CPUs: ARM verklagt einen seiner größten Kunden

ARM beschuldigt Qualcomm, ohne gültige Lizenz ARM-Prozessoren zu entwickeln. Dabei hat Qualcomm eine Lizenz – aber vielleicht nicht mehr die richtige.

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Vorder- und Rückseite eines Snapdragon-Chips

Das Symbolbild zeigt Vorder- und Rückseite eines Snapdragon 8 von Qualcomm. Dieses 2012 vorgestellte System-on-a-Chip ist nicht Gegenstand des aktuellen Rechtsstreits.

(Bild: Qualcomm)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Der Prozessorentwickler ARM verklagt Qualcomm und dessen Tochterfirma Nuvia in den USA. ARM erhebt den Vorwurf, Qualcomm entwickle absichtlich High-End-Prozessoren auf ARM-Basis und bewerbe sie auch mit dem Markennamen ARM, ohne dazu befugt zu sein. Die grundlegende Arbeit stamme von der im Vorjahr von Qualcomm übernommenen Firma Nuvia, deren ARM-Lizenzen allerdings nicht mehr gültig seien.

Qualcomm hat zwar selbst eine Lizenz, doch gelte diese nur für Eigenentwicklungen. Qualcomm hat selbst in einem anderen Gerichtsverfahren (Qualcomm v. Truong Hoang) sowie mehrfach öffentlich angegeben, einschlägige Prozessoren zu entwickeln und noch dieses Jahr ausliefern zu wollen, die auf Nuvia-Entwicklungen fußen. Diese Prozessordesigns und die daran arbeitenden Nuvia-Entwickler dürften der Hauptgrund gewesen sein, dass Qualcomm Nuvia um 1,4 Milliarden US-Dollar gekauft hat. Geht es nach ARM, war das weitgehend hinausgeschmissenes Geld.

Denn die Nuvia-Lizenzen sind unstrittig am 1. März 2022 abgelaufen, was Qualcomm selbst schriftlich bestätigt habe, erklärt ARM in der am Mittwoch beim US-Bundesbezirksgericht Delawares eingebrachten Klageschrift. Umfassende Verhandlungen zwischen ARM und Qualcomm über einen neuen Lizenzvertrag hätten zu keinem Abschluss geführt, dennoch arbeite Qualcomm ungebremst weiter und bewerbe kommende neue Prozessoren öffentlich.

Um den Rechtsstreit richtig einzuordnen, hilft es, die Lizenzen zu verstehen, die ARM vergibt. Das Unternehmen entwickelt Prozessordesigns, stellt sie aber selbst nicht her, sondern überlässt das Dritten. Mit diesen schließt ARM in aller Regel ein Technology License Agreement (TLA), das die Herstellung der Prozessoren mit maximal geringfügigen Abweichungen von ARMs Spezifikationen gestattet.

Selten schließt ARM umfassendere Architecture License Agreements (ALA). Diese erlauben dem Lizenznehmer, bestimmte ARM-Prozessordesigns weiterzuentwickeln. Bei dieser Arbeit gewährt ARM Unterstützung, Erfolgsgarantie gibt es aber keine. Gelingt die Weiterentwicklung, darf der Lizenznehmer entsprechende Prozessorkerne herstellen und unter Verwendung des Markennamens ARM verkaufen.

Allerdings, betont ARM, gelten ALA gemeinhin nur für ganz bestimmte ARM-Prozessorarchitekturen, nicht für ARM-Technik schlechthin. Vor allem aber sollen die Lizenzbedingungen die Übertragung der Rechte an Dritte ohne Zustimmung ARMs verbieten, was ausdrücklich auch für eine Übernahme des gesamten Lizenznehmers gelte.

Nuvia wurde 2019 von ehemaligen Apple- und Google-Chipentwicklern gegründet (was Apple zu einer Klage gegen seine ehemaligen Mitarbeiter veranlasst hat, Apple v. Gerard Williams III.). Sie machten sich daran, einen energieeffizienten ARM-Prozessor für Rechenzentren zu entwickeln, wofür sie im September 2019 bei ARM eine ALA lösten. ARM unterstützte die Entwicklung nach eigenen Angaben tatkräftig.

