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Was war. Was wird.

Hal Faber feiert Windows XP. Oder doch nicht? Jedenfalls scheitert der IFA-Selbstversuch kläglich, führt aber zu überraschenden Erkenntnissen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Brütende Hitze liegt über Deutschland, dumpfe Bewegungslosigkeit beherrscht die meisten Städte, seien sie nun in der norddeutschen Tiefebene oder im märkischen Sand lokalisiert: Selbst das Nachtleben der alten und neuen Hauptstadt hat nicht mehr als Langeweile angesichts einer Wolke von Wärme und schlechter Luft zu bieten, während in Hannover die heimliche echte Love Parade unter dem Label Reincarnation Parade über die Bühne, beziehungsweise die Straßen geht. Wenn die Hannoveraner der Berliner Parade schon mit nahezu gleicher Beteiligtenzahl Paroli bieten können, ist es doch gut, dass in Berlin auch mal wieder die Revolution ausgerufen wird. Nur streitet man sich dieses mal nicht, nein, alles wächst zusammen. Ein paar Hupfdohlen halten bleiche Lichter, von auf der Bühne Beteiligten als Lichtschwerter tituliert, mit unregelmäßigen Bewegungen in die Kamera: Die Eröffnungsgala für die IFA kann beginnen. Armes Deutschland – und arme Computer- und Unterhaltungselektronikbranche, deren Erfolg von so etwas abhängt. Wenn die Dauerwelle des Sozialismus (dieses Mal ganz ohne Dauerwelle und auch ohne Sozialismus) cool aussehen soll, dann lädt die ARD Reinhold Beckmann für die digitalen "Televisionen" als Gast ein, denn dann fällt auch Carmen Nebel die Coolness nicht schwer. Die anwesenden Zuschauer versuchen sich derweil gequält in ihren Sitzen zu verstecken, sie könnten sonst von der Kamera erfasst werden – nur Klaus Wowereit und Frank Steffel grinsen unverzagt in jede Linse. Das ist die digitale Medienrevolution. War sonst noch was?

*** Nun gut, es ist der Samstagabend eines heißen Sommertags, da verzeiht man so einiges. Aber Vorsicht: heute.t-online.de und John Malone mitsamt seinen Kumpanen lassen sich von Sommerschwüle nicht irritieren. Wem die No Angels, die gerade frisch aus dem Grab gehüpften Smokie und eine mit dünnem Stimmchen ohne jede größere Modulation "White Bird" säuselnde Vanessa May dann doch zu dumm sind, ja, für solche Technik-Freaks haben die Herren der Netze und der Unterhaltung noch ein paar neue Akronyme und Reizthemen auf Lager, an denen sie sich abarbeiten können. Ein paar Prozesse um Video- und Audio-Kopierereien, ein paar neue Techniken, mit denen man schöne neue Dinge basteln kann: Vielleicht ist Matrix ja doch ein Dokumentarfilm, Carmen Nebel kriegen wir im dritten Teil schon unter. Derweil fragt sich der verblüffte Beobachter, was außer kaltem Grausen angesichts dessen verbleibt, was die Unterhaltungsindustrie heutzutage so produziert. Und noch viel verwunderter fragt man sich, warum überhaupt irgendjemand all diesen Mist kopieren will. Wo sind die Verschwörungstheoretiker, wenn man sie wirklich mal bräuchte? Die Produkte und all die Stars, die von den Unterhaltungskonzernen auf den Markt geworfen werden, beweisen eines auf jeden Fall ein für alle Mal: das klägliche Scheitern jedweden Kopierschutzes. Denn offensichtlich schützt selbst die Produktion abgestandenen Mülls nicht vor Raubkopien. "Vielleicht gibt es in der Zukunft ja auch gar kein Fernsehen", meinte eines der befragten Kinder während der IFA-Eröffnungsgala. Kinder dürfen noch vom Paradies träumen, derweil müssen sich die Erwachsenen die x-te Wiederholung der norwegischen Prinzenhochzeit ansehen.

*** Aber diese feuchte Hitze geht nicht nur einsam durch die Sommernacht streifenden und an der IFA verzweifelnden Kolumnisten auf die Nerven. Viel besser wurde es aber nach Abbruch meines IFA-Selbstversuchs auch nicht: "Deo, Deo, Deo" ruft Steve Ballmer, der die Ankunft von Windows bei den OEM feiern durfte, stilecht mit einem Walkürenritt auf Hubschraubern, wie Coppola das in "Apocalypse Now" vorgemacht hat. Notlandungen wurden nicht gemeldet, allenfalls kleinere Landeprobleme bei Gateway, und so dürfen wir uns freuen, dass "nach 15 Jahren Forschung die Any4Vision Wirklichkeit wird: Anyone, Anywhere, Anytime, Any Resources", so die Worte von Bill Gates zur kleinen Feierstunde. Anyway, anyhow muss doch der "sensationelle Messenger" (Jim Allchin) abzustellen sein. Ach, ist er nicht? Vielleicht ganz im Sinne der Presse, die Windows XP in den höchsten Tönen preist: "...wer Windows XP auslässt, der lässt das Leben aus." Das wird Frau Colleen Kollar-Kotelly mit Interesse hören.

