiert, der den Surfer überwacht, wer überwacht dann Microsoft? Hat da jemand NSA-Key gerufen? Vielleicht führt Microsoft aber ja auch bloß eine Netscape-Wildcard ein.

*** Mit Demokratie ist das aber so eine Sache, ebenso wie mit der Vernunft. Die ist bekanntlich nicht nur das Vermögen, Einsichten zu gewinnen, sondern auch das Vermögen der Prinzipien. An dieser weisen Einsicht möchte man aber verzweifeln, hat man nur oft genug mit PR-Spezialisten zu tun. Als mir diese Woche die Presseerklärung der Betreiber von geizkragen.de auf den Elektro-Schreibtisch flatterte, musste ich an eine Kolumne der mittlerweile eingegangenen Satirezeitschrift Pardon denken, die die wunderschöne Überschrift "Wenn das Herz stockt" trug. Passenderweise ging es bei der E-Mail aus dem wunderschönen Hiddenhausen nämlich um unser aller Gesundheit: "In der letzten Woche verging kein Tag ohne eine Meldung in der über die Risiken von Medikamenten-Bestellungen über das Internet berichtet wurde. Mehrheitlich lag diesen Kurzberichten ein brisanter Artikel der Stiftung Warentest (Ausgabe 09/00, Seite 92) zu Grunde", war dort zu erfahren. "In dem Artikel wurde der Onlinehandel generell als unseriös, illegal und gefährlich bezeichnet." So geht das natürlich nicht, und was ein richtiger Verbraucherschützer ist, greift hier zu der scharfen Waffe des investigativen Journalismus. Die Ergebnisse sind so aufregend, dass die Kollegen eigentlich auch noch auf eine günstige Quelle für Baldrian-Tropfen oder Johanniskraut-Öl verweisen müssten: "Geizkragen.de machte die Probe aufs Exempel und testete zwei als seriös anzusehende Online-Apotheken. Aspirin-Schmerzmittel N2 (500 Mg) mit 20 Tabletten z.B. kosten in Deutschland rund 7,50 DM. Beim niederländischen Anbieter DocMorris kostet die gleiche Verpackungseinheit des deutschen Originalproduktes lediglich 4,83 DM. Beim britischem Anbieter Express-Medical hingegen wird das gleiche Präparat in 100-Stück-Einheiten zu einem Preis von 14,90 DM angeboten, was heruntergerechnet einem Preis von nur noch 2,98 DM für 20 Tabletten entspricht." Sparen, sparen, sparen... Und dann erst der Kick, wenn man probiert, ob auch wirklich Aspirin in der Packung ist.

*** Manches Mal fragt man sich inzwischen auch im Internet, was eigentlich in all den Verpackungen drin ist. Nach Pfahlsitzen und Big Brother kann man noch bis heute den Werltrekordversuch im "Dauerduschen" live im Internet beobachten."Fünf Teilnehmer hats schon 'weggeschwemmt', der Rest hält tapfer durch. Und auf unserer Website ist die Hölle los", schreiben die PR-Menschen von TV1.de. Boah, ey. Das Ganze ist selbstverständlich nicht zweckfrei, sondern eine Werbeaktion von Bad24.com – dem "Bäderspezialist im Internet". Der Gewinner bekommt 10.000 Mark. Eigentlich wäre der Unfug gar nicht der Rede wert, aber die Lemminge sind längst unterwegs: "Eines zeigt dieses Spektakel deutlich: So etwas treibt die Zuschauerquote enorm in die Höhe – ob man's mag oder nicht. Marketingfachleute und PR-Strategen werden solche Aufsehen erregenden Aktionen in Zukunft immer stärker in ihre Werbekampagnen einplanen müssen, um sich bei zunehmender Reizüberflutung von ihrer geschäftlichen Konkurrenz zu differenzieren." Macht das Internet wirklich so weich im Kopf? Müssen wir demnächst, statt Schulen ans Netz zu bringen, unsere Kinder vor der Klick- und Schundkultur schützen – so wie unsere Eltern versucht haben, uns vor Comics und Fernsehserien zu schützen? Herr im Himmel, gib uns endlich vernünftige Filtersoftware? Da gibt's gar nicht zu grinsen: Wenns schon Tachyonen-Filter gegen Atomstrom gibt, frage ich mich wirklich, ob nicht schon alles zu spät ist. Dass wehrlosen älteren Zeitgenossen Kupferringe gegen Erdstrahlen verkauft werden, daran mussten wir uns ja schon gewöhnen – aber Tachyonenfilter? Da krümmt sich selbst die mehrdimensionale temporale Quantendynamik im Hilbert-Raum.