Auch Qualcomm hat eine ALA von ARM, und hat früher sogar selbst versucht, einen ARM-Prozessor für Datenzentren zu entwickeln. Doch 2018 hat Qualcomm dieses Projekt gestoppt und hunderten Mitarbeitern gekündigt.

Anfang 2021 kaufte Qualcomm Nuvia, und freute sich öffentlich über die zugekaufte ARM-Prozessortechnik. Sie soll in Laptops und Mobiltelefonen eingesetzt werden, was eine Abweichung von Nuvias Designziel Rechenzentren-Prozessoren ist. Womöglich hat Qualcomm die Rechnung ohne den Wirten ARM gemacht. Das britische Unternehmen beharrt nämlich auf der ALA-Klausel, wonach die Lizenz nicht an Dritte übertragen werden darf, sofern ARM nicht zustimmt.

Und diese Zustimmung will sich ARM versilbern lassen. Nach erfolglosen Verhandlungen hat ARM die Nuvia-ALA zum 1. März 2022 gekündigt, was Qualcomm am 1. April 2022 bestätigt habe. Vermutlich meint Qualcomm, die weiterhin gültige eigene ALA reiche für die Weiterführung der Nuvia-Entwicklungen aus. ARM sieht das anders und verlangt, dass alle Nuvia-Entwicklungen vernichtet werden, Qualcomm und Nuvia die einschlägigen Arbeiten einstellen, die Verwendung des Markennamens ARM in Verbindung mit den betroffenen Prozessoren unterlassen und dreifachen Schadenersatz zuzüglich Strafschadenersatz sowie Verfahrens- und Anwaltskosten zahlen.

Gegenüber heise online zeigt sich Qualcomm enttäuscht, dass ARM von der "lange währenden, erfolgreichen Beziehung mit Qualcomm" abrückt. "ARM hat kein Recht, vertraglich oder anderweitig, zu versuchen, Qualcomms oder Nuvias Innovationen zu stören", schreibt das beklagte Unternehmen, "ARMs Klage ignoriert, dass Qualcomm breite, gut etablierte Lizenzrechte hat, die maßgeschneiderte CPU-Designs abdecken. Und wir sind sicher, dass diese Rechte (durch das Gericht) bestätigt werden werden."

Das am 31. August eröffnete Verfahren heißt Arm v. Qualcomm et al und ist am US-Bundesbezirksgericht im US-Staat Delaware unter dem Az. 1:22-cv-01146 anhängig.

Seit 2019 anhängig ist die Klage Apples gegen seinen ehemaligen Mitarbeiter und nunmehrigen Nuvia-Entwickler Gerard Williams. Dieses Verfahren wird als Apple v. Gerard Williams, III am Santa Clara County Superior Court unter dem Az. 19CV352866 geführt.

Eine Ironie der Geschichte ist, dass sich ARM unter anderem auf Vorbringen Qualcomms in dessen Prozess gegen den ehemaligen Nuvia-Entwickler Truong Hoang beruft. In der Klage Qualcomm v. Truong Hoang (US-Bundesbezirksgericht für das südliche Kalifornien, Az. 3:22-cv-00248) warf Qualcomm dem Mann vor, über tausend geschützte Dokumente mit Geschäftsgeheimnissen bei Nuvia/Qualcomm ohne Erlaubnis kopiert und zu seinem neuen Arbeitgeber Mediatek mitgenommen zu haben.

Außerdem hat Hoang zugegeben, während seiner Anstellung für Qualcomm ohne dessen Genehmigung auch als Berater für ein anderes Unternehmen gearbeitet zu haben. Das Verfahren endet mit einem Vergleich, laut dem Hoang alle Unterlagen zerstören muss. Ein Vergleich wäre auch im Prozess ARMs gegen Qualcomm keine Überraschung, wäre aber wohl deutlich teurer.

(ds)