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Was war. Was wird.

Nein, noch gibt es keinen Grund zur Versöhnlichkeit mit Dummheit und Ignoranz, trotz aller Vorweihnachtlichkeit, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In dieser Woche schüttete die Branche noch einmal ihr Füllhorn der Nachrichten über uns aus. Nachrichten, Fakten und Faktoidchen von allen Seiten, auch von denen, die neu im Geschäft sind. So manches prächtige vorweihnachtliche Päckchen war da zu finden, doch blieb auch manches liegen, das Beachtung verdient. Nehmen wir einmal die Wahl zum E-Manager des Jahres, die das Handelsblatt zum Jahresende veranstaltet. Im letzten Jahr gewann Thomas Middelhoff von Bertelsmann diesen "gewichtigen Titel" (so Middelhoff selbst), gewählt von "320 Top-Entscheidern der IT-Branche" (so das Handelsblatt). Diesmal kürten die Top-Entscheider Matthias Grewe von Web.de für seine Fähigkeit, "täglich neue Techniken zu erfinden" und den berühmten Weitblick in die Zukunft zu werfen. Ein Blick, der uns Kurzsichtige immer wieder in Erstaunen setzen kann.

*** Wer aber kam bei dieser wissenschaftlich abgesicherten Wahl auf den zweiten Platz der e-Top e-Manager? Kein anderer als Andreas Müller-Maguhn, gepriesen in seiner Fähigkeit, gleich zwei so unterschiedliche "Firmen" wie ICANN und CCC überzeugend zu e-managen. Eine Firma, die diesen alerten jungen Mann einstellt, ist vor jedem Dotcomtod gefeit. Damit der knappe Zweite beim E-Manager-Poll nicht ganz leer ausgeht, überreiche ich hiermit AMM virtuell das Gluetrain-Manifest, gedruckt auf extra feinem Tabellierpapier.

*** Zu den etwas übergangenen Nachrichten gehörte auch der Start von Musikkaufssystemen wie MusicNet und Pressplay. Beide sind von der Bedienbarkeit und Musikauswahl her ein einziger Witz, sind dermaßen beschränkt, dass man sich unwillkürlich an das erste Angebot der Arbeitgeberseite in einem x-beliebigen Tarifkonflikt erinnert fühlt. Die Jahreszeit gebietet freilich Respekt vor Leuten, die an den Weihnachtsmann glauben -- schließlich gibt es Weihnachtsmänner, die Musik verschenken.

*** Das bringt mich zu Dolly Buster, dem einzig echten Luder inmitten der Feldbüsche und Naddelpalmen. Bei Wapme-Systems ist sie als strippender Weihnachtsmann für das Handy verfügbar und wird als Beispiel für Value Added Services gerühmt. "Wap steht kurz vor dem Durchbruch", melden die Düsseldorfer mit ihrer Dolly-Buster-PR. Dazu passt "Alle Jahre wieder" -- SMS ist, anders als WAP, recht erfolgreich. In den USA startet derzeit eine Kampagne, die Kinder vor den Gefahren von SMS zu schützen. Wer im PISA-Ranking nicht absacken möchte, müsse seine Kinder von dem Teufelszeug abhalten. Selbst Computerprofis sind allen Ernstes dabei. Nun sollte man zwar nicht betrunken Autofahren oder SMSen, doch steht der Beweis aus, warum nüchterne Kinder gefährdet sind. Erwachsene haben es da schwieriger, ihnen wird der gute alte Cityruf als Super-SMS der Zukunft angedreht. "Ab mit den Bärten" müsste man vielleicht rufen, aber das passiert ja anderswo.

*** Womit wir, wie es sich ja zum Erschrecken vieler Leser schon andeutete, mal wieder bei der PISA-Studie wären, die den deutschen Kids so abgrundtief schlechte Leistungen bescheinigte, dass sich nun offensichtlich auch RTL bemüßigt fühlt, die Veranstalter der Studie Mores zu lehren. Also werden "Deutschlands klügste Kinder" gesucht -- und auch gefunden, zumindest, wenn es nach den Kriterien von RTL und deren Jauch-versauter Zuschauer geht. Ob sich der Sender, bislang nicht gerade für TV jenseits des Trash bekannt geworden, klar darüber ist, dass diese "klügsten Kinder" -- eigentlich eher unerträgliche Blagen -- der beste Beweis für die Richtigkeit der PISA-Studie sind? Textverständnis dürfte bei diesen von ehrgeizigen Eltern zu Lexikon-Wissen gequälten Kindern schwerlich zu finden sein. Wer weiß, dass Ludwig XIV. auch als Sonnenkönig bekannt war, qualifiziert sich bereits für diesen Wettbwerb um stupides Faktenwissen. Kein Wunder, dass Sonja Zietlow, Deutschlands führender Fernseh-Domina, nachdem sich Ulla Kock am Brink in der Schlammschlacht mit Sabine Christiansen etwas verbrannt hat, vor Begeisterung fast das Mieder platzt: Denn, so Zietlow wörtlich, gleich "geht die Auslese weiter". Auch mancher Zuschauer ohne Lexikon-Wissen dürfte, leicht blass werdend, daraufhin erwarten, dass die Kids mit zu wenig Punkten als lebensunwert ausgesondert werden.