*** Wir müssen es neidlos zugeben: Nach all den Videos und Affentänzen ist Steve Ballmer reif für größere Auftritte. Unvergesslich die Sketche, die er mit seinem Buddy Bill Gates gedreht hat, besonders seine Interpretation des Dr. Evil von Austin Powers. Es steht unzweifelhaft fest, dass Steve Ballmer der beste Schauspieler in der Computerbranche ist. Früher hielt Samir Arora den Titel für seine guten Leistungen als Tänzer und Sänger in dem Musical "Jesus Christ Superstar", doch momentan pfeift der Chef der Firma NetObjects auf dem letzten Loch. Dafür singen und loben seine Kunden umso lauter. Ob es reicht, den Mehrheitsinhaber IBM von einer kleinen Spende zu überzeugen, darf bezweifelt werden. Dort fließen die Millionen gerade in ein neu gestaltetes Logo, das laut den Designern den Prozess des Abpulens versinnbildlichen soll. Puler-affin soll es Nintendos Gamecube und zahlreiche Settop-Boxen zieren, vielleicht sogar die Apples. Da hilft bei NetObjects nur noch zum Superstar beten oder spenden, und das bitte nicht zu knickerig.

*** Nun ist alle Kunst ein schnelles und flüchtiges Ding. Was einst Avantgarde war, ist heute Unterhaltung, was heute Avantgarde ist, liegt morgen im Koma. Da macht die Entscheidung des 1st Public White Cube schon Sinn, eine Kunst auszustellen, die direkt an eine Versteigerung auf eBay gekoppelt ist. Wer die Auktion gewinnt, darf das Kunstwerk verändern. Wäre Heise nicht so überaus unbestechlich, könnte dies ein probater Weg sein, die Kassen verarmter Kolumnisten zu füllen ... Andere Kolumnisten versuchen sich daran, obsolete Leitungen von Wachschutz-Firmen zu kaufen und über sie ein schnelles DSL-Netz im Eigenbau zu installieren, doch Hal Faber verkauft jeden Satz an den Meistbietenden. Die Sache hat natürlich einen Haken: Content ist im Internet billig oder kostenlos; und wo der Rubel rollt, ist meistens Porno im Spiel. Also wird "Was War, Was Wird" aussehen, als sei die Kolumne durch den Pornolizer gedreht worden.

*** Früher gab es andere Finanzierungsmodelle als den Run auf das nächstbeste Venture Capital und die Powerauktion auf eBay. Heute vor 30 Jahren wurde das "Bundes-Ausbildungsförderungsgesetz" (BAföG) verabschiedet, das Leuten wie mir eine Chance gab, eine Universität von innen zu sehen und absolut seltsame Studiengänge zu füllen, an deren Ende man noch seltsamere Titel kassierte. Darum sei an das BAföG erinnert – nicht zuletzt deswegen, weil seine finnische Variante es einem jungen Programmierer vor 10 Jahren gestattete, stur sein Projekt durchzuziehen – aber das hatten wir schon letzte Woche. Wo es solche Möglichkeiten nicht gibt, die Bildung stattdessen eine Tangensfunktion der elterlichen Geldbörse ist, da werden andere Kriterien angelegt. In Amerika hätte Linux nicht entstehen können, da reichte es nur zum weitgehend kernelfreien Projekt der Free Software Foundation – hat da jemand Hurd gerufen? – oder eben dem universitären BSD, oder?

Was wird.

Einrichtungen wie das BAföG sind konzipiert, die analoge Spaltung aufzuheben. Heute glaubt man kaum noch an ihre Wirksamkeit und redet viel lieber von der digitalen Spaltung. Wenn jeder einen Netzzugriff hat und sich in den Weiten des WWW bilden kann, dann ist das Projekt Klassengesellschaft gescheitert. Das "Internet für Alle" fördert Ideen wie den Seniorencomputer und andere Marketingideen und lässt als Kronzeugen für das Internet der Gleichen ausgerechnet Steve Case von AOL antreten. AOL ist nach einer Gartner-Studie die Firma, der die wenigsten trauen. Dann schon lieber Microsoft: In der nächsten Woche startet bei der Vogel Burda Communications zur Überwindung der digitalen Spaltung die bundesweite Initiative "Computerwissen für alle". Hier soll Jedermann den Computer kennen lernen und Fit für die Zukunft werden. Am Ende wird das MOUS-Zertifikat verliehen, der die Computeranfänger als "Microsoft Office User Specialist" ausweist. Es soll bei deutschen Personalchefs in höchstem Ansehen stehen. Das TAST-Zertifikat, der "Typische Anwender von STaroffice" scheint nicht so gut anzukommen. Und gar keinen Titel gibt es für die ERfahrenen HEIseTickER-Leser, für den sich eigentlich ERHEITERL anbietet. Dabei könnte es mehrere Stufen geben: Den ERHEITERL 1. Klasse ("Erster!"), den ERHEITERL am Band ("Was hat das hier zu suchen..."), den ERHEITERL in Gold ("Das ist aber schon 1 Stunde alt!"). Aber nein: Nicht einmal einen kleinen 25%-Button zum Anstecken gibt es als ERHEITERL. (Hal Faber) / (jk)