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Was war. Was wird.

Apokalypse ja! Oder nein? Doch lieber vielleicht? Man könnte verzweifeln dieser Tage, ob man nun in Köln, Berlin oder Dresden weilt. Aber we will rock you, verspricht Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Apocalpyse No! gibt Bjorn Lomborg in seinem nun auf deutsch im hochwassersicheren Lüneburg veröffentlichten Buch Entwarnung vor all dem Gerede vom Klimawandel und der kommenden Katastrophe der Menschheit. Was bleibt, sind wohl nur regionale Kollateralschäden, in denen sich nach Lomborg halt Ausnahmebedingungen summieren -- und der Wahlkampf, in dem die Ökosteuer zur Elbschlammsteuer mutiert. Höhere Dämme gegen falsche Gedanken forderte dieser Woche die FAZ, die dabei das Kunststück schaffte, die Klima-Flüchtlinge Trittin, Sting, Clinton und Enron in einem einzigen Artikel als geistige Deichbrecher zu brandmarken. Schlamm ist immer eine Mischung aus unappetitlichen Materialien und manche Artikel haben halt das Zeug zum Material für das Toilet Entertainment System.

*** Oh! Ha! ....... ähem ... Schröder: "Oh, oh, oh." Stoiber: "Nein: Ha, ha ha." Das große Print-Duell, das der Kanzler und sein Gegner in der Süddeutschen und der Welt in dieser Woche ablieferten, ist damit inhaltlich ebenso abschließend wie umfassend beschrieben. Die Wahl steht also an, zwischen Oh und Ha, den Rest besorgt eine Live-Variante von "Stadt-Land-Fluss". Beim Anblick der energisch durch das Wasser stiefelnden Politiker reiben sich so manche Wahlkampfstrategen die Hände. Eigentlich fehlt nur der gelbe Bus im braunen Fluss oder der über einem Deich abspringende Möllemann. Das Leben schreibt immer noch die beste Werbung, weiß auch Sony Ericsson. Dort startete man in dieser Woche eine von Fathom Communications erfundene Kampagne, bei der Schauspieler als scheinbar harmlose Touristen an bekannten Plätzen mit dem T68i auftauchen und sich von ahnungslosen Mit-Touristen fotografieren lassen. Am Deich oder neben dem Hochwasserpegel kommen die Freuden des Multimedia Messaging noch spritziger rüber. Lobenswert ist auch die Pressearbeit von T-Systems, die das viele nasse Wasser und die Kommunikationsprobleme inmitten zum Anlass nimmt, auf den Start des neuen Behörden-Funksystems TETRA hinzuweisen, das zwar erst 2006 zur Fussball-WM kommt, aber geschlossene Gesprächsgruppen mit 1024 Teilnehmern ermögliche und somit Katastrophen effizienter abdecke. Ja, das ist die deutsche Antwort auf die große Welle: Effizienz.

*** PorNo! nannte sich einst eine Kampagne, mit der Alice Schwarzer den Deutschen das Sudeln abgewöhnen wollte. Nun hat Gentlemen's Quarterly, vulgo GQ, losgelegt und mit aus dem Internet zusammengeklauten grobkopierten Bildern einen Beitrag abgeliefert, mit dem gezeigt werden soll, wie die "Grammatik der Pornografie" funktioniert, ganz ohne Bataille. Aus dem Sudel wurde der Drudel, den der Männer stimulierende Ableger von Wired in Süddeutschland nicht ungewschwärzt unter das Volk bringen durfte. Ja, sieht so die Politik des "Ha" aus? Dabei ist Pornografie ganz ohne Grobkörnung eine Kunst mit staunenswerten Akteuren, an denen allenfalls Computer-Geeks etwas auszusetzen haben. Warum sonst hat RealNetworks hier eine Marktlücke entdeckt?

*** No Name! Heute vor 125 Jahren sicherten Hall und Anderson, assistiert von einigen Zeugen die Existenz der beiden Marsmöndchen Phobos und Deimos, die Gelehrte wie Johannes Kepler schon vorausgesagt hatten, aber nicht sehen konnten. Sie widerstanden der Versuchung, die Satelliten Hall und Anderson zu benennen. Furcht und Schrecken verbreiteten die beiden Möndchen nicht, auch trieben sie bislang kein Raumschiff zum Selbstmord, aber das kann noch werden. Jedenfalls entdeckte man Kometen und Sterne damals anders als heute, wo es immerhin noch gilt, die Erde zu entdecken.