*** Als nahezu lebensunwert betrachtete übrigens auch die britische Regierung lange Zeit fast alles, was mit irischem Akzent sprach. Warum nun ausgerechnet die schmuddelige kleine Schwester von RTL, der TV-Sender RTL II, dies mit Filmen wie dem über die Gilford Four oder dem über einen frühen Heroen der IRA wieder in Erinnerung rufen will, ist etwas schleierhaft -- auch wenn sich ehemalige IRA-Größen wie Gerry Adams inzwischen als Chef der Sinn Fein ganz britisch-wohlerzogen und telegen geben. Ist bei RTL II etwa nach den No Angels und Bro'Sis eine neue Kampagne notwendig, um aus Merchandising-Artikeln mit IRA-Logo den nächsten Hype zu kreieren? Die RAF ist bei den hippen Modeleuten ja bereits wieder out. Erinnern konnte man sich jedenfalls bei "In the Name of the Father" daran, dass im Rahmen der Anti-Terror-Hysterie während der Bekämpfung der IRA in den 70er Jahren Menschen unschuldig verurteilt wurden -- für IRA-Bombenattentate, die sie nicht verübten. Was, wenn die Anklage die richtigen Paragraphen aufgeführt hätte, auch die Todestrafe hätte bedeuten können. Wer bei den damaligen, in Großbritannien verabschiedeten Gesetzen -- nach denen etwa Verdächtige sieben Tage ohne jede anwaltliche Beratung oder richterliche Überprüfung von der Polizei festgehalten werden konnten -- unwillkürlich an Otto Schilys Anti-Terror-Pakete denken muss, hat möglicherweise ein Problem.

*** Einer meiner Lehrer, es könnte fast als Anmerkung zu den "klügsten Kindern" verstanden werden, meinte einmal, man müsse nichts wissen, das könne man nachschlagen: Man müsse verstehen können. Das fällt aber manches Mal nicht aus eigener Unfähigkeit schwer. In den USA und Europa jedenfalls bekommt die Liberty Alliance ständig neue und interessante Bundesgenossen, wobei den Amerikanern gleich die berühmten Synergien zu schaffen machen, die mitunter ganz nützlich sein können. Darum fand dieser Tage ein Sätzchen von Microsoft große Beachtung, nach dem man in Redmond vage davon nuschelte, vielleicht doch der Allianz beizutreten oder eine Standard-Schnittstelle anzubieten, an die Microsofts Passport wie andere Systeme andocken können. In diesen Tagen darf niemand abseits stehen, wenn die Identität des Einzelnen dem Schutz der Gemeinschaft vor Terror dient. Amerika wird geschützt und wir gleich mit. So kommen übrigens auch die Exportkontrollen älterer Bauart als neuer Schutzschild wieder in Mode.

*** Was Mode angeht, da wird niemand Arno Schmidt als Säulenheiligen zitieren wollen. Umso schöner, dass nun Zettels Traum, dieses abstruse, verworrene, geniale, unmöglich zu lesende und überaus spannende Hauptwerk der deutschen Literatur in einer Paperback-Ausgabe erschienen ist -- beziehungsweise erscheinen wird, denn, privilegiert wie ich dank meiner überaus netten und überhaupt nicht virtuellen Buchhändlerin bin, halte ich die Neuauflage bereits in Händen, obwohl der Erstverkaufstag noch gar nicht gekommen ist. Was auch immer die Buchhändlerin dazu verleitet haben mag, seien es meine horrenden Bücherrechnungen, die ich auch immer bereitwillig bezahle, seien es meine schönen grünen Augen, die Ausgabe des Buchs von Arno Schmidt jedenfalls sei allen ans Herz gelegt, die schon oft von Zettels Traum hörten, es immer schon lesen wollten, und nun dazu die Gelegenheit haben: zu einem -- verglichen mit dem Original -- Spottpreis. Manche Verlage, seien sie auch noch so sehr darauf angewiesen, Geld zu verdienen, leisten sich auch noch solche marktwirtschaftlichen Absurditäten; Leuten wie den Betreibern von Fischer, die doch noch den Mut dazu aufbrachten, oder Diogenes, Kunstmann, Luchterhand und wie sie alle heißen -- besonders auch Egon Ammann als Spiritus Rector und treibende Kraft des im Oktober 20 Jahre alt gewordenen Ammann-Verlags -- sei an dieser Stelle Anerkennung gezollt. Und -- es soll, wo wir uns schon beim Heise-Verlag aufhalten, der diese Kolumne veröffentlicht, nicht unerwähnt bleiben -- auch Heise leistet sich mit Hinstorff ein in dieser Reihe nicht zu unterschätzendes Projekt mit einem alteingesessenen Verlag. Möge der Saft mit ihnen allen sein, und Schmidts Geist, auf dass man sich selbstkritisch nicht doch in hohlem Pathos verliere. Jedenfalls hegen solche Verlage offensichtlich immer noch die Hoffnung, dass nicht allen deutschsprachigen Erdenbewohnern in der Schule die Fähigkeit zum Verstehen von über das Niveau einer Moderation von Sonja Zietlow hinausgehenden Texten abtrainiert wird.