*** Quantendynamik? Damit wären wir bei der Unschärferelation. Begeben wir uns also noch einmal in die Politik und erinnern uns an besonders faltige Politiker. Nein, nicht an Schily, der ist nämlich am Montag in der c't zu lesen, auch nicht an Schröders Katze, denn die gibt es überhaupt nicht. Und auch nicht an Franz Josef Jung, der überhaupt nicht mehr zu lesen ist oder an Roland Koch, der immer noch (manche sagen leider) zu lesen ist. Nein, die Rede ist von Golda Meir, einstmals Präsidentin in Israel und gefürchtet nicht nur wegen ihrer großen Handtasche. Weil Philippe Kahn die Entwicklung von dBase für Windows so hässlich fand, schlug der einstige Borland-Chef seinerzeit den Codenamen Golda Meir für den dBase-Compiler vor. Dieser jüdische Humor wurde ihm schwer übel genommen, worauf Borland die Sache in Magma umtaufte – nur um zu erfahren, dass dies der Name einer deutschen Pornoproduktion ist. Schließlich fand man den Namen Amber. Mit dem Codenamen Lightsuck verstieß Kahn dann wieder einmal gegen den guten Geschmack. Doch letzte Woche durfte seine neueste Idee Premiere feiern: LightSurf ist eine kabellose Technologie, mit der Bilder von der Digitalkamera über das Telefon vollautomatisch und schnell zu einer Website geschickt werden. In Sekunden soll es dort sichtbar sein. Philippe Kahn fotografierte bei seiner Demonstration Bilder von Bush und Gore und ließ sie im Web zusammen morphen.

*** Philippe Kahn wäre wahrscheinlich tödlich beleidigt, bezeichnete man ihn als ersten lebenden Bobo. Und wenn man sich unsere heutigen Bobos so anschaut, wohl zu recht. Aua: Wenn es um Bobos geht, werden manche Leser aufstöhnen. Doch es hilft nichts, sie gehören nun einmal zu einer Wochenschau von Hal wie die Flamewars der Windows/Linux-Krieger zu den Newsforen des Heise-Tickers. Eigens für Bobos wurde nun in San Francisco das Restaurant Venture Frogs eröffnet. Betreiber des Restaurants sind richtige Risiko-Kaptitalisten, die eine Inkubator-Firma betrieben. Futtern beim Inkubator, das ist schon mal der Anfang – oder das Ende, wenn das Dot.com in den Sand gesetzt wurde. "Bei Hal" in Berlin, das wäre noch die Chance für einen verkrachten Journalisten, der sich nicht einmal einen Edelstahlschirm leisten kann. Wenn dann noch Bobos wie der finnische Dot.com-Millionär Jaako Rytsola mit ihrem Ferrari 360 Modena kommen, läuft der Laden. Rytsola zahlt gerade die höchste Verkehrsstrafe in Finnland, umgerechnet 44.110 US-Dollar für das Wechseln der Fahrbahn-Spuren. Eigentlich ist das eine Lappalie, doch in Finnland ist die Höhe der Strafe vom Einkommen abhängig. Bobos sollten dort vorsichtig fahren.

