AdTech: RTL und ProSiebenSat.1 wollen Google bei Digital-Werbung Paroli bieten

Die beiden Fernsehsender entwickeln gemeinsame Werbetechnik, um Reklame-Kampagnen über sämtliche Plattformen beider Partner hinweg zu ermöglichen.

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Person hält ein Smartphone, der Zeigefinger ist auf dem Display

(Bild: A_B_C/Shutterstock.com)

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Stärkere Kooperation im Bereich Werbetechnik kündigen die beiden großen deutschen Konkurrenten im privaten Fernsehen, RTL Deutschland und ProSiebenSat.1, an. Ziel der AdTech-Zusammenarbeit ist, einen durchgängigen Technik-Stack zu etablieren. Komponenten für das gezielte Ausspielen von digitaler Werbung wie Software, Frameworks, Bibliotheken und Programmiersprachen sollen im Hintergrund gebündelt werden. Im Kern betrifft das Technik von Smartclip bei RTL und Virtual Minds bei ProSiebenSat.1.

Der Schritt soll Werbekunden ermöglichen, übergreifende Kampagnen über die Plattformen beider Partner zu realisieren. Entsprechende Angebote reichen vom linearen Fernsehen über Werbung auf vernetzten Fernsehern (SmartTV) bis hin zu Reklame auf den beiden Streaming-Portalen RTL+ und Joyn. Das gemeinsame Angebot soll noch dieses Jahr in Deutschland, Österreich und der Schweiz verfügbar werden.

Parallel geht es den zwei Sendern darum, der Übermacht Googles und Metas im Online-Werbemarkt ein AdTech-Angebot "made in Europe" entgegenzusetzen. Die technische Zusammenarbeit "mache sowohl den deutschen Werbemarkt als auch die Medienhäuser selbst unabhängiger von den Werbetechnologien (AdTech) der großen US-Konzerne", erklären die beiden deutschen TV-Größen. Sie wollten damit "neue Impulse für technische Innovationen in der Vermarktung" setzen. Werbekunden und Agenturen profitierten künftig von einem einfacheren Zugang für ihre Kampagnenplanung, -buchung und -ausspielung. Zudem verknüpfe das Angebot erstmals digitale und lineare Bewegtbildreichweiten technisch, optimiere sie "mit übergreifenden Daten" und mache personalisierte Ansprache auch über lineares TV breit verfügbar.

Mit d-force und der "Addressable TV"-Initiative betreiben ProSiebenSat.1 und RTL bereits zwei weniger weitreichende Joint Ventures. Prinzipiell steht auch dabei das Anliegen im Vordergrund, lineares Fernsehen mit Online-Inhalten zu verbinden und die hohe TV-Reichweite an online mögliche gezielte Werbesteuerung zu koppeln. Künftig sollen Kampagnen über alle Fernsehspielarten hinweg "konvergent gemessen und perspektivisch auch gebucht werden" können. Diese technische Basis, wird, so die Hoffnung der Sender, "neue und vor allem digitalaffine Kunden ansprechen". Carsten Schwecke, Vorsitzender der Geschäftsführung des Vermarktungsarms von ProSiebenSat.1, Seven.One Media, hebt hervor: "TV als wirkungsstärkstes Medium digitalisiert sich damit umfassend." Künftig werde Künstliche Intelligenz (KI) die Effizienz der Werbeausspielung linear oder digital weiter verbessern.

Im zweiten Halbjahr sollen die entsprechenden Schnittstellen verfügbar sein, um erste gattungsübergreifende Kampagnen über die Vermarktungsnetzwerke der Partner fahren zu können. "Die AdTech-Kooperation ist als offene Initiative zu verstehen", betonen die zwei Medienhäuser zugleich. Interessenten anderer Rundfunkanstalten und Verlage in ganz Europa stehe es frei, ihre Inventare durchgehend über einzelne der gemeinsamen AdTech-Angebote mitzuvertreiben. Nach dem Start in Deutschland, Österreich und der Schweiz sei zügige Expansion ins europäische Ausland vorgesehen. Das Bundeskartellamt sei schon im Vorfeld über die Initiative informiert worden. Die Kartellwächter haben nach Auffassung der Betreiber aber kein Mitspracherecht, da es zu keinem Firmenzusammenschluss kommt.

Nach Ansicht von Kritikern hat sich die AdTech-Branche zu einer 650 Milliarden US-Dollar schweren Industrie entwickelt, die auch als "unsichtbare Macht" technische Standards setzt, die Gestaltung von Nachrichtenseiten und Sozialen Netzwerken beeinflusst sowie letztlich die Sicht vieler Nutzer auf die Welt prägt. Über das "verteilte Überwachungssystem" werde "jede kleine Regung", jeder Charakterzug der Bürger in vermarktbare Form gebracht. Dies zeige etwa eine riesige Liste des zu Microsoft gehörenden US-Werbenetzwerks Xandr. Bei den Verhandlungen über den Digital Services Act (DSA) drängten eine fraktionsübergreifende Koalition von EU-Abgeordneten und Bürgerrechtler auf ein Verbot "spionierender Werbung" mit Microtargeting. Das hat der Gesetzgeber nicht umgesetzt.

(mho)