Was wird.

Bald machen sich alle an das Ein- und Auspacken von Päckchen. Friedlich weihnachtet der Wald und der Newsticker. Zwischen den Jahren tut sich -- außer im Heise-Ticker -- wenig, sieht man von einer Berliner Massendemonstration ab, die abgeschaffte Realzeit wieder einzuführen. Ja, es ist manchmal unangenehm, wenn zur tiefsten Zulu-Zeit der codeschwere Kopf auf die Tastatur knallt.

Ein Blick sei vorausschauend auf Charles Babbage gerichtet, der sich am 26. 12. 1791 in der Zeitzone von Greenwich einfand und als Gottvater aller Computerei selten ausreichend gewürdigt wird. Es gibt nicht wenig Literatur über den Mann, die seine Ideen lobt, nur um im gleichen Atemzug zu behaupten, dass Babbages Ideen mangels Präzisionsmechanik zu seinen Lebzeiten gar nicht zu verwirklichen waren. Das ist mittlerweile von den Historikern widerlegt: Babbages Maschine hätte mit den Mitteln von damals gebaut werden können -- nur waren durch die französische Revolution die zahllosen Friseure arbeitslos geworden, weil ihre Kundschaft enthauptet worden war. Sie überlebten, in dem sie als Computer arbeiteten und die dringend benötigten Werte der Logarithmentafeln berechneten. "Damals, als der Mensch billiger war als der Computer", werden die Babysitter ihre Erzählungen von Mittelerde einleiten.

Ein kleines Jubiläum sollte jedoch erwähnt werden. Vor 95 Jahren, am 24. Dezember 1906, wurde die erste Radiosendung der Welt ausgestrahlt. Im amerikanischen Brand Rock hatte Reginald Fessenden die Idee zu einem kreativen Hack: Er schickte über die von Gugliemo Marconi und Aleksandr Stepanowitsch Popow entdeckte drahtlose Telegrafie keine Morsezeichen, sondern Weihnachtsgrüße, Weihnachtslieder und das Largo von Händel. Statt /..-./.-./---/...././...//..-././.../-/ bekamen die Jungs an Bord der Schiffe die volle Dröhnung. In diesem Sinne wünscht der Heiseticker all seinen nervenden, aufmunternden, abstrafenden und schlichtweg treuen Lesern dem LOTRnden Trend der Zeit gemäß "Meriu sa haryalye alasse nó vanyalye Ambarello", oder "Merilmë sa haryalyë alassë", oder "Q A ná merye i turuhalmeri ar alya i vinya loa".

War da noch was? Aber ja doch. Hals echter Vater konnte Tolkien nicht leiden. "Dobby radosty jammiwam." Und natürlich werden die Klingonen unter den Lesern muffeln und grimmigst "DaH HIHoH" rufen, werden Disneys verwandte Atlantiden ein "YAHD-lu-goh-nikh!" murmeln. Und so Deutsch, wie nur Tyl Sjok es sein kann, rufen jetzt alle: "Xjohe litju Jaty Ja! Te y hw jang le Li-nu-kys!" (Möge-sein froh/fröhlich Geburt Seine! Nicht stattfind benutz EMPH Linux). Für den Rest der Leser, die diese Tümelei absolut nicht abkönnen und möglicherweise angesichts dieser Weihnachtskolumne schon etwas ermüdet sind, birgt der letzte Abschnitt der zompistischen Reisehelfer Linderung: "Bald gibt's Neues!!!" (Hal Faber) / (jk)