*** Aber mit dem Fahren ist das so eine Sache. In Frankreich brennen die Autoreifen wegen der hohen Benzinpreise (haben die die mit Öl angezündet?), in Deutschland stöhnt der gemeine Autofahrer und kann sich nicht entscheiden, ob er seine Wut über die Ölkonzerne oder die Bundesregierung mit ihrer Ökosteuer ausschütten soll. Da hat es die Post einfacher, denn sie ist ja inzwischen ein Weltkonzern und kann tanken, wo sie will. Oder werben, mit wem sie will. Dass der gelbe Riese Amazon-Chef Jeff Bezos und Yahoo-Gründer Jerry Yang für sich werben lässt, ist nichts Neues mehr. Es hat schon was Eigenes, wie der nette Postmann die munter von der New Economy schwärmenden Firmen-Chefs zuerst ins Stocken und dann auf den Boden der Tatsachen bringt. Das Pizza-Fax und Ähnliches gibt es halt immer noch nicht, da müssen also die gelben Autos, Schiffe und Flugzeuge ran, die dem mittlerweile in Aktie-Gelb umgetauften Wertpapier der Post einen guten Börsenstart im Herbst bescheren sollen. Man könnte natürlich im Sinne des Postboten weiterfragen: Ja und, reicht denn wirklich der gelbe Logistikkonzern, damit die bei Amazon bestellten Bücher und Bohrhammer zu ihrem Ziel kommen? Nein, natürlich nicht, da braucht es noch Firmen wie Opel und Esso, die Autos und Benzin herstellen. Und weil die – obwohl schon längst an der Börse – ja auch irgendwie modern sein wollen, setzen sie jetzt auf Umweltschutz. Und haben sich dazu was Tolles einfallen lassen: einen Benzin-Reformer. Wer's noch nicht wusste: Das ist ein Apparat, der Benzin umwandelt. Der Bezin-Reformer von Esso und Opel soll in ein Brennstoffzellenfahrzeug eingebaut werden und dort aus Benzin Wasserstoff erzeugen. Der Wasserstoff treibt dann das Fahrzeug an. Der große Vorteil für den Verbraucher: "Für die Autofahrer bedeutet der Durchbruch bei der Benzin-Reformierung, dass sie künftig für Brennstoffzellenfahrzeuge, die praktisch keine Schadstoffemissionen und vergleichsweise geringe Kohlendioxid-Emissionen verursachen, die gleiche Tankstelleninfrastruktur nutzen könnten wie für Automobile mit Verbrennungsmotor." Wenn das kein Erfolg ist! Schließlich rätselt die Wissenschaft immer noch erfolglos an dem Problem, wie man beispielsweise aus Wasser Wasserstoff gewinnen kann. Und bekanntlich gibt es ja auch immer noch keine flächendeckende Wasserhahnversorgung in unserer Republik. Nachdem das letzte Jahrhundert im Zeichen der Erfindung des Autobriefkastens stand, dürfte der Erfindung des Benzin-Reformers ein Ehrenplatz unter den sinnvollen technischen Innovationen unseres Jahrhunderts jetzt schon sicher sein.

Was wird.

In der nächsten Woche sprechen Steve Ballmer, Steve Jobs, Michael Dell und Jeff Bezos in Monaco darüber, wie Europa die USA überholen kann. Zurzeit zeigt sich in Monaco, wie überholt Europa mit seinen Spritproblemen und streikenden Franzosen ist: Der Veranstalter IDC hat in der Not eigens einen Flugkapitän engagiert, der im Verein mit den Steuermännern der Firmenflieger Alternativen ausbaldowert, da der Sprit in Nizza knapp ist. Vor zehn Jahren landete Bill Gates zu eben dieser Konferenz im Linienflieger und lieh sich einen Fiat 500 zur Weiterfahrt aus. Ganz sicher fühlte sich Gates nicht als Bobo, sondern nur als Inkognito. Nicht nur Großkopferte sprechen in der nächsten Woche: Mit "Stabat Mater" will die koreanische Firma Meritel das erste Online-Game fürs Internet veröffentlichen, das ausschließlich mit Spracherkennungssoftware zu bedienen sein soll. "Start the game, select a character and die your own way", mit dieser romantischen Presseerklärung werben die Koreaner für "das letzte Abenteuer". Und jetzt hauchen wir alle ins Mikrofon: Es stand die Mutter schmerzerfüllt... (Hal Faber) (jk)