Gravitation: Antimaterie fällt nicht "hoch"

Ein Forschungsteam am CERN hat erstmals untersucht, wie sich Anziehungskraft auf Anti-Wasserstoff im freien Fall auswirkt.

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Gefahr: Magnetische Felder beim Alpha-Experiment am CERN.

(Bild: Alpha / CERN)

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Laut Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie müssten alle Objekte, unabhängig von ihrer Masse oder Zusammensetzung, auf dieselbe Weise auf die Schwerkraft reagieren. Aber gilt dieses "Schwache Äquivalenzprinzip" auch für Antimaterie? Ein Forschungsteam am CERN beschreibt nun erstmals in Nature ein Experiment, das dieser Frage nachgeht.

Antimaterie ist keineswegs nur ein Produkt von Science-Fiction-Autoren. Die Existenz von Anti-Teilchen ist bereits 1931 vom britischen Physiker Paul Dirac vorhergesagt worden, als er auf der Suche nach einer Formulierung der Schrödinger-Gleichung war, die auch unter relativistischen Bedingungen – also nahe der Lichtgeschwindigkeit – funktioniert.

Antimaterie unterscheidet sich von gewöhnlicher Materie eigentlich nur in einer Quantenzahl – das Anti-Materie-Äquivalent eines Elektrons etwa ist ein Teilchen mit derselben Masse, dem selben Spin, aber der entgegengesetzten Ladung: das Positron. Treffen Anti-Teilchen und Teilchen allerdings aufeinander, löschen sie einander unter Abgabe von Strahlungsenergie aus.

1932 wurde das erste Positron experimentell nachgewiesen. Positronen erhält man aus geeigneten radioaktiven Zerfallsprozessen. Anti-Protonen kann man erzeugen, indem man Protonen auf einen massiven Metallblock schießt, und die so erzeugten Anti-Protonen in einer Art Speicherring sammelt und abbremst. Elektrisch geladene Anti-Teilchen lassen sich mithilfe elektrischer Felder im Vakuum einfangen und speichern. Theoretisch könnte man die Wirkung der Gravitation auf Antimaterie auch direkt an diesen Elementarteilchen messen, aber die Schwerkraft ist sehr viel schwächer als die elektromagnetische Wechselwirkung. Schon winzig kleine Störungen der elektrischen Felder würden diese Messungen also zunichtemachen. Daher braucht man für solche Experimente elektrisch neutrale Anti-Atome.

Es sollte bis 1995 dauern, bis es Wissenschaftlern am CERN zum ersten Mal gelang, aus je einem Positron und einem Anti-Proton Anti-Wasserstoff-Atome herzustellen. Dazu werden die – elektrisch geladenen – Anti-Teilchen in sogenannten Penning-Fallen bis auf wenige Kelvin abgekühlt, und dann gemeinsam in eine magnetische Falle gesperrt. Denn sobald Positronen und Anti-Protonen sich zu einem Anti-Wasserstoff-Atom verbinden, lässt sich das nun elektrisch neutrale Anti-Atom nur noch über sein magnetisches Moment kontrollieren.

2010 gelang es den Forschenden am CERN erstmals Anti-Wasserstoffatome lange genug einzufangen, um daran spektroskopische Messungen durchzuführen. Für das aktuelle Experiment bauten die Forschenden die ALPHA-g-Maschine, eine magnetische Falle für Antiwasserstoffatome, mit der die Auswirkungen der Gravitation untersucht werden sollen.

In der vertikalen Falle schwebende Antiwasserstoffatome werden freigesetzt, indem das oben und unten schließende Magnetfeld innerhalb von 20 Sekunden heruntergefahren wird. Dabei überwinden immer mehr Antimaterie-Atome die magnetische Barriere und fliegen nach oben beziehungsweise sinken nach unten. Nach einiger Zeit kommen die Anti-Atome also in Berührung mit der Fallenwand, wo sie zerstrahlen. Dieser Zerfall wird von speziellen Detektoren registriert.

Sollte die Schwerkraft genauso auf Antimaterie wie auf Materie wirken, so die Vermutung der Forschenden, sollten sich unten mehr Teilchen sammeln als oben. Tatsächlich konnten Jeffrey Hangst und Kollegen beobachten, dass magnetisch gefangene Antiwasserstoffatome, die in ALPHA-g freigesetzt werden, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit nach unten fallen. Die These, dass Gravitation auf Antimaterie nicht anziehend, sondern abstoßend wirke, sei damit zwar nicht völlig auszuschließen, aber "extrem unwahrscheinlich" geworden, schreiben die Autoren in ihrer Veröffentlichung in "Nature". Im nächsten Schritt wollen sie die Wirkung der Schwerkraft auf die Anti-Atome genauer messen.

(wst)