A9 III in der Praxis und stapelweise Software – die Fotonews der Woche 48/2023

Sonys 120-fps-Monster ein Game Changer für Konzertfotografen, Apple kürt eine komfortable Foto-App zum Programm des Jahres und das neue Affinity ist da.

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Auch im Dunklen fühlt sich Sonys A9 III wohl – zum Beispiel bei Konzerten.

(Bild: Sony)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Ernst
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"Wozu braucht man das?" Diese Frage taucht bei jedem vermeintlich kleinen Fortschritt von etablierter Technik auf, erst recht, wenn die Kernbotschaft eine große Zahl ist. So war das auch bei Sonys Alpha 9 III, der ersten Spiegellosen, die in voller Qualität 120 Bilder pro Sekunde schießen kann. Nicht nur im Forum von heise online, sondern in der ganzen Fotowelt des Internets wurde die Eingangsfrage dieser Kolumne heiß diskutiert.

Wie vor drei Wochen berichtet, lässt sich der im Marketing ziemlich ausgelutschte Begriff des "Game-Changer" dabei nicht vermeiden, und eben nicht nur, wenn es sich um professionelle Sportfotografie handelt. Sondern eben auch, wie bei Vorstellung der Kamera ebenfalls vermutet, für Konzertbilder. Den Nachweis hat nun Sanjay Suchak erbracht, der mit einem Vorserienmodell der A9 III an zwei Abenden die Dave Matthews Band abgelichtet hat.

All die Vorteile, die der Wegfall des Rolling-Shutter-Effekts bei der neuen Alpha verspricht, zeigten sich dabei auch: Drumsticks sind nicht mehr krumm, die Bewegungsunschärfe bei schnellen Läufen auf dem E-Bass ist weg, und vor allem: Man bekommt in jeder Szene ein gutes Bild, weil die Auswahl schlicht größer ist. Wie Suchak zutreffend schreibt, ist ein Konzert durch Motive in Bewegung und ständig wechselnde Lichtverhältnisse eine enorme Herausforderung.

Der Fotograf bezeichnet die neue Alpha daher wörtlich als Game-Changer für sein Fach, und gibt auch Hinweise auf die größte Frage an dieser Kamera, denn zu Dynamikumfang, Rauschverhalten und Bildqualität hat sich Sony noch immer nicht geäußert. Suchak arbeitete, wie bei der Anwendung üblich, mit Auto-ISO zwischen 25 und 3.200 und war mit den Ergebnissen zufrieden. Sein Vorabexemplar speicherte, wie bei den Modellen der Vorstellung, keine Raw-Dateien. Aber auch aus den JPEGs konnte er in der Bearbeitung noch einiges herausholen. Das deutet auf einen ordentlichen Dynamikumfang hin.

Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen, insbesondere zum Rauschverhalten und dessen Filtermöglichkeiten beim Raw-Entwickeln, nur: Auch dem kritischen Blick eines erfahrenen Konzertfotografen halten die Bilder von den Konzerten stand. Wer selbst nachgucken will, sollte unter anderem auf die völlig stufenlosen Farbverläufe achten. Diese sind bei Kameras ohne mechanischen Verschluss bei LED-Beleuchtung in Reinfarben kaum hinzubekommen, der Rolling Shutter lässt das kaum zu. Als Tipp aus der Praxis: Gute Lichttechniker kann man vorher fragen, ob sie nicht etwa das Blau ein kleines bisschen weniger blau machen, wenn die Band Wert auf wirklich gute Fotos legt.

Wie Sportfotografen müssen auch Konzertlichtbildner manchmal ihre Bilder so schnell wie möglich abliefern. Zum Beispiel dann, wenn in der Tageszeitung am nächsten Tag schon eine Kritik mit aktuellen Fotos stehen soll. Wer keine große Bildredaktion hinter sich hat, macht da also, noch während das Konzert läuft, die Bearbeitung schnell selbst. Dank guter Displays und Funkverbindung zur Kamera eignen sich dafür seit einigen Jahren auch Tablets, und auf diesen – genauer: Apples iPads – machte auch seit Jahren die App Pixelmator Photo von sich reden.