*** 24! 30! 40! 50! Wie viele Linux-Anhänger tatsächlich an der "machtvollen und entschlossenen Demonstration des internationalen Proletariats" zur Stadtverwaltung in San Francisco teilgenommen haben, wird sich angesichts der geballten Masse nicht mehr genau beziffern können, anders als die Zahl von 15.000 Teilnehmern, die die Linuxworld Expo besuchten. Doch wichtig erscheint mir die Frage auch in den USA, wo nicht zwischen "Oh" und "Ha" gewählt werden kann, ob sich Computerfreaks der Politik enthalten sollen. Nein, müssen sie nicht.

Was wird.

We will, we will rock you! Im hilligen Koelln popkommt es gewaltig, auch nächste Woche noch. Bemerkenswert dabei ist nicht die Schelte, die die Musikindustrie von Markthengsten wie Forrester-Analyst Josh Bernoff und anderen über ihre hohen Preise und immer weiter beschränkte Musikauswahl erhält. Bemerkenswert ist der Dreck, den sie zurückschleudert, wenn etwa Tim Renner von Universal in einem Pamphlet im Tagesspiegel blubbert, dass man abhaken kann, das von den heutigen Teenagern "Entwicklungen für die gesamte Gesellschaft ausgehen": Es wird wohl Zeit, das Universal abgehakt wird.

We will rock you? Weniger, dafür noch mehr Dreck, eben. Wahrscheinlich denken Leute wie Renner eher an so etwas wie "Here's to You", die Schnulze von Joan Baez aus dem Film über Sacco und Vanzetti, die beiden italienischen Anarchisten, die vor 75 Jahren am 23. August in den USA hingerichtet wurden. Demonstrierte die Branche doch in dem Hollywood-Schinken schon eindrucksvoll, wie man noch jedes Thema zu gnadenlosem Kitsch verhauen -- und die Generation der zahlungskräftigen Lehrer und Sozialarbeiter zu Tränen rühren und darauf folgendem CD-Kauf animieren kann. Die Zukunft der Rockmusik aber, wie die Majors sie sehen, ist das debile Gebrüll der Bodybuilder von Manowar, das alberne Gehopse einer Sarah Connor und das Rumgehampel von B3. Joan Baez aber hatte so viel mit den hingerichteten italienischen Einwanderern zu tun wie Campino von den Toten Hosen mit dem Revoluzzer, den er immer wieder zu geben versucht. Die Popkomm-Gala also: eine aufschlussreiche Veranstaltung zum Thema Was wird in der Musikbranche. Es dauert sicher nicht lange, bis die CDs "Lovesongs for Dresden" und "Romantic Moods for Magdeburg" auf den Markt kommen -- natürlich mit Kopierschutz und einem Euro Spende für die Opfer der Flutkatastrophe: Apokalypse, aber dalli, ein bisschen was bleibt immer in den Bilanzen hängen. Den Labels mag man angesichts ihrer mediokren Offerten das Versinken im Orkus wünschen -- ob nun wegen oder trotz Tauschbörsen und CD-Brennern. We will rock you, versprochen.

...find ich gut! Nein, Grün ist nicht meine Lieblingsfarbe, dennoch möchte ich auf eine Veranstaltung der Grünen Jugend aufmerksam machen, die am nächsten Samstag ab 11.00 auf dem Gendarmenmarkt zu Berlin unter dem Titel "Überwachung ... find ich gut!" stattfinden wird. Aufgerufen sind alle Bürger, die etwas zu verbergen haben -- und gemeint sind nicht die Bilanzen, die sich frisieren lassen.

Erster! Zum guten Schluss ein Wort in eigener Sache zu einem leidigen Dauerthema, das auch die ausgefeilteste Beziehungs-Suchmaschine nicht preisgeben will. Es ist wunderschön, wenn darüber spekuliert wird, ob Hal Faber seine Notizen jeden Samstag aus einer schwarzen Limousine auf dem leeren Heise-Parkplatz einem Redakteur übergibt, der mit verbundenen Augen auf einem Weinfass sitzt und singt. Die Wahrheit ist einfacher: Hal Faber ist die Antwort auf den Tod des Autors im Zeitalter der technischen Linklastigkeit, ist jeder Leser, der mit unermüdlichen Tipps und Hinweisen an hal@heise.de diese Kolumne gestaltet. Was immer an hinreißenden wie hirnrissigen Verweisen durch diese Zeilen geistert, ist ohne die tatwütige Teilnahme der Leser schlichtweg nicht denkbar. Ich beklage die B-Seite des Sommerlochs und, wumms, kommt die Mail über Sommerloch an der Nahe, PLZ 55595, mitsamt einer Liste von 4 Weingütern und einer Beurteilung der Stöffchen: es gibt immer eine A-Seite. Zur A-Seite gehört natürlich auch dieser Link. Apocalypse Now! Noch Fragen? (Hal Faber) / (jk)