Sie erlaubte sehr einfache und auch mit Finger oder Stift auswählbare Freistellungen und Korrekturen wie das Löschen von Elementen – Stichwort Mikrofonständer im Bild, jeder Konzertfotograf kennt das. Im Mai 2023 erschien das Programm auch unter dem Namen Photomator für den Mac und wurde um noch mehr Funktionen erweitert. Während es auf iPhone und iPad bisher vor allem als Alternative zum mitgelieferten Foto-Editor gesehen wurde, hat es sich dort inzwischen unter anderem durch Unterstützung von hunderten RAW-Formaten zum Universalwerkzeug gemausert. Das gefiel auch Apple so gut, dass Photomator nun zur App des Jahres für den Mac gekürt wurde. Neben der reinen Nützlichkeit einer Software zeigt das auch, dass der umgekehrte Weg wie sonst heute möglich ist: Aus einer App für mobile Geräte kann eine ausgewachsene Desktop-Anwendung werden.

Für alle Möglichkeiten moderner Bildverarbeitung braucht es aber noch etwas mächtigere Werkzeuge, Lightroom und Photoshop sind da schon lange nicht mehr die einzige Wahl. Vor allem das Unternehmen Serif ist mit seinem Ansatz von Foto-Editor, DTP und Grafikdesign recht erfolgreich, soeben ist von deren Software Affinity Version 2.3 als kostenloses Update erschienen. Die Neuerungen sind überschaubar, beim Design gibt es ein neues Werkzeug für Spiralenmuster, und ein Pixelraster für feinste Bearbeitung kann eingeblendet werden. Mit dem zuvor genannten Photomator hat Affinity gemein, dass es auch für iPads geeignet ist, man muss die Software also nur einmal lernen. Und im Gegenteil zu Apples neuer Lieblingssoftware gibt es Affinity auch für Windows.

Dass solche Programme etwas kosten ist selbstverständlich, bei Firmware-Updates für Fotokameras ist das noch immer die Ausnahme. Selbst bei seinem Profiklotz Z 9 reicht Nikon neue Funktionen, und nicht nur Fehlerbereinigungen, gratis nach. Sony wagt sich nun etwas aus der Deckung und will auf den flüchtigen Blick ausgerechnet selbst erstellte Gitternetzlinien kostenpflichtig machen. Bei genauerem Hinsehen ist das eine Funktion, die sich vor allem Menschen wünschen, die oft große Gruppen wie Schulklassen oder Einzelporträts im Studio für Druckerzeugnisse fotografieren müssen. Bei letzterem steht nicht die klassische Bildaufteilung wie nach der Drittel-Regel im Vordergrund, sondern das, was der Kunde beispielsweise für eine Print-Anzeige mit viel Text verlangt hat.

Insofern könnte es tatsächlich einen Kundenkreis geben, der 150 US-Dollar für den Import eigener Gitternetze in die Alpha 7 IV bezahlt. Wie Petapixel berichtet, ist das der Betrag, den Sony im Frühling für diese Funktion und vorerst auch nur für diese Kamera verlangt, andere Modelle sollen folgen. Bis zu vier eigene Vorlagen kann man dann in die Alpha schicken, in welchem Format, ist noch unbekannt. Die eigenen Vorgaben für Bildausschnitte und Aufteilung werden dann im Sucher und auf dem Display angezeigt. Die Software soll auf Sonys Lizenz-Webseite zur Verfügung stehen, und wer schon heute darauf klickt, findet den Grund, aus dem der Hersteller sich das traut: Kostenpflichtige Lizenzen sind für die Camcorder und Kinokameras des Unternehmens die Regel, nicht die Ausnahme.

Eine weitere Ausnahme ist, dass wir die Empfehlung für den Longread zum Wochenende bereits erwähnt haben. Denn das ist natürlich der Bericht über Konzertfotografie mit der A9 III. Sanjay Suchak macht darin nicht einfach einen Feature-Count des Modells, sondern erklärt auch, warum man welche Funktionen beim Fotografieren einer Band wirklich braucht. Dabei muss man im Hinterkopf behalten, dass Suchak für die Band selbst und auch auf der Bühne fotografieren darf, und zwar während der gesamten Show. Die meisten Konzertfotografen müssen vor der Bühne stehen, die Faustregel: 3 Songs oder 15 Minuten, je nachdem, was zuerst eintritt. Suchak hatte also schon durch seinen Status bessere Voraussetzungen, und allem Anschein nach auch die bessere Kamera für diesen Job als viele Kollegen.

(nie)